Natalja
Natalja
Birth date:
Place of Birth:
Place of residence:
Professional activity:
Time spent in the Chernobyl Zone:
Natalia Kozlowa (weiter N.K.): Heute ist der 19. März 2014. Das Interview führe ich, Natalija Kozlowa, im Gebäude des Verbandes „Tschernobyl“ mit …Stellen Sie sich bitte vor.
Natalija Tereschtschenko (weiter N.T.): Natalija Tereschtschenko.
N.K.: …mit Natalija Iwanowna Tereschtschenko.
N.K.: Und meine erste Frage an Sie ist ziemlich umfangreich. Erzählen Sie bitte Ihre Lebensgeschichte. Genau das, was Sie für Wichtig erachten. Sie können am Anfang beginnen. Wo sind Sie geboren? Womit haben Sie sich beschäftigt? So wie Sie es ... fühlen. Alles.
N.T.: Ich kann sagen, dass ich in Charkow geboren bin. Und ich gehöre zur vierten Generation meiner Familie, an die ich mich erinnere. Und es gibt Unterlagen, Omas Geburtsurkunde und kirchliche Unterlagen, wo ihre Ehe registriert wurde. Auf dem Friedhof liegen leider bereits meine Großmutter, meine Mutter, mein Vater und mein Sohn. Meinen Sohn habe ich gegraben, als er 19 war. Deswegen sind die Ukraine und der Tschernobyler Schmerz ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt. Meine Mutter war Kinderärztin, mein Vater war Physiker. Und zu seiner Zeit hat er aufgehört, sich mit Atomenergetik und mit dem Atom zu befassen, das seine Anhänger, und zwar Joffe, Landau im Jahre 1939 hier in Charkow gespalten haben. Mein Vater hat sich mit Halbleitern beschäftigt. Und er hat mehr als 200 Forschungen zu diesem Thema erstellt. Meine Tochter hat im Internet
Physiker aus England gefunden, die seine Forschungen...
N.K.: Sie haben Forschungen durchgeführt.
N.T.: Es ist schon viele Jahre her und da ist der Name... Ich hatte einen ziemlich interessanten Mädchennamen – Jozhik (Igel), darum war es schwierig, zu glauben, dass es einen anderen Physiker mit dem Namen Jozhik geben soll. Ich habe in der Schule gelernt und da war ich eine ausgezeichnete Schülerin. Damals hat man keine Medaillen verliehen, denn ich habe zwei Zweien gekriegt. Nach dem Schulabschluss habe ich Aufnahmeprüfungen an der Universität und an der medizinischen Hochschule abgelegt. Und es ist so geschehen, dass ... (Lachen) na, es ist so geschehen, dass ich ausgerechnet bei dem Dozenten für Physik gelandet bin, mit dem mein Vater zu seiner Zeit in Konflikt war. Er war fast 25 Jahre im Polytechnischen Institut Vorsitzender der Aufnahmekommission. Damals hat man sich nicht bestechen lassen, obwohl ich dem Vater gesagt habe: „Du bist oft auf dem Dach. Nimm einen Fünfenschreiber auf. Er wird dein Dach färben“. Das ist nur ein Scherz. In meinem Leben mag ich Humor, Scherze usw. Und ich habe auch Sport getrieben. Meine Mutter war eine ausgezeichnete Kinderärztin. 25 Jahre lang war sie Hauptkinderärztin und sie wurde zu Zeiten der UdSSR ins Ehrenbuch von Charkiw eingetragen. Sie war eine sehr intelligente und gutmütige Frau. Es ist so geschehen, dass ich zwei Kinder zur Welt gebracht habe und ich genau wie meine Mutter
im Alter von 19 Jahren geheiratet habe.
N.K.: So früh?
N.T.: Ich habe meinen Mann und wir leben seit vielen Jahren zusammen. Und wir waren schon dreieinhalb Jahre vor der Hochzeit ein Paar, weil ... er meine Schultasche getragen hat und drei Jahre älter war als ich. Ich war ein üppiges Mädchen. Ich wiege jetzt 75 Kilo und damals 65. […] So habe ich im Alter von 19 Jahren geheiratet. Mein erstes Kind ist mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen. Das zweite Kind war ein Mädchen.
Tatsache ist, dass es so gekommen ist. Als ich bereits älter war, habe ich Zeit gehabt, um mir Gedanken darüber zu machen, was der Grund dafür war. Ich habe in einer Straße mit zehn Häusern gewohnt. Fünf waren oben und fünf unten, in der Nähe vom Bahnhof. Und alle Kinder, die im Jahre 1973 geboren wurden, hatten eine Pathologie. Mein Sohn hatte eine angeborene Herzpathologie. Ein Mädchen hatte Amelie, vier Finger, ein Junge hatte Magenstenose und ein anderes Mädchen hatte Makromelie. Und als Ärztin, als Medizinerin habe ich alle diese Tatsachen zusammengestellt und folgende Schlussfolgerungen gezogen. Wir haben am Bahnhof gewohnt, und damals zu den Zeiten der UdSSR war der Verkehr sehr rege. Es gab mal Unfälle mit Containern, mal was Anderes. Uns wurde aber nichts erzählt, deshalb haben wir nichts gewusst. Aber es konnte kein Zufall sein, dass so viele Pathologiefälle in einer Straße zu finden waren.
Etwas musste in Gewässer geraten sein. Und alle Betroffenen waren im gleichen Alter, alle haben in parallelen Klassen gelernt. Und das war´s. Genetisch war mein Sohn gesund. […] Und mit seiner Pathologie war er 1,80 Meter groß. Er hatte goldene Hände. Na, so ist es gekommen. So habe ich ein bisschen über mein Leben erzählt. Ich war Sekretärin der Parteiorganisation. Im Alter von 33 Jahren habe ich die Parteiorganisation geleitet. Ich war auch Mitglied in der Komsomol- und Pionierorganisation. Es ist einfach so gekommen... was Forschung und Wissenschaft betraf, war ich da schwach begabt. Meine Tochter aber ist Kandidatin der Wissenschaften, Dozentin und Psychologin. Sie schreibt Artikel, diese Eigenschaften hat sie von ihrem Großvater vererbt. Ich bin mehr nach meiner Mutter geraten. Ich löse lieber organisatorische Probleme. Und im Alter von 28 Jahren wurde ich Laborleiterin, Sekretärin der Parteiorganisation. Vielleicht wäre es ganz anders gekommen. Ich wäre nicht nach Tschernobyl geraten, wenn ich keine Kommunistin [...] gewesen wäre. Ich habe Verantwortung übernommen, weil ich einen Eid geleistet hatte. [...] So ist das Leben. [...] Zuerst war Tschernobyl, danach Vietnam. Mein Ehemann wurde nach Vietnam geschickt.
N.K.: Na so was!
N.T.: Genau das hat mich und meine Gesundheit vielleicht gerettet. [...] Ich bin bei einem Arzt-Professor geraten, der … Und sie hatten damals während der Napalm- Bombenangriffe zwar keine aggressive Atomenergie, aber sie hatten ja giftige Stoffe, die sie ... Ich habe instinktiv alle Früchte gegessen, besonders Kokosnüsse. Ich habe den inneren Teil ausgegessen.
N.K.: Das heißt, dass Sie damals auch im Vietnam waren, oder?
N.T.: Ja, genau.
N.K.: Mit Ihrem Ehemann?
N.T.: Ja, mit meinem Ehemann.
N.K.: Na so was! Und wie ist es dazu gekommen?
N.T.: Na, er war Mitglied einer Militärbauorganisation.
N.K.: Ach so, klar.
N.T.: Er war keine Militärperson, weil ich ihm einmal gesagt habe, als er noch Soldat werden wollte, entweder müsse er mich oder den Soldatenmantel wählen . [...]
N.K.: Na, und wie war’s mit der Sprache?
N.T.: Na, die Sprache ... In den Zeiten der UdSSR waren wir sozusagen hinter Stacheldraht. Aber davor habe ich 1981 Vietnam besucht, damals wurde mir ein Urlaubsscheck verliehen.
N.K.: Wow!
N.T.: Sehen Sie, … wenn jemandes Leben zum Beispiel grau ist, dann ist alles schlimm...
N.K.: Meinen Sie, dass Ihr Leben sozusagen ziemlich bunt war?
N.T.: Ja, ganz genau. Es gab sowohl schlechte als auch gute Momente, weil das Wissen, dass mein Kind stirbt, ist ja eigentlich... Und das in meinen Händen gestorbene Kind zu begraben, ist ...
N.K.: Na, das ist wirklich schwierig...
N.T.: Und am 17. März war sein Todestag und genau an dem Tag 12 Jahre und 12 Stunden später wurde meine Enkelin geboren. So war es.
N.K.: Na ja.
N.T.: Können Sie sich das vorstellen? Da sitzen wir, es ist der Gedenktag und da bekommt meine Tochter ein Kind. Ich meine, dass es 365 Tage im Jahr gibt, und es so gekommen ist, dass sie genau an dem Tag ihr Kind zur Welt gebracht hat, um...
N.K.: Genau an dem Tag.
N.T.: Ja, genau.
N.K.: Na, das ist Ihr Schicksal, damit Sie sich ein bisschen freuen können.
N.T.: Und da haben sie sich für ein weiteres Kind entschieden. Sie wollten entweder einen Jungen oder ein Mädchen. Und letztendlich haben sie noch zwei Mädchen zur Welt gebracht. So habe ich nun drei Enkeltöchter, alle sind bildschön. Jetzt zeige ich Ihnen ein Bild von ihnen. Hier. . Na, als ich zum ersten Mal in Vietnam war, war das die Nachkriegszeit. Im Jahre 1978 war der Krieg zu Ende. Es gab 20 Personen aus Charkiw. So geriet ich nach Vietnam. Das musste meine erste Reise gewesen sein und ich habe meine Brille in einem Hotelzimmer liegen lassen. Und ein Vietnamese, er war unser Reiseleiter, hat sagt, dies sei ein Anlass zurückzukehren. Ich habe damals gedacht, dass er Recht hatte. Das Land hat mich mit seiner Schönheit frappiert. Das war die Nachkriegszeit, alles war sehr interessant. Und es ist so geschehen, dass mein Ehemann im Jahre 1987 in den Vietnam geschickt wurde. Meine ersten Worte waren damals: „Na also!“
N.K.: Die Brille (Lachen).
N.T.: Die Brille. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich ... Und warum ich noch auf den Vorschlag eingegangen bin und auch noch meine Tochter mitgenommen habe, obwohl sie das einzige Mädchen in der fünften Klasse war. Ich habe eine Erlaubnis vom Ministerium für Bildungswesen bekommen, denn ich habe meine Hochschulausbildung absolviert, deshalb durfte ich meine Tochter selber unterrichten. Sie hat ihre Schule mit goldener Medaille absolviert. Das Studium an der Universität hat sie mit Auszeichnung abgeschlossen, obwohl ich ihr nur ein Jahr Hausunterricht gegeben habe. Das hat mich in gewisser Weise gerettet, denn drei Monate nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl hat sich bei mir ein Geschwulst entwickelt.
N.K.: O je!
N.T.: Und es wurde an meiner Hand entfernt.
N.K.: Wann haben Sie zum ersten Mal vom Unfall in Tschernobyl gehört?
N.T.: Ich habe das am 27. April erfahren.
N.K.: Aha, das heißt sofort, nicht wahr?
N.T.: Ich habe immer auf meinem Arbeitstisch einen Empfänger. Und damals hat noch niemand darüber gesprochen. Am 27. April um 3 oder 4 Uhr nachmittags habe ich im Radio in den Nachrichten gehört, dass es auf dem Dach des Reaktors des Tschernobyler Kraftwerks einen Brand gegeben haben soll. Das werde ich nie vergessen.
N.K.: Wurde mitgeteilt, dass ein Unfall passiert ist?
N.T.: Nein. Ich muss gestehen, dass es mir immer kalt über den Rücken läuft, wenn ich mich daran erinnere. Aber damals hatte man nicht so viel Angst, weil uns gesagt wurde, dass auf dem Dach einen Brand gegeben hat. In Charkiw hat man nicht mehr gewusst. Aber am 30. April gab es schon Gerüchte. Und da mein Vater ein progressiver Mensch war und „Radio unserer Feinde“ gehört hat, …Er war ein gescheiter Mensch, deswegen hat er sich für alles interessiert. Um so mehr für solche Atomangelegenheiten.
N.K.: War das sein berufliches Interesse?
N.T.: Ja, das war sein berufliches Interesse. Und damals haben wir im Radio gehört, dass es eine radioaktive Wolke über Schweden gab. Und das war das erste Mal, als er angefangen hat, darüber zu sprechen. Und wer nichts weiß, wer unbewaffnet ist, ist schutzlos. Und am 30. April sind wir ins Grüne gefahren, und zwar zu einem Fluss am Rande von Charkiw. Aber ich erinnere mich nicht, wo wir genau waren. Und was mich in Erstaunen versetzt hat, waren lange Wagenkolonnen: Feuerlöschfahrzeuge, Rettungsautos, Lkws und Militärfahrzeuge. Sie sind Richtung Kiew gefahren. Da waren wir auch. Und wir haben in der Sonne gelegen. Das Wetter war schön. Wir haben uns erholt und in Zelten übernachtet. Und danach regnete es noch. Und wir waren ja alle da, mit unseren Kindern. Niemand hat etwas gewusst.
Am ersten und zweiten Mai fanden dann die Mai-Kundgebungen in Kiew statt. Und erst nach dem 9. Mai, vielleicht am 10. Mai wurde eine Verordnung verabschiedet, dass Laboranten ins Badehaus geschickt werden sollten, das sich auf dem Moskauer Prospekt befunden hat. Das Badehaus war wirklich sehr gut. Da waren auch Pferde. In dieses Bad wurden Laboranten mit Mikroskopen und Reagenzien geschickt. Es war sozusagen wie ein Arbeitsplatz [...]. Und danach sind die ersten Menschen aus Prypjat gekommen.
N.K.: Aha, das heißt, dass sie sofort dorthin, ins Badehaus geschickt wurden.
N.T.: Sie wurden sofort ins Badehaus geschickt. Und es hat eine Woche gedauert. Die Brigade, mit der ich gearbeitet habe, hat nichts gewusst und ich war die Einzige, die verstanden hat, was wirklich los war. Und diese armen Leute... Und diese Laboranten, wenn sie zurückgekommen sind und über diesen Schrecken erzählt haben, haben sie alles mit ihren eigenen Augen gesehen. Da war ich nicht, aber ich habe lange mit den Leuten gearbeitet, die in diesem Bad waren. Es hat Schrecken erregt, wenn die Menschen gezwungen wurden, sich auszuziehen und ihnen neue Kleidung ausgegeben wurde. In Slawutytsch und Prypjat haben die Menschen wohlhabend gewohnt. Die Lebensqualität war wohl dort fünfmal besser als hier. Alle Kleidungsstücke waren Importwaren. Alle Anzüge und Wäsche waren sehr gut. Und im Bad mussten sie sowjetische Kleidung mit zwei Knöpfen anziehen. Sie waren so jung. Sie waren nicht älter als 25- 30 Jahre. Sie wurden ausgezogen, gewaschen und ihr Blut wurde untersucht. Und wenn die Konzentration von Leukozyten zu niedrig war, dann wurden sie zu einer medizinischen Kommission geschickt. Und eine Freundin von mir namens Nina hat mir erzählt, es sei zu einer Situation gekommen. Das sei eine Dummheit gewesen. Ein junger Mann habe neue Schuhe von Adidas gekauft. Und im Badehaus habe er seine Kleidung abgegeben: seinen Sportanzug, alles. Und von seinen Schuhen habe er sich nicht trennen können. Und dadurch war die Strahlung hoch. Natürlich habe man sie vielmals mit einer speziellen Lösung dekontaminiert, aber das hat nicht geholfen. Und der junge Mann habe geweint.
N.K.: Na klar.
N.T.: Die Jugendlichen haben sogar nicht verstanden, aus welchem Grund dies alles geschehen war. Der Junge hat alle krank geärgert. Es war ein großer Schrecken für ihn. Er war niedergeschlagen. Und die Kinder haben schreckliche fremde Klamotten angezogen. Sie sind angekommen, ohne etwas mitzunehmen, außer Pass, Geld und Kleinigkeiten. Das heißt, dass sie fast nackt und barfüßig angekommen sind. Und aus psychologischer Sicht haben sie begonnen, zu begreifen, was los war, als sie erst ins Badehaus, in die Verteilerzentren geraten sind. Als sie in die Busse eingestiegen sind, haben sie das noch nicht verstanden. Das war mein erster Eindruck. Tatsache ist, dass ich am 23. Februar 1986 eine akute Venenentzündung hatte. Ich wurde operiert und einige Venen wurden entfernt. Ich hatte noch Binden. Und am
16. August bin ich schon nach Tschernobyl gefahren. Mit meinem verbundenen Bein [...]. Und was am scheußlichsten in den Zeiten unserer sozialistischen Realität war, war, dass ich zwei Kinder hatte und mein Sohn behindert war. Man hat gedacht, dass er jede Minute sterben könnte. Und im Laufe von 18- einhalb Jahren habe ich gedacht, dass er jeden Moment sterben kann. Als er noch klein war, habe ich seine Beine angefasst und überprüft, ob er tot oder lebendig ist. Das war ein schreckliches Leben.
Ich habe mir ein Bein gebrochen, als ich ihn auf meinen Schultern getragen habe, weil er mir in einigen Momenten sehr leid getan hat, er war doch bläulich…All das (seufzt) war ein Alptraum. Und danach hatte ich, eine junge Frau, eine akute Phlebitis und ein Krankenwagen hat mich ins Notfallkrankenhaus gebracht und dort wurde ich operiert. Und ich bin in eine Bezirksabteilung für Gesundheitswesen gegangen, als ich den Auftrag für eine Dienstreise bekommen habe. Dieses Papier liegt irgendwo zu Hause. Und es stand dort geschrieben: in 20 ... in der 30-Kilometer-Zone – nicht in Tschernobyl, sondern im Kiewer Gebiet und für 20 Tage. Ich war in der Bezirksabteilung für Gesundheitswesen und habe gefragt: „Was soll ich tun? Mein Bein ist doch noch verbunden, ich habe ein behindertes Kind…“. Er hat sagt: „Natalia, du bist ja jung, bla bla bla, bla bla bla, für 20 Tage reist du ins Kiewer Gebiet, 60 Kilometer“. Ich war Ärztin und Kommunistin. Den anderen waren meine Probleme egal. Ich erhielt die Bescheinigung, dass ich keine Kontraindikationen hatte. So wurden Menschen behandelt. Niemand hat gewusst, wohin und wozu man dorthin geschickt wurde. Und deshalb wurde uns nicht gesagt, was wir mitnehmen sollten, wie wir uns benehmen und schützen sollten. Wir hatten nur die Kenntnisse, die wir einst im Zivilschutz-Unterrichtbekommen haben, und wie war es? Zum einen Ohr hinein, zum andern wieder heraus. Nennen wir die Dinge doch beim Namen – niemand war darauf vorbereitet. Schon nach dem 26. April… Es war am 16. Mai…Und den ersten Brief habe ich am 4. Mai bekommen. Aber ich war damals krankgeschrieben. Damals war ich…
N.K.: Wollten sie Sie früher schicken?
N.T.: Am 4. Mai. Die erste Dienstreise sollte am 4. Mai anfangen. Aber ich war bis zum 15. oder 20. Mai krankgeschrieben, die Nähte waren noch nicht entfernt. Das Bein war noch nicht in Ordnung. Ohne mich zu fragen. Dabei wollte ich nicht in Ohnmacht fallen, wie es meine Kollegen im Krankenhaus gemacht haben. Ich arbeite in jenem Krankenhaus seit 38 Jahren. Es gab Kollegen, die einberufen wurden: sowohl Frauenärzte, als auch Therapeuten, alle. Jemand wurde ohnmächtig, sagte: „Ich gehe nicht, auch wenn Sie mir mein Diplom abnehmen“. Das konnte ich mir nicht erlauben. Obwohl ich sagte, dass ich mich, meine Familie schützen musste: ein Kind war in der ersten oder zweiten Klasse, und das andere – in der vierten oderfünften.
N.K.: Die Kinder waren noch klein.
N.T.: Stimmt. Aber leider hat das keine Rolle gespielt. Im Bus war ich mit einem Notfallteam. Und es waren 2 oder 3 Leute, die in den ersten Tagen in der Region waren, das heißt, sie wurden zum zweiten Mal nach Tschernobyl geschickt. Und in Iwankowo wurden die Ärzte eingeteilt. Jemand sollte ins „Grüne Kap“, es gab auch andere Orte, ich sollte nach Tschernobyl, weil ich ein Pechvogel bin.
N.K.: Und auf welche Weise? Einfach eingeteilt?
N.T.: Wir wurden eingeteilt. Uns wurde eine Liste gezeigt…
N.K.: Klar. Hat man nicht vorher gefragt, wer wohin fahren wollte?
N.Т.: Aber ich kann sagen, dass es dort ein paar Juden gab. Einer hat die ganze Zeit gebrummt: „Warum bin ich nicht nach Israel ausgewandert?“. Ich erinnere mich sehr gut daran… Er hat in einer Klinik für Dermatologie und Venerologie gearbeitet. Und das ist mir im Gedächtnis geblieben, ich erinnere mich an sein Gesicht nicht so gut, er hatte Angst. Und ich hatte Angst…wissen Sie, als ob ich der Todesstrafe folgen sollte...
N.K.: Hatten Sie keine Angst mehr?
N.T.: Ich war in Ungewissheit. Aber als dann Tschernobyl selber eingeteilt wurde, dachte ich „Das ist mein Schicksal, mein Los“. Ich sollte drei Laboranten haben, und ich war Ärztin. Aber nur zwei sind angekommen…Eine von ihnen war eine Frau, die schon während des Kriegs Krankenschwester, Laborantin war. Ihre Hände zitterten, sie war fast 70 Jahre alt.
N.K.: Sie auch? Wieso? Ihre Hände zitterten und sie wurde auch dorthin geschickt?
N.T.: Ja. Aber sie ist freiwillig gefahren.
N.K.: Das ist bemerkenswert.
N.T.: Sie war der einzige Mensch, der damals freiwillig dorthin gefahren ist. Wie Sie verstehen, als Ärztin und Verantwortliche habe ich die verantwortungsvollste Arbeit ausgefüllt, weil ihre Hände gezittert haben. Und sie hat gesagt: „Bleiben Sie sitzen, schreiben Sie etwas, und wir arbeiten“. Ich hatte die notwendigen Fähigkeiten, ich habe alle diese Methoden gekannt. So hat unsere Brigade bei der Poliklinik ausgesehen. Vielleicht haben Sie etwas über Maja Grigorjewna Fomina gehört, sie ist schon tot und es gibt ein Flachrelief zu Ehren von dieser Frau an der Wand der Poliklinik № 20. Sie war ein Mensch, vor dem man den Hut ziehen muss. Sie brachte zur Poliklinik…Ich wurde von der Nothilfe geschickt, aber unsere Brigade war bei der Klinik. Sie hat alle Rentner rausgefahren. Dort war nur ein junges Mädchen. Und als sie diese Brigade formiert hat, hat sie gesagt: „Wer nicht will, schreibt einen Kündigungsbrief“. Und es war so schön, dass sie das gemacht hat. Sie hat so viele Menschen aus dem Pflegepersonal vor diesem Entsetzen gerettet…
N.K.: Junge Leute.
N.T.:…. Junge Leute. Warum? Wenn es junge Männer sind, haben sie alle 4 Jahre ein neues Sperma und können gesunde Kinder haben. Und Frauen haben Eizellen, eine bestimmte Menge für das ganze Leben. Und wenn diese Eizellen bestrahlt wurden und einen negativen…
N.K.: Einfluss.
N.T.: …Einfluss erhielten – das war´s, frau bekommt keine gesunden Kinder. Das ist der Unterschied zwischen dem weiblichen und männlichen Körper. Ich habe diese Frau verehrt. Und Tatsache war, dass ich schon zwei Kinder hatte und wusste, dass ich wegen meiner Krankheiten und dieser Situation keine Kinder mehr bekommen konnte. Wir sind mit dem Bus angekommen. Und wie sehen solche Busse aus? Es waren LAS (ein Bus, der im Kraftwagenwerk in Lwiw produziert wurde). Als wir an diesem Ort angekommen sind, war die Feuchtigkeit auffallend, das war der erste Eindruck. Da war keine Baracke, wir wurden in ein einstöckiges Krankenhaus einquartiert. Feuchtigkeit. Und warum war es nass? Weil alles die ganze Zeit mit diesen ...
N.K.: Mitteln.
N.T.: Mitteln bestreut wurde. Alles wurde dekontaminiert und deshalb war dort so ein merkwürdiger Geruch. Als wir endlich da waren, hatten wir sogar Angst, ehrlich gesagt. Und du denkst: „Gott, wohin bin ich nur geraten?“ Du weißt nichts, überhaupt nichts. Wir haben die Wache übernommen. Die Leute von der früheren Schicht konnten nicht mehr auf uns warten. Und am nächsten Tag haben wir 18 Stunden gearbeitet. Das heißt, wir konnten erst in die Nacht nach 10 Uhr duschen, solange das Badehaus... Es war nicht an diesem Ort, wir wurden zu einem anderen Badehaus gefahren, wo man auch als Brigaden Schicht gearbeitet hat. Dort gab es einen Friseursalon und ein Badehaus. Und wenn wir anfangs noch alle 2-3 Tage lang unsere Kleider gewechselt haben, denn wir bekamen dort neue Kleidung, dann mussten wir sie später waschen. Das heißt, Kleidung wurde uns nicht mehr für jeden Tag gegeben. Du sollst... Um 6 Uhr morgens kommt der Bus an. Der Bus bringt 30-40 Personen und sie gehen zur Arbeit. Wir müssen Blutproben nehmen. Und während einer Stunde musste Blut untersucht werden. Es gab ja keine Geräte.
N.K.: Alles von Hand?
N.T.: Wir haben Mikroskope mitgenommen. Ich und die Mädchen aus anderen Krankenhäusern haben das gemacht. Mikroskop, Zähler, Farbstoffe, Zählkammern: wir hatten sozusagen ein komplettes Minilabor bei uns, wir haben alles in 2 Kisten mitgebracht. Aber später haben wir unsere Geräte dort liegen lassen. Ein Bus kommt an, wir nehmen sofort Blutproben. Bei ziemlich vielen Leuten waren die Leukozytenwerte nicht hoch genug. Unter 40 waren immer sicher 8-7 Personen, deren Organismen eine verringerte Leukozytenzahl auswiesen. Und wenn die Anzahl der weißen Blutkörperchen abfällt, dann zeigt sich schon die Wirkung von Strahlung und schon braucht die betroffene Person, zum Beispiel, zusätzliche Nahrung oder durfte nicht mehr in den Reaktor zurück. Wir waren 8-10 km vom Reaktor entfernt. Wir wurden nicht in die saubere Zone gebracht. Nur Militär und Partisanen. Wir haben im Krankenhaus gewohnt.
N.K.: Sie haben dort gewohnt und waren auch die ganze Zeit dort. Stimmt das?
N.T.: Wir haben dort gewohnt, gewaschen, gegessen, getrunken. Wir haben in Kantinen gegessen und getrunken. Die Krankenzimmer waren groß. In unserem war die Strahlung beim Fenster enorm hoch, so wie die draußen und daher versuchten alle, so weit wie möglich davon entfernt zu schlafen. Und im Korridor war die Strahlung nicht so hoch. Wir wurden wie Vieh behandelt. Die Ärzte hatten keine Schutzkleidung, keine Schutzmasken, Wir haben nur einfache Atemmasken erhalten. Sie haben uns ein bisschen geschützt. Aber nicht alle haben Atemmasken benutzt.
N.K.: Gab es genug Atemmasken?
N.T.: Nein. 1-2 pro Tag. Ist das genug?
N.K.: Klar.
N.T.: Und wenn wir in die Kantine rennen mussten? Sie war nicht neben dem Krankenhaus. Am Anfang gingen wir über den Fluss Prypjat. Später wurde eine Autowerkstatt geöffnet. Die Italiener haben eine Linie gemacht, wo sogar Regale mit Aufwärmfunktion waren. Für uns war das etwas Neues. Sehr schön. Da war Metallgeschirr. Alles war gut organisiert. Und natürlich haben wir gut gegessen. Ich habe immer versucht abzunehmen. Als ich aus Tschernobyl zurückgekommen bin, hatte ich 3 Kilo zugenommen. Weil ich dort so viel Fleisch gegessen habe. Ich wusste, dass es notwendig war. Ich habe das als Ärztin verstanden. Wenn ich nicht genug esse, bekomme ich ...
N.K.: Keine Energie und so weiter…
N.T.: Keine Energie. Der Körper entfernt [schädliche Stoffe]. Womit werden sie entfernt? Mit Schweiß, mit Fäkalien, Urin ... Es ist besser zuzunehmen, als hungrig zu sein, Sonst kann der Körper nichts Schädliches entfernen. Das waren meine Gedanken zu diesem Thema. Deshalb haben wir gut gegessen, ich und meine Mitarbeiter, die auch ... Wir haben sehr viel Nahrung bekommen. So viel habe nie zu Hause gegessen. So ist es. Aber wir waren auch draußen und die Atemmaske war für den ganzen Tag. Es gab Menschen, die dort geraucht haben. Ich habe, Gott sei Dank, nie geraucht. Ich kann sagen, dass mehr als die Hälfte der Leute, mit denen ich gearbeitet habe, gestorben sind. Es leben nur noch 7 oder 8. Fast alle sind schon gestorben. Einige waren ziemlich alt und bei anderen ist das ihr Schicksal. Es gibt Frauen, die behandelt werden müssen. Im Allgemeinen sind Frauen ... Und zweimal pro Jahr wühle ich in meinen Gedanken, in meinen Sorgen. Und wieder entdecke ich Angst, denn die Gefahr ist unsichtbar. Wenn wir die Pistole oder den Panzer als Beispiel nehmen, dann ist die Angst verständlich. Aber in diesem Fall…
N.K.: ist sie unverständlich.
N.T.: Stimmt. In diesem Fall ist nichts verständlich. Aber warum? Das waren meine Eindrücke, es war schon August oder Anfang September, es haben große Äpfel gehangen. Und manche haben die Äpfel gegessen. Wir haben die ganze Zeit versucht die Leute zu überzeugen und gesagt: "Jungs, esst die Äpfel nicht! Man gibt uns Wassermelonen in der Kantine und ... ". Habe ich Sie wohl mit meinem Gespräch ermüdet?
N.K.: Nein, alles ist OK. Erzählen Sie weiter.
N.T.: Wir haben sie einfach ... Da wir, Ärztinnen, noch nicht alt waren, kamen sie in die Klinik als ob das eine psychotherapeutische…
N.K.: Abteilung.
N.T.: …Abteilung gewesen wäre. Und wofür? Es gab sehr wenige Frauen. Es gab Tausende, Tausende von Menschen. Etwa 250 davon waren Partisanen. Und wie viele Soldaten waren da? Und sie kamen, sie wollten Kontakt mit uns aufnehmen und brauchten Trost. Weil sie Angst hatten. Aber es war nicht so schrecklich. Und wir haben im Krankenhaus gewohnt. Es war von einem Garten umgeben. Dem Garten mit riesengroßen Äpfeln. Es gab verlassene Grundstücke, es gab auch Gärten. Es war unglaublich schön. Katzen konnte man nicht totschießen. Es gab keine Hunde, ich habe keinen Hund gesehen. Da waren Katzen. Sie vermehren sich alle 3 Monate, das heißt, sie hatten bereits solche Würfe. Es waren schäbige Kätzchen, sie hatten nackte Haut, Reste von Katzenhaaren. Wir haben uns daran gewöhnt, solche Kätzchen zu sehen. Eines Tages haben wir ein totes Kätzchen gefunden, und es hatte einen unterentwickelten zweiten Kopf.
N.K.: O je!
N.T.: Es war im Hof ... Ich habe das nicht geschrieben, aber ich war als Ärztin voll schockiert.
N.K.: Das war erschreckend.
N.T.: Und trotzdem haben wir die Tiere gefüttert. Die Katze hatte keine sichtbaren Gesundheitsprobleme. Aber der Wurf der Kätzchen war schrecklich. Da war der unsichtbare Tod, der uns umgab. Wir sind den Gehweg entlanggegangen, er wurde sofort gewaschen, die Grundstrahlung, Die Strahlungswerte waren überall unterschiedlich. Hier ist die Strahlung noch OK, ein Meter weiter piepst schon dein Dosimeter ... Uns wurde nichts erzählt, uns wurden keine Zahlen mitgeteilt, nichts.
N.K. WurdenIhnen nicht gesagt, wohin man gehen durfte und wohin man nicht gehen durfte?
N.T.: Nein, man hat gesagt: „Benutzen Sie die Fußwege.“ Die dort arbeitenden Männer haben zu viel Strahlung bekommen. Man ging z.B. in eine Ecke, um zu pissen, und dort war eine so enorm hohe Strahlung, so dass sie über eine Messskala hinausging. Keine guten Geräte hatten wir damals, sogar als sich das Reaktorunglück von Tschernobyl ereignet hat, gab es keine Geräte, die die Strahlung richtig messen konnten. Sie ging über die Messskala hinaus.
Tatsache ist, dass es dort Dosimeter gab, von denen wir nichts gewusst haben. Damals wurde der Sarkophag noch nicht gebaut. Als man begann, den Reaktor abzudecken, hat es ständig gefaucht, weil alles, was abgedeckt wurde, durch riss. Man konnte das nicht schaffen. In unserem Krankenhaus waren auch Haushühner, die nicht totgeschossen wurden. Ich erinnere mich daran, dass es eine Stelle zwischen den Haushalten und dem Krankenhaus gab, wo ein Haufen von Eiern war. Keine Bruthenne hat das gemacht, alle Eier wurden auf diesen Haufen gelegt.
N.К.: An eine Stelle?
N.Т.: Ja. Die Anzahl der Eier im Hof war erstaunlich. Und dann haben wir dort eine Henne gesehen, , die die Hühnchen gebrütet hat. Und jetzt rennen wir, einige sind mit Atemschutzgeräten. Ich habe es immer benutzt, ehrlich gesagt, denn ich habe zwei Kinder.
N.К.: Na, klar…
N.Т.: Wir laufen. Das Gras ist so grün, der Himmel ist so blau, die Sonne scheint. Ich sage: „Mein Gott, das Leben geht weiter!“ Hier ist die Bruthenne, hier sind gelb Kücken. Ich habe einen Aufschwung empfunden, weil wir das Leben gesehen habe. Und am nächsten Tag rennen wir. Die Henne geht, und der ganze Fußweg ist mit gelben Leichen gedeckt. Jedes Mal, wenn ich mich daran erinnere, bekomme ich eine Gänsehaut. Ein altes, ein erwachsenenreifes Lebewesen oder ein Individuum wird durch Strahlung nicht sehr stark beeinflusst, und alle gestern geborenen Hühnchen sind gestorben. Das ist mein Beispiel. Und wenn ich Schüler darüber erzähle, reagieren sie so: „Strahlung. Na und? Alles ist klar“. Aber der Tod der Küken hat mich ins Mark getroffen. Das war wirklich ein sehr beeindruckendes Bild für mich. Und ich konnte…
N.K.: Das ist ein beeindruckendes Beispiel.
N.T.: Ich male gern und ich habe das alles gemalt. Dieses Gras. Alles, die gelben Küken. Nach diesem Unglück haben einige von uns damit begonnen, Atemschutzgeräte zu benutzen. Wir konnten das Krankenhaus, die Klinik nicht zusammen verlassen und gingen in kleinen Gruppen essen.
N.K.: Klar.
N.T.: Jeder hat begonnen, sie zu benutzen, weil…
N.K.: War das der Einfluss des Unglücks mit den Küken?
N.T.: Ja, ja, ja. Noch bevor Frauen zu Abtreibungen gezwungen wurden, hatte ich… so viel Angst, so viel Mitleid, so viel Ausweglosigkeit, dass ich… Wie sind viele Menschen dorthin gelangt? Sie sind als Fernmelderinnen oder Ärzte gefahren, manche Leute haben in der Nähe von Tschernobyl gearbeitet. Zum Beispiel gab es dort eine Fachschule für Käse,- Fleischmilch- oder Milchindustrie, daran erinnere ich mich nicht genau. Junge Frauen wurden gezwungen Sand aufzuladen oder zu entladen, sie wurden nicht aus Tschernobyl evakuiert. Dort war auch eine technische Fachschule. Ich habe ein Mädchen gekannt. Nicht ein Mädchen, sondern eine junge Frau, die lange nicht schwanger werden konnte. Aber sie wurde sofort schwanger, als sie zurückgekommen ist. Oder sie ist dorthin mit einer kurzen Schwangerschaftsfrist gefahren. Kurz gesagt, sobald man in Tschernobyl angekommen war, wurde man untersucht. Wenn eine Frau schwanger war, wurde sie zur Abtreibung gezwungen Ich weiß nicht, wie sie dem entging und wegfuhr. Sie stammte aus Tschernobyl. Aber sie fuhr nach Luhansk. Sie erhielt ihr Kind und hat es zur Welt gebracht. Sie musste sich verstecken, weil es wie eine Fahndung war. So war es früher: wenn jemand eine Geschlechtskrankheithatte, wurde überprüft, mit wem und wann man wo war, wohin und wofür man ging. D.h., jede Ermittlung wurde vollständig durchgeführt. Ich weiß, dass Adresse und Verhältnisse auch überprüft wurden.
N.K.: Na so was!
N.T.: Sie sind jung und können sich nicht vorstellen, wie es war. Bei uns in Bavaria, ich arbeite in Bavaria (ein Stadtbezirk von Charkiw), wurde bei einem Fahrer Tripper festgestellt, dann zum zweiten Mal. Jetzt wissen wir nicht, wer daran erkrankt ist. Man geht in eine Apotheke, kauft ein Antibiotikum, nimmt eine oder zwei Tabletten, man hat keinen Tripper mehr. Und damals wurde man auch mit Injektionen behandelt. Es gab keine passenden Medikamente. Man wurde unmenschlich behandelt. Kurz gesagt, er wurde untersucht und dann hat er gesagt: „Das letzte Mal war ich mit der Frau zusammen, die Autos prüft, mit der Dispatcherin“. Na, sie wurde in die Klinik für Dermatologie und Venerologie eingewiesen. Sie hat ihr Notizbuch geöffnet und gesagt: „Nein, ich war damals nicht mit diesem Mann“. Sie hatte...
N.K.: Ein Notizbuch? (lacht)
N.T.: ... ein Notizbuch, wo sie rein schrieb, mit wem sie war (lacht).
N.K.: Wirklich?! Ein Notizbuch.
N.T.: Aber dieser Fall ist kein Witz.
N.K.: Ich verstehe.
N.T.: Kurz gesagt, wurde die Wahrheit ans Licht gebracht. Es erwies sich, dass eine Zehntklässlerin, zu der Milizionäre gingen, mit jenem Fahrer war. Fahrer waren das diskreditierteste Kontingent. Diskreditiert waren auch Milizionäre, Fahrer und Händler. Und dieses Mädchen hat etwa 50-60 Männer infiziert. Alle dachten, dass sie eine Jungfrau war. Und dann wurde alles klar. Deshalb sage ich, dass alles wirklich ernst war, alle diese medizinischen Fälle.
Und einige sind geblieben. Ich wurde in einem Sanatorium behandelt, ich war mit einer Frau aus Lwiw befreundet. Sie konnte nach ihrer Abtreibung keine Kindermehr bekommen. Sie ließ sich von ihrem Mann scheiden und ihr Leben kam nicht mehr in Ordnung. D.h., das war so zerstörerisch für Familien. Und Männer, die schon Probleme mit der Potenz hatten… Das sind auch gewisse Momente. Eines Tages sollte ich eine Kommission untersuchen. Das war auch eine interessante Geschichte. Wir haben in einer schmutzigen Zone gewohnt, wir wurden um 3 Uhr morgens aus der 30-Kilometer-Zone ausgefahren um eine Regierungskommission zu untersuchen. Eine Brigade wurde genommen und um 3 Uhr morgens wurden wir ausgefahren und gewaschen. Die Abfahrt war aus Detjatki. Der Krankenwagen wurde 40 Minuten von Feuerspritzen gewaschen. Wir sitzen im Krankenwagen, das gewaschen wird, und haben das Gefühl, dass dieser Sprühstrahl jetzt an uns vorbeikommt. Nun ist die Nacht, stellen Sie sich vor, die Nacht, es ist unheimlich, dieser Schaum fliegt herum. Und sie waschen und prüfen, waschen und überprüfen die Dekontamination. Und ich musste dreimal den Vorsitzenden des Ministerrates und den Vertreter des Gesundheitsministers und viele andere Leute untersuchen. Der alten Ärztin mit zitternden Händen konnte ich diese Aufgabe nicht geben. Und ich habe das an ihrer Stelle gemacht, es wäre beschämend gewesen...
N.K.: Na klar.
N.T.: So viel Vertrauen. Es gab dort zwei Brigaden von Laboranten aus Iwankiw und Charkiw.Wir haben das zum ersten Mal gemacht… Sie haben Proben genommen, wir auch. Dann sagten die Ärzte von der vierten Verwaltung: „Nein, Iwankiwer Laboranten sollen beim Dienstpersonal Proben nehmen, und Sie nehmen unsere, Sie tun es einwandfrei“. Sie haben gar nicht gewusst, woher wir kamen, woher die zweite Brigade kam. Die Hauptsache war, dass sie Proben in die Hand genommen haben und es klar wurde...
N.K.: Wer es besser macht?
N.T.: Ja, ja. Und dann gestand ich ein, dass ich Ärztin war… Und wissen Sie, ihre Proben… Alle haben gesagt: „Was konnte ihnen passieren? Die Kommission ist geflogen“. Mannomann!
Sie haben sehr große Strahlendosen erhalten. Warum? Sie flogen mit Helikoptern mit Bleikissen und flogen um Objekte herum. Sie kamen mit hohen Blutproben an. Wenn wir dann die Blutproben genommen haben, sind alle Blutwerte abgefallen, Leukozyten und Hämoglobin. Das heißt, sie haben sehr große Strahlendosen erhalten. Das haben wir auch nicht gewusst. Jetzt würde ich sie mit einem Messer am Herzen, an der Kehle fragen: „Und welche Dosen haben Sie dort bekommen?“ Aber damals war es unmöglich, ihnen Fragen zu stellen. Sie haben japanische graue Tabletten eingenommen, die unserer "Antipolizei" ähnlich waren. Wir waren schon bei Notärzten, ich habe 2 oder 3 Tabletten bekommen, die von der Regierungskommission übrig geblieben waren. Sie wurden von Restaurants "Intourists" verpflegt. Dort waren Kellnerinnen in ukrainischen Nationaltrachten. Es gab dort einen Regierungstisch ...
N.K.: Die Regierung wurde sehr gut empfangen.
N.T.: Ja, der Tisch war für Leute aus der Regierung. Das alles war unsere Realität, und nächstes Mal haben die Ärzte von der vierten Verwaltung uns gesagt: „Es ist sinnlos, sie um 3 Uhr morgens dorthin zu fahren. Kommen Sie um 10 Uhr abends nach der Arbeit und übernachten Sie hier im Hotel, um schon um 5.30 Uhr oder um 5 Uhr morgens Proben zu nehmen“. So musste ich zweimal während dieser 33 Tage in der sauberen Zone übernachten. Unser Einsatz hat den Unterlagen nach 31 Tage gedauert, die Tatsache ist, dass niemand uns abgeholt hat, dass die neue Brigade nicht gekommen ist und wir dort bleiben mussten. Aber das wurde in meinen Dienstreisepapieren nicht fixiert. Das heißt, es gab so viele Papiere, dass jemand etwas getan hat. Da ich mein ganzes Leben lang eine Arbeitsstelle hatte, habe ich alle Dokumente aufbewahrt. Hier ist eine Aktenmappe mit Papieren für zwei Personen: eine Frauenärztin und mich. Unsere Arbeit war natürlich anstrengend, deshalb hatten alle Frauen zweimal pro Monat die Periode. Es gab solche Beobachtungen. Dann war Stimulierung. Ein Geschwulst hat sich bei mir entwickelt. Man sagt, dass es 5-6 Jahre lang wachsen kann. Dann erwies es sich, dass es gutartig war und entfernt wurde. Hier habe ich eine Narbe. Ich habe mir diese Hand gebrochen. Mensch! Ich bin nach dem Einsatz krank geworden. Eine Krankheit nach der anderen. Alle, die dort gearbeitet haben, hatten Kopfschmerzen. Durch die Arbeit am verstrahlten Mikroskop wurde ihr Rachen verbrannt.
Noch heute habe ich eine Kehlkopfentzündung und einen metallischen Geschmack im Mund. Wir haben unsere Mikroskope nicht mitgenommen. Einen metallischen Geschmack im Mund hatte ich die ganze Zeit. Mein Rachen wurde ohne Ende bestrichen. Aber es gab nichts was wirklich wirkungsvoll war. Nur Öl wurde verwendet. Das heißt, es gab keine wirkungsvollen Arzneimittel, uns wurde nichts gegeben, niemand hat sich Sorgen um uns gemacht. Deshalb haben wir jeden Tag gedacht: Mein Gott! Wir konnten so viel telefonieren wie wir wollten: Es gab eine Telefonverbindung im Bereitschaftsdienst. Aber ich habe meinen Eltern und meinem Mann nicht gesagt, dass ich in Tschernobyl bin.
N.K.: Damit sie sich keine Sorgen machen?
N.T.: Ja. Damit sie sich keine Sorgen machen. Wir konnten fragen, wie es ihnen ging, das war alles. Die Wörter „gesperrte Zone“, „Tschernobyl“, „Radiation“, „Mannschaftspanzerwagen“, diese Terminologie war verboten. Sobald man etwas Verdächtiges gesagt hat, war die Leitung tot.
N.K.: Aha, das heißt ...
N.T.: Sie war tot. Es wurde alles abgehört, und man durfte nichts Verdächtiges sagen. Eigentlich habe ich das nicht versucht. Während des Einsatzes bin ich eines Tages ins Konzert von Alla Borisowna am Grünen Kap gegangen. Gesichter wurden von Kameras aufgenommen. Ich habe hinter einer Säule gestanden, damit meine Familie mich nicht sehen konnte. Gott bewahre!
N.K.: Warum? Weil…
N.T.: Weil ich dort war. Ich hatte doch eine Dienstreise…
N.K.: Ah, ich verstehe.
N.T.: …Die 60-Kilometer-Zone…Es war in einem Bezirk. Und ich wollte nicht ...
N.K.: Klar.
N.T.: Mein Mann war eifersüchtig und hat viele Fragen gestellt: „Wo? Was?“ Er ist von Charkiw nach Ditjatki gekommen. Und ich habe Briefe aus Iwankowo geschrieben, als ob ich dort gewesen wäre, und die Poststempel waren von dort . Wir haben uns Briefe geschrieben, weil es unmöglich war, normal zu sprechen. „Versiegeln Sie Ihre Briefe nicht“. Das heißt, die Briefe wurden auch überprüft. Mein Mann ist nach Iwankowo gekommen (lacht), ist hin und her gerannt.
N.K.: Und er hat Sie nicht gefunden (lacht).
N.T.: Nicht gefunden. So ist es. Wir hatten viele Verletzungen. Ich konnte nicht verstehen, warum wir so viele Verletzungen hatten. Damals galt das Antialkoholgesetz. Wenn man dort Rotwein getrunken hätte, hätte das vielen Strahlenopfern geholfen.
Strahlung wurde ja sehr gut mit Rotwein entfernt, z.B., mit Kagor, Cabernet oder ähnlichen Weinen. Männern ist es egal, ein Mann ist ein Mann. Ein Glas von selbstgebranntem Schnaps hat etwa 100 oder 120 Rubel gekostet, er wurde eingeführt. Und was ist ein bisschen Alkohol für einen Mann? Das ist alles. Es gibt für ihn keine Hindernisse mehr. Es gab dort eine Autobahn. In der ganzen Welt (das hat mir mein Vater erzählt) hatten alle Atomkraftwerke 4 Fahrstreifen in einer Richtung und 4 in der anderen. Wir hatten nur einen Fahrstreifen in jede Richtung. Später wurden neue gebaut. Es gab oft Frontalzusammenstöße, weil Autos und Krankenwagen endlos gefahren sind und verschiedene Güter und Männer gebracht haben. Daneben waren das Krankenhaus, wo wir gewohnt haben, und eine Unfallstation. Wir waren wie eine untrennbare Einheit. Sie haben dort auch gewohnt. Die Unterstation war auf der anderen Straßenseite. Und die Autounfälle waren sehr schrecklich.
N.K.: Waren Verletzungen hauptsächlich die Folge von Unfällen?
N.T.: Ja. Aber wir wussten nicht, was In Wirklichkeit passiert war. Die Männer vom KGB sind andere Straßen mit anderen Autos gefahren, weil vieles verborgen wurde. Viele Menschen hatten wirklich die Strahlenkrankheit, aber das wurde nicht festgehalten. Strahlenkrankheit durfte diagnostiziert werden, wenn jemand im 3. oder 4. Grad betroffen war und auf dem Sterbebett lag. Eigentlich wurde allen Menschen eine andere Diagnose gestellt. Vegetativ-vaskuläre Dystonie.
Ich habe ein Strahlenopfer gekannt. Bei uns hat eine Röntgenärztin gearbeitet. Sie hat sich selten geschützt, sie hat keine Schutzschürze benutzt. Danach habe ich ihr Blut untersucht. Ihr wurde später die Milz entfernt. Das heißt, dass sie im 1. oder 2. Grad betroffen war. Die Ärzte der vierten Verwaltung haben für den KGB gearbeitet, und sie haben auch nichts davon erzählt. Sie waren die Ärzte der Verwaltung, die... Das heißt, dass dieses Thema unter Verschluss war. Das war strengste Geheimsache. Wir haben tatsächlich nichts davon gewusst. Wir waren da, gingen unseren Geschäften rund um die Uhr nach.
N.K.: Könnten Sie bitte sagen, als Sie nach dem Einsatz zurückgekommen sind, ob das Verhalten von Ihren Kollegen und anderen Menschen Ihnen gegenüber besonders war?
N.T.: Verstehen Sie, man kann alles von zwei Seiten betrachten. Eine Gynäkologin war früher dort als ich. Ihr Einsatz hat nur 2 Wochen gedauert. Aber ich musste dort länger bleiben. Ich habe sie getröstet, sie hat an meiner Schulter geweint und ich habe sie beruhigt. Und zwei Tage später war ich schon dort. Ich bin nach Hause zurückgekommen. Als ob ich an der Front gewesen wäre. Ehrlich gesagt hatte ich ein Gefühl, als ob ich in einer Kriegszone gewesen wäre. Mir wurde einmal angeboten, mit dem Schützenpanzerwagen zum Reaktor zu fahren. Da ich nicht dumm war, habe ich nein gesagt. Ich bin nicht neugierig, sondern wissbegierig. Man kann anders Informationen bekommen. Ich bin nicht dorthin gefahren, Gott sei Dank! Ich bin nach Hause zurückgekommen und habe Menschen über das Erlebte erzählt. Die Mitarbeiter von meinem Labor sind gleichgesinnt und freundlich. Alle Menschen verhielten sich mir gegenüber mitfühlend und haben mir mit Interesse zugehört. Ich habe nicht alles erzählt. Ich konnte nicht alles erzählen. Jetzt kann ich mehr. Vieles hat mich während meines Einsatzes beeindruckt, auch im Haushaltsbereich. Ich will Ihnen erzählen, wie wir eingekleidet wurden. Es ist kälter geworden und der Himmel hat sich zugezogen. Zuerst haben sich die Wolken aufgelöst. Es war regnerisch. Wir haben Herrenhosen zum Knöpfen vorne erhalten. Die Hose war zu groß, Größe 54. Ich war damals natürlich dicker. Uns wurden die Vorräte von Soldaten gegeben. Verzeihen Sie mir bitte intime Einzelheiten, aber es war sehr unbequem, in den Hosen auf die Toilette zu gehen. Riesengroße Hosen wurden durch eine Mullbinde zusammengehalten. Die Toilette war draußen. Ehrlich gesagt waren die Bedingungen schlecht. Außerdem wurde uns Strahlenschutzpulver gegeben, das keine Aufschrift auf der Verpackung hatte. So waren unsere Lebensbedingungen. Wir haben unsere Kleidung gewaschen und abgetrocknet. Bald war die Kleidung nass, bald hatten wir nichts zum Anziehen. Wir mussten uns selbst um unsere Gesundheit und Hygiene kümmern.
N.K.: Ja, Sie selbst.
N.T.: Als wir angekommen sind, mussten wir unsere Kleidung natürlich abziehen. Uns wurden Arbeitswesten gegeben. Wir haben so ausgesehen, als ob wir aus einem Konzentrationslager gekommen wären. Um unser Aussehen haben wir uns keine Sorgen gemacht. Wir wollten möglichst schnell nach Hause zurückkommen, um unsere Familien zu sehen. Damals gab es die Tschernobyl- Bewegung noch nicht. Mein Mann war dort zweimal. Das war, sozusagen, unser Familiengeschäft.
N.K.: Er auch? Nach Ihrem Einsatz?
N.T.: Ja, er war dort als Militärperson. Stationen wurden gebaut. Er war dort alle 2 Wochen im Oktober und 2 Wochen im November. Als er seinen Tschernobyl-Ausweis verlor, bekam er sehr viel Ärger. Vom Ministerium hat er einen Brief erhalten, wo geschrieben stand, dass er Dreher und Schlosser war, und dass er dort im September war und sein Familienname Tereschtschenko ist. Es gab keine Initialen. Man hat mich gefragt: «Was ist das?» Ich habe erwidert: «Mein Mann hat nie seinen Beruf ausgeübt.» Ich habe ihm gesagt: «Nimm die Ausweispapiere mit, fahr nach Kiew, stell einen Antrag und gehe ins Militärarchiv». Und er ist mit einem korrekten Tschernobyl-Ausweis aus Kiew zurückgekommen. Liquidatoren werden vom Staat immer noch schlecht behandelt. Einige Institutionen gibt es nicht mehr, aber Dokumente sind bestimmt übrig geblieben. Er hat die zweite Kategorie, und ich habe einen Behindertenausweis, er hat keinen. Wir bekommen 150 Hryvna für Essen und keine Vergünstigungen. Wir haben eine Vergünstigung für 2 Personen für unsere Wohnung erhalten. Mein Mann sagt: «Ich will sie nicht mehr.» Aber ich sage: «Nein. Es geht ums Prinzip. Du warst dort und musst um deine Rechte kämpfen.» Du musst das tun, nicht um Sonderrechte zu erhalten, sondern weil wir dort wirklich waren.
N.K.: Sie haben gesagt, dass Sie vor der Familie geheim hielten, wo Sie waren, dass ihr Mann Sie in Iwankowo besucht hat.
N.T.: Stimmt.
N.K.: Haben Sie Ihrem Mann gesagt, dass Sie in Tschernobyl waren, als Sie nach Hause zurückgekommen sind?
N.T.: Ja. Meine Familie war sprachlos. Mein Vater wardie klügste Person in der Familie, er war im Konzentrationslager und kannte das Leben, wie es ist. Ich habe ihnen sehr Leid getan. Wegen meines behinderten Kindes, wegen meines Einsatzes. Sie haben meine Willenskraft gekannt. Warum musste ich nach Vietnam fahren? Ich hätte einfach zu Hause bleiben können. Erstens, ist mein Ehemann eifersüchtig. Und wir haben Geld gebraucht. Aber nur eine Hälfte vom versprochenen Geldbetrag wurde uns ausgezahlt. Ich habe 2 Kinder. Ich habe mir einen Mantel gekauft. Wir hatten keine Ersparnisse. Unsere Familie war gut und demütig. Ich hatte auch eine Schwester und einen Neffen. Als wir aus dem Vietnam zurückgekommen sind, hatte ich vor, Geld für die Operation meines Kindes auszugeben. Es war im Institut von Bakulew angemeldet. Der General der Bauorganisation hat mich gefragt: «Wofür brauchen Sie Geld?» Ich habe gesagt: «Damit mein Kind im Institut operiert wird». «Sie sind Kommunistin! Und Sie sagen, sie werden Chirurgen bestechen?! Ich habe erwidert: «Ich bin vor allem Mutter, und erst danach bin ich Kommunistin! Und deshalb werde ich alles für mein Kind weggeben, damit es lebt und gesund ist». «Ich werde Ihnen helfen. Ich kenne da einen General, ich habe Verbindungen». Ich habe mich bedankt. So habe ich gekämpft.
N.K.: Ganz recht!
N.T.: Geld ist heutzutage... Wie soll ich es sagen? Kommunisten, wir alle brauchen Geld. Wir haben im Vietnam sehr wenig verdient, weil es eine Militärorganisation war. Wenn wir als Zivilisten gefahren wären… Aber wir waren auf Dienstreise. Das ist ganz einfach. Wir hatten Schwein.
N.K.: Wie hat das Reaktorunglück von Tschernobyl die Ukraine beeinflusst?
N.T.: Ich denke, dass die Katastrophe die Gesundheit der Menschen sehr beeinflusst hat. Sie hatte eine negative Wirkung auch auf die Psyche. Viele Menschen sind abgereist, besonders Juden, da sie sich mehr als wir um ihre Gesundheit kümmerten. Das war egal, wie viele Kinder geboren worden waren, waren alle sie.... Wir hatten keine Daten darüber, wie Strahlung neugeborene Kinder beeinflusst hat. Ich habe Daten vor der Reise gesammelt. Einige Daten sind bis heute unter Verschluss. Ich möchte Unterlagen über die Sterblichkeitsrate und Erkrankungen sehen. Die Erkrankungsfälle der Schilddrüse sind zigmal angestiegen. Das ist unsere Generation, unsere behinderten Kinder.
Es gibt so viele Tumorerkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wir haben keine Vorbeugungsmaßnahmen. Die männliche Bevölkerung raucht und trinkt seit vielen Jahren... Man darf die psychologische Faktoren nicht vergessen. Die Menschen, die dort am Dach gewesen sind, sind psychisch und psychologisch verletzt, weil sie eine Strahlendosis abbekommen haben. Stimmt, für jeden Menschen gibt es seine Dosis. Man reagiert darauf auf verschiedene Weise, aber oft… Ich wurde von einem guten Professor, Augenarzt, untersucht, und er hat mir gesagt: «Ich kann sofort sagen, ob man in Tschernobyl war».
N.K.: Mannomann!!
N.T.: Alle Menschen, die dort waren und der Strahlung ausgesetzt waren, bekommen Strahlenstar. Schutzbrillen wurden uns nicht gegeben. Er hat gesagt: «Ich sehe das sofort ».
N.K.: Ich möchte gerne wissen, ob sich Strahlenstar vom grauen Star unterscheidet.
N.T.: Beim Strahlenstar gibt es Flecken. Aber im Fall vom grauen Star gibt es Punkte.
N.K.: Alles klar.
N.T.: Verstehen Sie? Leider verschlechtert sich mein Sehvermögen, obwohl ich in ärztlicher Behandlung bin. Ich bin im Medizinzentrum Evviva untersucht worden. Das war teuer. Aber es gibt solche Geräte, die Punkte...
N.K.: Punkte?
N.T.: Es gibt solche Geräte, die diese Punkte nicht zeigen können. Ich wurde vor kurzem, vor zwei Jahren untersucht. Wenn ich im Ausland bin, werde ich gefragt, welche Erkrankungen ich habe. Ich sage, dass ich Nerven- und Kreislaufprobleme habe. Jeder hat seine Schwachstelle, Meine Schwachstelle war, dass sich ein Geschwulst bei mir entwickelt hat. Ich konnte mich nicht am Geländer in der Straßenbahn halten oder einen Besen in den Händen halten. Solche Geschwülste sind in der ganzen Ukraine verbreitet.
N.K.: Warum war diese Katastrophe möglich? Viele Menschen werfen sie der Parteiführung vor, einige sagen, dass es Nachlässigkeit war. Nach all der Zeit, was meinen Sie, warum ist das passiert?
N.T.: Ich denke, dass unser Staat selbst schuld daran war Vielleicht ist es jetzt genauso wie früher, Menschen lassen sich für dumm verkaufen. Der Grund war Eile und nicht vollendete Arbeit. Ich bin keine Spezialistin für Atomenergetik und Bau, aber ich habe mich für das Thema interessiert. Die Leute, die in Tschernobyl waren, haben mir erzählt, dass der Block, der explodieren musste, versinken musste . Das ist die Information, die mir mitgeteilt wurde. Da gab es 2 Blöcke, jeder Block musste einen Schacht haben. Aber es war nicht so. Die beiden Blöcke wurden mit einem Schacht verbunden. Als die Explosion im Reaktor erfolgte, ist er nicht versunken, denn der Schacht war wohl zu eng. Das haben mir Männer erzählt, die als Bauarbeiter und Ingenieure in Tschernobyl gearbeitet haben.
Ich bin keine Spezialistin. Man hat gesagt, dass er versinken musste. Wenn er versunken wäre, wäre es leichter gewesen, ihn zu begraben. Hätte man einen haltbaren Sarkophag errichtet, wäre all das nicht in die Luft geflogen. Der haltbare Sarkophag wurde erst am 14. November gebaut. Niemand weiß, was dort jetzt passiert. Deshalb kann ich nichts mehr sagen...Ich bin der Meinung, dass es Nachlässigkeit war. Das größte Verbrechen wurde von Gorbatschow begangen. Menschen haben an Mai- Kundgebungen teilgenommen, sie wurden nicht evakuiert und nicht gewarnt. Alles wurde heimlich getan. Das war das erste Verbrechen. Das zweite Verbrechen war, dass 19-20-Jährige dorthin geschickt wurden. Partisanen, die schon Kinder und Lebenserfahrung hatten, hätten eingezogen werden müssen. Junge Männer sind ums Leben gekommen. Die Nation ist zugrunde gerichtet worden. Das ist meine Meinung. Drittens musste man medizinische Maßnahmen anwenden, um Patienten zu behandeln und allen Schutzkleidung zu geben. Ich hatte nur einen Arztkittel. Wie konnte er mich schützen?
N.K.: Klar.
N.T.: Soviel dazu.
N.K.: Hat unsere Gesellschaft, die Weltgesellschaft Schlussfolgerungen aus diesen Ereignissen gezogen? Was meinen Sie dazu?
N.T.: Verstehen Sie, ich kann nur sagen, wenn das Reaktorunglück jetzt passieren würde, würde niemand dorthin fahren, um seine Folgen zu beseitigen. Vielleicht Freiwillige oder für sehr viel Geld, wie es in Fukushima passierte.... Menschen aus der ganzen Welt vergleichen diese 2 Katastrophen. Die erste in der Sowjetunion passierte vor 25-27 Jahren, und die zweite in Fukushima passierte vor 2-3 Jahren. Die Informationen bezüglich Fukushima waren auch mit sieben Siegeln verschlossen. Daten werden verheimlicht. Man kann sagen, dass die Blöcke in der UdSSR, im schwach entwickelten Land, keinen guten Schutz hatten. Im Gegenteil dazu ist Japan ein hochentwickeltes Land und sie haben Blöcke mit gutem Schutz gebaut. Das ist nun einmal so. In Japan wurde der Einsatz gut bezahlt, damit man daran teilnehmen wollte. Wir waren mit offenem Herzen, aber völlig abgebrannt, als wir dorthin fuhren. Ich prozessierte dagegen 7 Jahre lang, um Geld für den Einsatz zu bekommen. Ist dies ein normales Verhalten der Gesellschaft uns gegenüber?
N.K.: Natürlich nicht!
N.T.: Ein anderer würde aufhören. Ich nicht. Jeder hat seinen eigenen Charakter. Ich habe die Gewohnheit, eine Sache zu Ende zu bringen, und ich wusste, dass meine Rechte verletzt wurden. Als ich meinen Sohn zu begraben hatte, hatte ich keine müde Mark mehr in der Tasche. Es war 1992, als es die Devaluation gab, als es nichts gab. Es war einfach entsetzlich! Er musste behandelt werden, er war im Laufe von anderthalb Monaten auf der Intensivstation. Und ich hatte kein Geld, um ihn zu begraben. Und es gab niemanden, den ich um Hilfe bitten konnte. Meiner Meinung nach haben viele Liquidatoren in gewisser Weise Ansprüche an den Staat. Umso mehr, ich meine, dass qualifizierte Leute notwendig sind, und ihre Arbeit gut bezahlt werden muss. Und der Einsatz von jungen Männern, die mit Schrubbern dort auf dem Reaktordach rumliefen, ist ein Verbrechen gegen die Nation, gegen das Volk.
N.K.: Und wie ist die Situation heute, viele Jahre später? Es ist unklar, was dort geschieht, ob Wissenschaftler etwas erforschen, ob die Strahlung dort hoch ist. Unter Studenten und Jugendlichen gibt es einen Trend – Exkursionen in die Zone. Was halten Sie davon? Dürfen sie dorthin fahren oder nicht? Was meinen Sie dazu?
N.T.: Ich finde, dass die Jugend, Sie verstehen doch, alles sehr schnell vergisst. Während es früher, zum Bespiel, Versammlungen in jedem Krankenhaus, in allen Anstalten gab, wo man darüber informiert werden konnte, weiß heutzutage niemand, was in Tschernobyl geschehen ist, was wir dort getan haben, wie es sich abgespielt hat. Man weiß nichts, man interessiert sich nicht für das Reaktorunglück in Tschernobyl. Ich war in Spanien, das Interesse der Jugendlichen an diesem Thema, ihre Fragen haben mich überrascht. Wir, Liquidatoren, werden angefragt, um im Ausland Vorträge zu halten. Hier in der Ukraine passiert das selten. So müssen wir uns selbst anbieten, in Schulen werden Vorlesungen gehalten. Es ist toll, dass es dieses Zentrum gibt, wo Fotos ausgestellt und Führungen gemacht werden. Alles wird ja vergessen. Deswegen kann ich vergleichen, wie meine Großmutter erzählte, wie sie unter dem Zaren gelebt hatte, wie sie in einem Mädchenpensionat erzogen worden war, usw. Über ihr ganzes Leben hat sie uns etappenweise erzählt. Wie mein Vater während des Krieges in Frankfurt am Main gewesen war, wie er erst im Jahre 1947 zurückgekehrt war. Wie meine Mutter ihre Kinder erzogen hatte, wie schwer Omas Leben war. Man kann Memoiren über das Leben von damals schreiben. Fragen Sie mal Jugendliche. Was wissen sie über die Vergangenheit? Meine Familie weiß viel. Meine Tochter ist belesen, sie hat interessante Archivpapiere gefunden und studiert. Für sie war das einfach von Interesse. Der Familienstammbaum war auch ihr Interesse. Und was Tschernobyl anbetrifft, fragen Sie einen Zehntklässler und einen Elftklässler, was dort passiert ist.
N.K.: Würden Sie Reisen nach Tschernobyl empfehlen? Sind solche Reisen ungefährlich? Was meinen Sie dazu?
N.T.: Ich meine, dass man dorthin fahren soll und das sehen muss. Wissen Sie, die Menschen, die alles sehen werden… Es ist jetzt ungefährlich. Es ist wichtig, alles mit eigenen Augen zu sehen, z.B. dass es dort immer noch einen Autofriedhof gibt, was mich überrascht hat. Berge von Hab und Gut, verlassene Häuser, arme Tiere, Obdachlose…Ich glaube, man muss fahren. In diesem Sinne sieht man mit eigenen Augen – wie man es dir nicht zeigen oder erzählen mag. Ich habe Sie wohl ermüdet.
[...]
N.K.: Nein. Wissen Sie, alles, was Sie erzählen, ist sehr wichtig. Jeder Augenblick scheint im Moment nicht von Bedeutung zu sein, und später, nach einiger Zeit, kann er eine bestimmte Rolle spielen.
N.T.: Später vergisst man doch vieles.
N.K.: Stimmt.
N.T.: Es ist schon so lange her!
N.K.: Ich habe eine Frage zum Thema Gedenken, Betreff der Maßnahmen, die Tschernobyl gewidmet sind. Sind die Maßnahmen, die es im Moment gibt, ausreichend? Kann man vielleicht etwas mit Hilfe von bürgerlichen Organisationen oder durch Arbeit in Schulen anders machen oder etwas hinzufügen? Was meinen Sie dazu?
N.T.: Ich meine, dass Liquidatoren in Schulen Vorträge halten, mit Schülern sprechen müssen. Aber Fünftklässlern muss man alles anders erzählen. Aber den Jugendlichen, die schon 15, 16 Jahre alt sind, muss man die Wahrheit erzählen. Und es ist notwendig, zu erzählen, wie die Strahlung ihre Potenz beeinflusst. Warum? Denn es ist ein großer Unterschied, ob man im Großen und Ganzen spricht oder wenn es dich persönlich trifft. Man muss eine andere Energetik fördern. Es war so entsetzlich, so viele Menschen haben gelitten. Man muss vielleicht etwas vom Standpunkt der Psychologie zu diesen Vorlesungen, Erzählungen hinzufügen. Weil ich nie gedacht habe, dass die Geschichte über die Küken die Bürgermeister beeindrucken kann.
[...]
N.K.: Welche Quintessenz oder welche Erfahrung kann Ihrer Meinung nach Nachkommen in Lehrbüchern übergeben werden? Die Menschen, die schon nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl geboren sind… Die Katastrophe wird vergessen, etwas, was nicht zu vergessen ist, etwas, was unbedingt zu erhalten ist.
N.T.: Das Wichtigste, was unsere x-beliebige Regierung im Gedächtnis zu behalten hat, ist die Pflicht, Bürger zu schützen und sich für Menschen zu sorgen, die durch die Katastrophe gelitten haben. Ich finde, dass jeder, der in Tschernobyl war, ein Held ist. Er ist einfach ein Held, der seine Gesundheit, seine Zeit, seine Gedanken und den Teil seines Lebens dort gelassen hat. Es gibt Menschen, deren Einsatz 4 bis 5 Monate gedauert hat. Diejenigen, die am Anfang dort waren, haben Leichen abtransportiert. Darüber spricht ja niemand. Und die Unfallhilfe…Wäre ich ab dem 4. Mai in der Zone gewesen, hätte ich gesehen, wie viele Leichen und Vögel herumlagen. Das hat man mir erzählt, aber das steht nicht geschrieben. Diese Menschen sind schon gestorben. Es ist schlimm, dass das nur noch Erinnerungen sind. Wäre es damals aufgeschrieben worden! Vielleicht schrieb jemand alle seine Erinnerungen auf. Es ist schon lange her. Es ist, als ob ich im Krieg gewesen wäre. Und es ist so jedes Mal, jedes Mal, obwohl ich dort [keine Militärperson war]. Ich habe einmal geschrieben, ich war weder Hubschrauberpilotin noch Feuerwehrfrau, trotzdem habe ich meinen Teil davon abbekommen. Und ich meine, dass man sich die folgende Frage im Ausland oft stellt, hier habe ich keine Reden gehalten. Man fragt mich: „Was halten Sie von Kernenergie, sie ist ja wohl am billigsten?“ Billig ist sie heute, und wie viel Geld wurde nach dem Unfall ausgegeben? Vergessen Sie die Katastrophe in Fukushima nicht, so ergibt sie sich nicht so billig. Man muss neue erfinden, und ich glaube, das muss die junge Generation tun. Das wünsche ich unserem Land. Viele Jugendliche, intelligente Menschen reisen aus.
Sie haben keine Möglichkeit, ihre Ideen und Erfindungen anzuwenden, um andere Energiequellen zu finden. In jedem Fall ist jede Art von Kernenergie gefährlich, nicht umweltfreundlich. sei es Kernenergetik oder Kraftwerke, die heizen. Wie werden sie genannt? Na, übliche Kraftwerke. Sie verschmutzen die Luft. Und man muss daran arbeiten, dass sichere Energiearten entwickelt werden. Warum?
Es gibt heute ein Problem mit der Krim. Im Ausland stehen überall Sonnenbatterien, Windmühlen. In der Türkei sind oben auf allen Häusern Sonnenbatterien installiert. In der Ukraine ist es windig in den Steppen, es gibt viele Orte, wo Elektroenergie produziert werden kann. Doch. Wenn ein Kraftwerk gebaut wird, muss das Geld sofort investiert werden. Alle unsere Atomkraftwerke haben ja eine bestimmte Frist. Wasser und Luft werden verschmutzt. Kraftwerke müssen renoviert und verbessert werden. In jedem Fall ist Kernkraftenergie nicht so billig, wie es erscheint. Das ist meine Meinung. Fachleute sind anderer Meinung. Dort, wo es eine Möglichkeit gibt… Windmühlen stehen in ganz Europa, in jedem Land – Holland, Deutschland, überall. Man verwendet dort diese Energie. Und für uns ist es ja einfacher, [Kernkraftenergie zu verwenden].
N.K.: Danke!
Н.Т.: Ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn etwas nicht stimmt.
N.K.: Vielen Dank!