Valentin
Valentin
- liquidator
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Viktoria Naumenko (im Folgenden V.N.): Heute ist der 12. Juli 2017, wir sind in Lwiw im Gebäude „Sojus Tschernobyl“ im Gebiet Lwiw. Ich bin Viktoria Naumenko, Interviewerin. Stellen Sie sich vor, bitte.
Valentin Kramarewsckij (im Folgenden V.K.): Kramarewskij Walentin Olexandrowitsch.
V.N.: Sehr angenehm. Meine erste Frage ist ziemlich allgemein – erzählen Sie bitte über Ihr Leben.
V.K.: Über mein Leben im Großen und Ganzen? (lacht)
V.N.: Ja, was Sie für notwendig halten.
V.K.: Nun was? Nun, im Grunde genommen kann ich über mein Leben nicht klagen. Ich bin in einer gewöhnlichen Familie geboren. Meine Eltern hatten keine Schulbildung. Die Mutter konnte nur 3 Buchstaben ihrer Unterschrift schreiben. Der Vater hat lebenslang als Elektroinstallateur in Skadowsk gearbeitet. Und ich habe eine Schule abgeschlossen. Doch damals hatte man keinen Fernseher, damals habe ich noch nicht gesehen – man hat sich Filme angesehen und ich wollte die ganze Zeit, warum auch immer, nach Kamtschatka, ins Uralgebirge, dorthin, nach Fernost. So ist es, wissen Sie, Romantik. Damals wollten alle als Geologen… so. Und sobald ich die Schule abgeschlossen habe, bin ich am nächsten Tag ins Uralgebirge gefahren. Mein Vater hat lebenslang davon geträumt, dass ich Ingenieur, Elektriker werden würde. Das war etwa in der 4. oder 5. Klasse, als er mir ein Buch über Elektrik gekauft hatte. (lacht)
V.N.: Ja.
V.K.: Für Ingenieure. Nun, aber nachdem ich Bücher gelesen hatte – ich habe sehr viel gelesen – wollte ich Arzt werden. Aber ich habe es niemandem gesagt, niemand hat davon gewusst. Ich habe damals eine Anfrage gesendet, damit man mir, nun, die Informationen über die Programme der Hochschulen schickte. Und so hat man sie mir geschickt – von Dnipropetrowsk, Cherson, Molotow, es gab damals eine Stadt mit diesem Namen. Aber man hat mir nie was vom Medizininstitut gesendet. Von der Universität hat man mir alles geschickt. Und sobald ich die Schule abgeschlossen hatte, bin ich sofort am nächsten Tag in den Ural gefahren. Nun können Sie sich das vorstellen? Ein Kind, das noch nie irgendwohin gefahren war, und damals war ich 17 Jahre alt. Und ich bin nach Moskau gefahren, fast 3 Tage und Nächte bis nach Moskau, so lange. Das war aber nicht so schlimm. Das Interessanteste ist, dass ich dorthin gefahren bin, weil da, im Gebiet Molotow, die jüngere Schwester meiner Mutter gelebt hat. Die Mutter hat sie ab 9 Monaten aufgezogen. Ich bin dorthin gefahren… und ich habe dieser Tante Anja [Schwester] auch nichts gesagt, sie hat nicht gewusst, dass ich komme. Nun bin ich zu ihnen gekommen, mit verschiedenen Problemen, weil das nicht die Stadt selbst war, sondern man musste noch 60 km mit verschiedensten Transportmitteln fahren. Wie auch immer, hatte ich Glück, weil ich zu Ihnen um 12 Uhr gekommen bin, nicht um 6 Uhr morgens. Um 6 Uhr sind wir ausgeschifft.
V.N.: Ja.
V.K.: Weil der Onkel, ihr Mann, Taucher war. Und er ist einen Schwimmkran gefahren, der das Flussbett der Kama geputzt hat. Und die Kama ist wie unser Dnipro – ein großer Fluss, Dreideckdampfer können da fahren. Aber damals war… man hat auf solche Weise Holz abgefloßt.
V.N.: Ja.
V.K.: Und es gab viel Holz, es wurde da zerbrochen, ging unter. Und wie es mir Onkel Pawel erzählt hat, in manchen Orten, diese Chara [Alge] konnte 11 Meter dick auf dem Flussboden liegen. Man musste das Flussbett putzen, damit diese Schiffe durchzufahren konnten. Und sie sind um 6 Uhr morgens ausgeschifft. Und so war es dann, die Tante hat als Köchin gearbeitet, so und so, sie haben nicht gewusst, sie waren nicht zu Hause und ich bin zu dieser geschlossenen Tür (lacht) gekommen. Dort habe ich erfahren, dass sie weggefahren sind, dass sie die Kama flussabwärts gefahren sind. Ich war ja damals jung, dumm, aber frech. Ich bin mit dem nächsten Dampfer hinterher gefahren. Ich bin schon lange gefahren, bis zur Stadt Ochansk … doch sie sind noch immer nicht da. Sie stehen nicht da, wo die Anlegestellen sind, wo die Städte selbst sind, sondern irgendwo da, dem Wald gegenüber, wo die Taiga ist, und putzen. Ich bin vorbeigefahren. Nun gut, da man an der Dampferstation schon informiert wurde, dass ein Kind gekommen ist, sucht man nach Pawel Loginow. Man hat Ihnen mitgeteilt, dass ich nach ihnen suche und Onkel Pawel ist gekommen, ich habe nicht mehr suchen müssen.
V.N.:(lacht)
V.K.: Nun hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben, wollte schon zurückkehren, als er mich gefangen hat. Er hat mich von dort nach Hause gebracht und ich bin noch einen Monat mit ihnen mit diesem Schiffkran gefahren. Das war für mich… nun erstens: Ich habe zum ersten Mal einen Wald gesehen. Ich bin doch im Gebiet Cherson aufgewachsen, in Skadowsk, da gibt es bloß Steppe, kahl! Einen Grashalm, der einen Kilometer weit entfernt war, konnte man sehen, alles wurde niedergebrannt. Und hier ist ein Wald, ich habe Pilze gesehen, Mücken gehört. Und wie sie um einen rumgeschwärmt sind, dass man Angst davor hatte, die Augen zu öffnen. Aber wie romantisch war das! Ich habe mit einer Stange diese, wie heißen sie noch mal, gefällte Bäume gefahren, die sogenannten Schwimmer. Ich habe einfach viel in Filmen zu sehen bekommen, ja. Onkel Pawel hat mich in seinen Taucheranzug und Hemd gekleidet. Damals waren sie nicht so, wie sie jetzt sind, diese Schwimmanzüge mit Schwimmflossen, sondern ein echter. Ich bin in diesem Anzug auf den Flussboden der Kama gegangen… Das war doch Romantik in Hülle und Fülle. Und danach bin ich nach Molotow gefahren. Wenn man nicht genau weiß, lauscht man verschiedene… So habe ich irgendwo gehört, dass es besser ist, die Dokumente erst zum Schluss der Aufnahmeprüfungen einzureichen. Weil man in diesem Fall wirbt und Leute in der zweiten Flut kommen. Man sagt vielen aus der ersten Bewerberflut ab, und für die Zweite war es dann leichter, an einer Hochschule immatrikuliert zu werden.
V.N.: Ja.
V.K.:(lacht) Ich habe das beachtet, die Dokumente am letzten Tag eingereicht. Mit mir hat die Sekretärin der Aufnahmekommission sehr lange gesprochen. Mir hat sie… sie hat auf mich geachtet: wie kann das sein dass so ein Kind gekommen ist, wer sind denn die Eltern? Ich habe gesagt, wer die Eltern sind. „Und warum wollen Sie Medizin studieren?“ Ich sage: „So ist es, ich habe viele Bücher gelesen, und das ist es, was ich will.“ – „Um wer zu werden?“ – „Chirurg“. Nun war sie davon sehr überrascht. Und sie war auch überrascht, dass ich bereits Berufserfahrung hatte. Da haben Leute die Ausweise gegeben .Das war 1959. Das war die Zeit, als Nikita Chruschtschow befohlen hatte, die Leute nur mit Berufserfahrung an Hochschulen immatrikulieren zu lassen. Das heißt, dass wir nicht weniger als 2 Jahre nach der Schule schon gearbeitet haben mussten.
V.N.: Ja.
V.K.: Und ich bin gleich nach der Schule gekommen, während alle anderen schon Praktikanten waren… Aber sie war sehr überrascht, als ich ihr den Ausweis gegeben habe, dass ich ein Dreher der 4. Qualifikationsstufe bin. Wieso? So, und damals schon hatten wir an der Schule diese eine Berufsausbildung. Und ich war eben genau in der Gruppe für Dreher und Fräser. Und es waren nur ich und noch einer, der diese Ausweise der 4. Qualifikationsstufe bekommen hatte. Und sie sagt: „Und wo genau haben Sie gearbeitet? An der Maschine?“ Ich sage: „Ich habe. Das ist relativ gut geraten.“ – „Und ausgerechnet Sie, Sie, der Dreher wollen plötzlich Medizin studieren…“ Nun war alles in Ordnung, man hat mir noch einen Platz in dem Studentenheim angeboten. Und ich hatte noch nie so gewohnt… das war auch ein Ding, wovor ich Angst hatte… (lachen) Ein Hauskind. Und ich habe gedacht, warum soll ich hier wohnen, wenn es in 60 km das Haus der Tante gibt und ein Vorortzug in 40 Minuten dorthin fährt. Ich wohne da und komme damit jeden Tag zur Uni. Und ich habe da auch so gewohnt. Und wissen Sie, wie meine Frau sagt: Ein Schutzengel sitzt auf deiner Schulter. Ich hatte keinen Studienplan, habe ihn niemals gesehen. Ich war sicher, habe nie daran gezweifelt, dass die Prüfungen auf dem Lehrplan der 10. Klasse basieren. Total sicher. Und die erste Prüfung war Russisch, ich sollte einen Aufsatz schreiben. Wir hatten 4 Prüfungen, also: Russische Sprache und Literatur, Physik, Chemie und Englisch, so. Und ich habe die Aufsätze immer mit ausgezeichnet bestanden, das fiel mir leicht, sozusagen. Aber das Problem hat damit begonnen, dass die Prüfung um 9 Uhr anfing und der Vorortszug an der Station um 8 Uhr ankam – ich dachte, das ist das Ende. Und alles hat damit begonnen, dass der Zug 30 Minuten zu spät war. Und das in einer neuen Stadt, die ich noch nicht kenne.
V.N.: Jo.
V.K.: Überdies wusste ich nicht, mit welcher Straßenbahn ich fahren sollte. Und erst um 9 Uhr habe ich erfahren, dass ich falsch informiert wurde. Ich habe mit Mühe das Hauptgebäude erreicht, laufe rein, und man sagt mir: „Wo ist Ihr Prüfungszettel?“ Sie wurden vor kurzem verteilt aber ich hatte keine Ahnung, ich hatte keinen. „Zu welcher Fakultät?“ – „Fakultät für Allgemeinmedizin“ – „Und hier schreibt die für Stomatologie. Und die Allgemeinmedizin - ist da und da.“ Das heißt, ich sollte noch 30 Minuten laufen, das war ein anderes Gebäude. „Das war’s, kommen Sie in einem Jahr wieder.“ Können Sie sich das vorstellen, sozusagen.
V.K.: Um Gottes willen… Gehe ich treppab, und plötzlich begegne ich der Sekretärin dieser Aufnahmekommission, stellen Sie sich das vor. Die Ausschreibung war damals 12 Menschen für einen Platz, wenn ich mich nicht irre, so viele Leute gab es damals. Und sie hat mich erkannt und gerufen: „Kramarewskij!“
V.N.: Selbst den Namen hatte sie sich gemerkt.
V.K.: Ja. „Was machen Sie hier?“ Ich sage, soundso. „Du bist solcher und solcher…“ Dann nahm sie mich bei der Hand: „Laufen wir!“ Und wir liefen in einen großen Übungsraum, da saßen alle. Sie sagt: „Wenn sie den Umschlag mit den Themen noch nicht geöffnet haben, dann gebe ich dir einen. Wenn schon geöffnet – dann war’s das». Wir kommen und sie haben diesen Umschlag erst genommen. Nun hat sie mit ihnen gesprochen. Es gab keinen Platz, darum stellten sie einen Stuhl auf diese Bühne, hinter den Tisch dieser Kommission, dann setzte ich mich. Sie öffnen diesen Umschlag und ich bin fast umgefallen – kein Thema aus der 10. Klasse, nur aus der 8. aus der 9. Und ein freies Aufsatzthema, es gab ein freies Aufsatzthema über dieses… „Podnjataja Tselina“ [“Neuland unterm Pflug”] von Scholochow, dieses, sozusagen, Volkshumor und Folklore. […]
V.K.: Und was sagen die Leute? Und am gleichen Tag bekomme ich ein Telegramm: „Komm heim.“ (lacht) So, nun gab es nur 4 Studenten, die sofort nach der Schule gekommen waren. Alle anderen waren 32, 33, 35 Jahre alt.
V.N.: Erwachsene.
V.K.: Erwachsene Leute. 17 und 35. Die meisten von ihnen waren Arzthelfer, hatten schon zwei Kinder. Nun das Studium hat begonnen. Es war sehr interessant für mich, ehrlich gesagt, interessant. Nun als ich die Hochschule absolviert habe, war ich der Gruppenälteste. Und ich hatte zwei Einladungen von zwei Lehrstühlen. Bei dem ersten konnte ich die Aspirantur machen, weil man zum Schluss des Instituts schon fertiges Material für eine Dissertation haben sollte. Und das war, weil ich Volleyball gespielt habe. Ich habe für die Volleyballmannschaft des Instituts gespielt. Und ein Dozent vom Lehrstuhl war Kapitän unserer Mannschaft. Und er hat mir sehr viel geholfen, so. Und nur danach, im sechsten Studienjahr, hat man mir vorgeschlagen, im Lehrstuhl für HNO zu bleiben.
V.N.: Lehrstuhl für was bitte?
V.K.: HNO.
V.N.: HNO.
V.K.: Hals-Nase-Ohren Arzt. Es gab einen Professor Lebedewskij, den ehemaligen Oberst des Innendienstes. Nun war das für mich interessant und ich war einverstanden. Aber dann kam die militärische Benachrichtigung vom Verteidigungs- und Innenministerium. Das Innenministerium brauchte 25 Männer. Und 10 Männer brauchte das Verteidigungsministerium. Und wir waren, wie ich schon gesagt habe, eine alte Gruppe. Die Leute, die 35 oder noch älter, 42 Jahre alt waren, hatten 6 Jahre studiert. Und ich war damals 22 Jahre alt, fast 23. Und das war's, wir sollen dorthin, zur Armee. Abgesehen davon, wie stark ich gebockt habe … Ich hatte noch Glück, dass der Leiter des Lehrstuhls für Militärdienst der Oberste Schewtschenko war. Klar, „er ist ein Ukrainer, Ukrainer dienen gut, er geht zur Armee.“ (lacht) Und der Professor Lebedewskij ist doch zum Kriegskommissariat gegangen, zum General, so und so, „Lassen Sie mir diesen Jungen, ich brauche ihn.“ Aber der General sagte: „Ich kann nichts machen, es gibt schon einen Befehl vom Verteidigungsminister, dieser Junge ist schon ein Leutnant.“ Ich sage: „Das heißt, es nützt nichts mehr, die Prüfungen abzulegen?“ Und das war ungefähr im Dezember und die Prüfungen waren erst Ende Februar.
V.N.: Noch ein halbes Jahr Studium.
V.K.: Noch ein halbes Jahr Studium. Und ich, ich sagte: „Ich werde keine Prüfungen ablegen. – Dann bekommst du kein Diplom.“ Und das war’s, man hat uns zur Armee genommen…
V.N.: Das heißt Sie sind ohne… Sie haben die Prüfungen nicht bestanden?
V.K.: Nein, ich bin sogar noch dorthin gegangen… Gekommen und habe noch da an der Kommission gebockt. Und sie haben mit mir nicht gesprochen: „Gehen Sie weg, Sie gehören nicht mehr zu uns, sondern zum Verteidigungsministerium, das war’s.“ Ich habe da 20 Minuten gestanden, bin nicht weggegangen, nun. Der einzige Nutzen von mir war, dass man mich gefragt hat, wen ich statt meiner empfehlen kann. Nun habe ich damals Gutes getan, aber alles Gute endet dann…
V.N.: Schlimm…
[…]
V.N.: Und haben Sie es geschafft, zu heiraten?
V.K.: Ha, wir waren listig! (lacht) Am Ende des 6., nun, 6. Studienjahres, ich habe gerade das Institut absolviert, genau wie meine Frau – ihre Pädagogische Hochschule. Und wir wissen doch nicht, wer als Erster, sozusagen, eine Stelle bekommt und verreisen soll.. Der erste bekommt eine Stelle und der zweite sollte folgen . Nun war ich der erste und das heißt, sie bekommt ein freies Diplom. Man hat mir meins auch ausgestellt, weil man das Diplom persönlich nicht sofort bekommt, erst nachdem man 3 Jahre gearbeitet hat. Weil ich zur Armee genommen wurde, habe ich mein Diplom erst danach bekommen. Und ich bin mit meiner Frau sogleich weggefahren. Wir sind nach Swjosdnij geraten. Das ist eine geschlossene Raketengarnison, alles wurde mit Stacheldraht gesichert, alle brauchen einen Passierschein. Überdies braucht man die, wenn bis zum Städtchen noch 40 Kilometer bleiben.
V.N.: Kontrollposten?
V.K.: Grenzkontrollpunkten auf allen Straßen und das war, so. Ich habe einen Monat lang auf einen Einwegpassierschein gewartet, um meine Frau hierher zu bringen. Ich habe das gemacht, sagte: „Ich muss zum Wohnheim für einen Augenblick.“ Alles in Ordnung und nach einer Woche wurden wir zu einem anderem Ort gesendet. Wir haben uns beladen, sozusagen, und sind weggefahren. (lacht) Und wir sind hergefahren und da sind waren nur Wälder und Sümpfe. Nun dann, sozusagen, habe ich noch einmal alle diese Passierscheine gekriegt, um meine Frau von da mitzunehmen. Ich bin gekommen – wo ist meine Frau? Und meine Frau sitzt auf der Bettlehne. „Was ist los?“ Auf dem Boden laufen Ratten, so groß. (lacht)
V.N.:(lacht) Oh, wie schrecklich…
V.K.: Ich habe sie mitgenommen, dahin gebracht. Da gab es keine Dörfer, nur eine ganz kleine Siedlung. Nicht mehr als 40 Häuser. Und wir haben uns hinter dem Heizhaus angesiedelt. Ich bin 2 Kilometer zum Militärteil gegangen, es war alles interessant aber sehr schwer. Weil, erstens, ich der einzige Arzt war und es da fünf Militärgruppen gab. Und ich war der einzige Arzt für alle fünf, das heißt für alle. Allein der Hauptplatz beherbergte 1800 Personen. Und mein Personal besteht aus mir, einem Arzthelfer im Pflichtdienst und einem Sanitäter im Pflichtdienst, und das war’s, und ich bin der neue Leiter. Und nach einem Halbjahr hat es sich so gefügt, dass ich, nach dem Dienstalter, der älteste nach dem Kommandeur war. Alle anderen hatten einen niedrigeren Rang. Und nur ich weiß, wo die Leute sich befinden. Und die Leute wurden im Umkreis von 200 Kilometer, sozusagen, in der Ortschaft verteilt. Und ich war anfangs der Arzt, auch der Wirtschaftsleiter, auch dieser, Politruk, der Sekretär der Komsomolorganisation, der Militär-Untersuchungsführer, der Sportausschussvorsitzende und noch etwas. Nun alles mögliche, sozusagen, war mein. (lacht)
V.N.: Ja.
V.K.: Und im Winter, der Schnee liegt, die Schneeschicht ist höher als die Brust, dann schlägt man sich einen Weg durch und geht. Man hat Wasser aus dem Sumpf genommen, durchgeseiht, abgeseiht. Alles wurde mit Nadeln gedämpft, man hat dieses Wasser getrunken, damit alles abgekocht. Im Winter war ich fast immer im Auto, weil ich Produkte, Essen mitgebracht habe, und die Leute, sozusagen, gesehen, so und so. Sie werden es kaum glauben, aber diese zwei großen Knöpfe auf dem Soldatenmantel wurden von mir so blankgerieben, dass man dadurch sehen konnte, sie sind durchsichtig wie Glas geworden.
V.N.: Das ist allerhand…
V.K.: Ich habe sie überall mitgebracht, dann sind wir 19 Mal umgezogen und ich habe sie verloren. Nun, alles in Ordnung, ich habe die Krankenstuben gebaut, so und so. Das nächste Krankenhaus war 70 Kilometer entfernt, das heißt, man fährt mit dem Sumpftraktor, dann muss man umladen, dann mit einem Vorortzug und so weiter. Nun, alles ist normal gelaufen aber der Armeearzt hat mich nicht entlassen. Er sagte: „Er ist der einige für den ganzen Kreis, wie kann ich ohne ihn?“, und so war es. Und dann, sozusagen, man weiß nicht, wo man etwas findet und wo man etwas verliert. Ich wurde bemerkt nicht für die gute Arbeit sondern für gute Volleyballspiele.
V.N.:(lacht)
V.K.: Und am Anfang, als wir erst, sozusagen, für einen Monat einberufen wurden, zum Vorbereitungskurs, da habe ich Volleyball gespielt. Da war das territoriale Krankenhaus, eine territoriale hygienisch-biologische Kampfeinheit. Nun, sie haben mich genommen, ich habe für sie in der Meisterschaft von Swerdlowsk gespielt. Und einmal kommen Sie zu mir: „O, du bist hier… - Ich bin hier. – Spielst du jetzt noch Volleyball?“ Ich sage: „Ich spiele, so, ich habe mit anderen die Meisterschaft der Bauleitung des Bezirks gewonnen, wir haben alle Pokale gewonnen.“ Sie: „Natürlich, gut!“ Und sie haben mich zu Ihnen genommen, so ist es. Und nun, ich bin fast 3 Jahre in dieser Kampfeinheit geblieben. Übrigens, es ist interessant, sozusagen, dass nach dem ersten Ort, wo ich gedient habe, wir zu einem anderen versetzt wurden, zu Kossulino. Das war eine geschlossene Garnison, diese Garnison, wo „Pawlos“ abgeschossen wurde.
V.N.: Ja.
V.K.:Falls Sie sich daran erinnern, gab es ein Aufklärungsflugzeug, und der Benzintank dieses Flugzeugs hat die Haustreppe meiner Krankenstube zerschmettert(lacht), als es gefallen ist. Und wir waren da, in diesem Kossulino, und „Pawlos“hattesich mittels eines Fallschirmes niedergelassen . Das war eine geschlossene Garnison, und, nun, alles ist mir gelungen, weil der Garnisonälteste ein General war, Raketenmann. Eine Bunkerfabrik, da sind riesige Lager und so weiter.
[…]
V.K.: Die akademische Karriere ist beendet. Nun, ich war der einige, der ins Ausland verschickt wurde. Ich bin in die zentrale Armeegruppe geraten, damals war es die Tschechoslowakei. Das war, sozusagen, wie eine (lacht) immaterielle Entschädigung (damals war doch die Zeit der Hungersnot und nirgendwo gab es etwas…). Und ich war da als Leiter der Abteilung für besonders gefährliche Infektionskrankheiten, das war auch sehr interessant.
V.N.: Welches Jahr war es, ungefähr?
V.K.: Das war genau 1975.
V.N.: 1975.
V.K.: So, da habe ich mich sowohl mit Cholera, als auch mit Pocken befasst. Mit Pocken ist es dabei ein interessanter Fall. Warum? Weil ich alarmiert wurde, ich laufe zum Militärteil, da steht das Auto des Armeearztes, er ist mein Leiter. Der Armeearzt der Gruppe setzt mich ins Auto und wir fahren irgendwohin. Ich wünschte jemand hätte mindestens einige Worte gesagt. Und wir fahren. Erst während der Fahrt hat er mir gesagt, wohin wir fahren. Und wir fahren zum Panzerregiment, das sich an einer sehr interessanten Stelle befindet. Das ist wie unsere Schowti Wody, wo es einen Uranabbau gibt – da gab es auch große Reserven des Uranerzes. Und genau dieser Ort, Garnison und Regiment haben sich da befunden, über diesem Uranerz. Und was wichtig ist – da ist die Ausfahrtsbrigade von der Gruppenpoliklinik der Garnison hingefahren. Sie bestand in der Regel, aus einem Kinderarzt, einem Facharzt für Frauenheilkunde, einer Geburtshilfe, und einem Internisten. Nun empfangen sie, untersuchen, Frauen und auch Kinder. Darum ist einmal im Jahr eine solche Brigade hergefahren und hat die Kinder planmäßig geimpft.
V.N.: Na ja.
V.K.: Aber gleichzeitig wurden auch andere Impfungen vorgenommen. Ich meine, dass es Impfungen nicht nur gegen Pocken, sondern gegen andere Infektionskrankheiten gewesen sind. Als eine Frau mit ihrem Kind gekommen ist, hat man das Kind gegen Pocken geimpft. Genauer gesagt, diese Frau ist gekommen, um ihr Kind gegen Pocken impfen zu lassen. Die Krankenschwester hat den Impfstoff genommen, aber die Ampulle ist leer gewesen. Die Krankenschwester hat diesen Impfstoff irgendeinem Kind anstatt Diphtherie- und Tetanusimpfung gegeben. Und dieser Impfstoff hat 10 000 Dosen enthalten.
V.N.: Oh Gott!
V.K.: …10 000 Dosen gab es in diesem Impfstoff. Und die Krankenschwester wusste gar nicht, wem sie diese Impfung gegeben hatte. Können Sie sich das vorstellen?! Na, eins muss man ihnen lassen, dass sie diesen besonderen Vorfall erwähntt haben. Es wäre besser gewesen, sie hätten michetwas früher darüber informiert. Ich hätte noch Nachschlagebücher mitnehmen können. Aber ich kam so, wie ich war. Man musste suchen, dringend etwas unternehmen.
[…]
DreiTage haben wir diese Kinder untersucht. Und verstehen Sie, wir haben dieses Kind endlich gefunden. Vielleicht hat der Gott das gerade so gemacht, dass man ihm eine Spritze mit einer so starken Wirkungsdosis gegeben hat. Dank dieser Spritze wurde sein Leben gerettet. […] Dafür sind sie nicht vors Gericht gekommen. Sie wurden einfach binnen 24 Stunden weggeschickt. Und was mit ihnen später geschehen ist, weiß ich nicht. Damals war es…Das war interessant. Dort wurde mir die Arbeitsstelle am Lehrstuhl wieder vorgeschlagen. Doch ich hatte keine Lust mehr.
V.N.: (lacht) Hatten Sie schon genug, ja?
V.K.: Das stimmt. Ich hatte keine Lust mehr. Außerdem hat man mir vorgeschlagen, nach Swerdlowsk zu fahren…[…] Ich habe mich gefreut. Meine Frau stammte aus dem Ural. So sind wir nach Swerdlowsk gefahren. […] Sofort wurde ich zum Leiter der sanitär-epidemiologischen Einheit in Okrug [im Kreis] ernannt. Ich war kein Vertreter. Das, was ich früher gemacht hatte, habe ich auch dort gemacht. Das war auch sehr interessant. Dort gab es so viele verschiedene Infektionsherde. Und wir waren dafür verantwortlich. […] Und dann hat man mich ans Telefon gerufen. Man hat mir gesagt: „Sie sind zum Chefepidemiologen im Militärbezirk Vorkarpaten ernannt worden“.
V.N.: In welchem Militärbezirk?
V.K.: In Vorkarpaten.
V.N.: Ach so, in Vorkarpaten.
V.K.: Niemand hat mit mir dieses Thema besprochen. Und der Chefepidemiologe in Okrug hieß Wolodja Dwornik. Dwornik warsein Name. Wir hatten zusammen studiert. Und er ist anstatt meiner am Lehrstuhl geblieben. Er hat aber dort nur zwei Jahre gearbeitet und ist weggelaufen. So ist er nach Swerdlowsk gekommen. Und hier war er Chefepidemiologe. […] Ich bin hierher gekommen…Zuerst war es hier wirklich kompliziert. Ich habe mit allen auf Kriegsfuß gestanden. Warum? Denn alle haben mich mit schiefen Blicken angesehen. Sie haben sich gefragt, was für Unterstützung ich hatte, wenn ich von Swerdlowsk nach Lemberg umziehen konnte. […] Dort hat man den Menschen danach beurteilt, was er gewusst und gekonnt hat. Und plötzlich ist dieser Mann angekommen. Alle hatten Angst vor mir. Die Leute sind gebückt gegangen. Man hat Folgendes gemeint: „Gott bewahre, wenn man etwas falsch sagt. Man wird sofort aus Lemberg, aus dem Militärbezirk Vorkarpaten irgendwohin geschickt!“ Das war ja noch schöner. Zuerst konnte ich das gar nicht verstehen…Ich habe gesagt: „Richtet endlich euren Rücken auf! Wie kann es nur möglich sein!“[…] Es war kompliziert. Aber dann habe ich mir Respekt verschafft. Später aber hat es gegen mich gearbeitet. Warum so? Unser Okrug [Kreis] war groß, sogar riesengroß. Zweimal pro Jahr wurden wir überprüft. Und man hat immer Kraftwagen-, Straßen- und Verpflegungsdienst sowie Bekleidungs- und Ausrüstungsversorgung, Brennstoff usw. überprüft. Vom medizinischen Dienst war Podpolkownik [Oberstleutnant] Kramarjewskij. So hat man keinen Vertreter vom Verpflegungsdienst sowie die Menschen, die für Bekleidungs- und Ausrüstungsversorgung verantwortlich gewesen sind, nicht gebraucht. Dieser Offizier schaffte das alles selbst. […] auf der einen Seite war das gut, und auf der anderen Seite, warum ich anstatt anderer arbeiten sollte. Das war, als ob es meine Pflicht wäre.
Dann kam das ominöse Jahr 1986. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hat sich ereignet. Im medizinischen Dienst des Okrugs [Kreises] sollten ein Hauptfachmann und ein Chefchirurg, ein Cheftherapeut, ein Chefepidemiologe, ein Chefarzt für Strahlentherapie, ein Cheftoxikologe sein. Aber nur Chirurg und Therapeut hatten einen höheren Lohn als ich bekommen. Und wir – zu dritt – hatten den gleichen Lohn bekommen. Plötzlich hat sich ein Unfall ereignet. Alle sagten „Hurra!“ und „Los!“. Wer sollte aber los? Ein Chefarzt für Strahlentherapie und ein Cheftoxikologe sollten. Aber sie wollten es einfach aussitzen. Und ich sollte los. Ich sollte verschiedene Befehle zum Strahlenschutz im Okrug [Kreis] erlassen, in den Garnisonsort fahren und die Arbeit überprüfen. Und sie arbeiteten nur mit den Unterlagen. Aber in … […] hatte ich genug davon: „Leute, habt ihr kein Gewissen?! Wofür bekommt ihr das Geld? Das ist euer Brot“. Und dann musste eine Einsatzgruppe in Tschernobyl eingesetzt werden. Der Chef des medizinischen Dienstes hat versagt. Jeden Tag suchte man nach den Telegrammen für den kommandierenden Armeegeneral Bjelikow in Moskau, im Generalstab. Man suchte nach einem Menschen anstatt unseres Generals. Und alle Leiter des medizinischen Dienstes der Armee haben sich in die Büsche geschlagen, weil ihre Onkel aus Moskau ihnen geholfen haben. Die Leiter des medizinischen Dienstes der Division liefen auch weg. Und ich bin angekommen und habe gesagt: „Sie könnten mich dorthin schicken“. Ihnen ging der Hut hoch. Wie konnte es nur sein? Ich sagte: „Warten Sie mal! Dort sind unsere Menschen. Und ich bin für sie verantwortlich. Und wie kann ich für sie zuständig sein, wenn ich nicht weiß, wo sie sind. Lassen Sie mich dorthin fahren“. Und dann fügte ich noch hinzu: „Ich schaffe das nicht schlechter als andere“. Sie waren wirklich sehr froh, denn Kramarewskij wollte dorthin fahren. So war es. Ich wurde dorthin geschickt.
V.N.: Wann ist es geschehen? In welchem Monat?
V.K.: Das ist im Juni geschehen.
V.N.: Im Juni…
V.K.: Unsere Gruppe sollte dorthin am 18. Juni fliegen. Aber wir sind erst am 25. Juni geflogen. Warum? Wir saßen fast eine Woche lang an der Tür unseres Befehlshabers. Der Befehlshaber war sehr eigenartig, streng. […] Er war ein Abgeordneter des Obersten Gerichts der Ukraine. Dort verbrachte er die ganze Zeit. Und hier musste er uns persönlich Anleitung geben. So saßen wir und warteten auf ihn. Endlich ist er angeflogen. Er hat uns Anleitung gegeben. Wie hörten darüber, was wir verantworten sollten, wie wir parteimäßig sowie dienststellenweise gefragt wurden. Wir hörten auch über das Tribunal. Er sagte auch, dass wir Raben seien. Dass wir dort noch nicht gewesen seien aber schufen das schon nicht. Am 26. Juni wurde ich zum Leiter des medizinischen Dienstes im dritten Sektor ernannt. Was ist das? Die ganze Zone, die sogenannte Sperrzone, wurde damals in drei Sektoren geteilt. Für jeden Sektor war ein Kreis verantwortlich. Der erste Sektor, der dem Kyjiwer Okrug gehörte, war für alles verantwortlich. Der zweite Sektor gehörte dem Kreis Belarus. Und wir – aus dem Kreis Vorkarpaten – waren für den dritten Sektor verantwortlich. Aber der Bestand war interessant. In unserem Okrug Vorkarpaten waren auch unsere Formationen, d.h. aus unserem Kreis. Dann gab es noch Formationen aus den Kreisen Leningrad, dem Baltischen, Moskau, Ural und Nordkaukasus (aus allen möglichen Kreisen). Und manche unsere Formationen waren z.B. im Kreis Kiew, weil damals dort ein wüstes Durcheinander herrschte .
Das war dort, wo es etwa 13.000 Leute – die sogenannten „Partisanen“ – gab. Das war wegen ihrer. Es war ziemlich kompliziert zu verstehen, was man gerade gesehen hatte. Es war wie in „Alice im Wunderland: Hinter dem Spiegel“. Wir fuhren durch verschiedene Siedlungen, Dörfer. Sie waren leer. Man konnte dort niemanden sehen. In manchen Dörfern gab es keine Leute. Aus diesen Dörfern wurden die Menschen umgesiedelt. Und einige Dörfer existierten noch… das war wirklich interessant. Erstens waren dort nur alte Menschen und Frauen. Es gab keine jungen Leute, keine Kinder. Sie wurden weggebracht. Sie waren in Camps. Und hier waren alte Menschen. Sie konnten gar nichts verstehen: was, warum so, wie…In manchen Dörfern sahen wir den Stacheldraht, inmitten der Dörfer. Diesseits war die Zone kontaminiert, und derseits war sie es nicht. Dort wohnten die Menschen. Alles war staubbedeckt. Und der Staub dort war wie Puder. […] Wenn ein Auto an den Straßenrand fuhr, standen dort die Verkehrszeichen: „Es ist verboten am Straßenrand zu fahren!“ Dort wurde alles gegossen, damit es fester wurde. Dieser Staub – der Pollen – war eine halbe Stunde lang in der Luft wie Nebel. Alles war staubbedeckt, alles, als ob die Natur verrückt geworden wäre. Erstens war es sehr heiß, denn die Sonne schien, und es regnete gar nicht. Die Wolken wurden zerstreut, deswegen regnete es nicht. Die Sonne stach. Gegen Abend goss man den Schweiß aus den Stiefeln aus. Man schwitzte wie ein Schwein. Hier gab es Birnen und Äpfel…Ich wuchs im Süden der Ukraine auf. Zu Hause gab es viele Obstbäume. Aber ich habe nichts Ähnliches (solcher Größe) gesehen. Verstehen Sie? […] Das alles wuchs, als ob die Radiation das beeinflusst hätte. Man fuhr durch zahlreiche Dörfer. Dort sah man Hühner und Hennen sich verstecken, laufen und in die Unkrautbüsche rennen. Die Katzen waren haarlos…Unterseitig waren ihre Bäuche haarlos …Sie liefen im Gras, deswegen fiel ihr Fell aus. Und was die Hunde betrifft… Die Hunde schmiegten sich an uns ran…Wenn man in Militäruniform war, liefen sie zu einem und schmiegten sich ran. Wenn die Hunde jemanden in Ziviluniform sahen, versteckten sie sich. Sie rannten weg, weil sie von den Leuten in Ziviluniform abgeschossen wurden. Die Hunde waren sehr klug.…
Zuerst lief das Leben wie nach Plan. Das Unglück ist hereingebrochen, aber alle lebten wie gewöhnlich weiter. Man musste Heu machen. Aber es gab dort mehr Radiation als Heu. Und die Menschen sollten ohne persönliche Schutzausrüstung nach draußen gehen, weil es einen Plan gab. […] Ein Mähdrescher fuhr. Man konnte ihn nicht sehen. Man konnte nur Staub sehen. Und drinnen saß ein Mähdrescherfahrer. Er trug nur eine Brille, weil es zu heiß war. Man musste die Ernte einbringen. Und der Weizen stand in Mannshöhe. Aus den Grabanlagen stahl man alles, denn sie wurden nur „Grabanlagen“ genannt. […] Ein Mann kam, bekam eine Uniform, einen Anzug. Er arbeitete. Seine Uniform war schon kontaminiert. Sie durfte nicht mehr gewaschen werden. Wohin sollte man sie wegwerfen? In die Grabanlage. Und diese Uniform sah wie neu aus. Und wie konnte man einem alten Mann erklären, dass sie kontaminiert war, wenn er neue gute Kampfstiefel sah.
V.N.: Er nahm sie mit…
V.K.: Das war für mich genug fürs ganze Leben. Wir fingen solche Leute. Ein alter Mann nahm 8 Paar Stiefel auf dem Karren mit. Wir nahmen ihn fest, und er begann zu weinen. Wir befahlen den Frauen, die Heu machten, mit ihrer Arbeit aufzuhören, denn die Strahlung dort war etwa 1 Röntgen. Sie weinten, weil das der Befehl vom Vorsitzenden war… Alles geschah (er seufzt). Ich sah eine Hochzeit in Wiltscha. In Wiltscha war unser Sanitätsbataillon. Dort gab es auch das radiologische Laboratorium, die sanitär-epidemiologische Gruppe. Dafür war ich verantwortlich. Und plötzlich beobachtete ich diese Hochzeit. Bei uns feierte man Hochzeiten auf verschiedene Weisen, mal gewöhnlich, mal etwas komisch. Aber diesmal feierte man verrückt. Es schien mir, dass sie den Boden festzustampfen versuchten. Sie machten das in einem Furioso, mit solch einem Gesichtsausdruck, als ob morgen das Ende der Welt wäre. Sie waren weder glücklich, noch froh. Es war wirklich gruselig sie zu beobachten. Es stand für das Gelage während der Pest. Es gab noch ein Problem. Die Menschen arbeiteten, die Strahlung wirkte auf sie rund um die Uhr. Die meisten Leute aber kamen aus der Zone. Doch das war nur auf der Karte. Könnten Sie sich das vorstellen, hier befand sich die Zone, und hier gab es keine Zone mehr, und hier waren Menschen. Aber diese Seite war auch gefährlich… Unser bekanntes Bataillon Chemische Abwehr Nr. 39, das hier aufgestellt worden war, war am 9.Mai schon dort. […] Viele Menschen konnten keinen Anerkennungsbescheid als Liquidator bekommen, denn sie außer der Zone waren. Und als man die Frage über einen Liquidatorsausweis sowie einen Anerkennungsbescheid als Liquidator aufwarf, konnte hat man keine genaue Antwort bekommen, denn diese Siedlung war nicht in der Zone. Zweitens achtete man zuerst gar nicht auf diesen Amtsschimmel. Wir bekamen einen Befehl, dass 100 Menschen dorthin geschickt werden sollten. „Jawohl!“ Die Arbeit sowie die Befehle mussten dringend ausgeführt werden. Und dann, wenn man die Unterlagen nahm, konnte man lesen: „Oberleutnant Iwanow mit 25 Menschen“. So war Oberleutnant Iwanow hier…
V.N.: Und wer waren diese 25 Menschen?…
V.K.: Wo waren diese 25 Menschen? Sie waren nicht hier. Aber sie führten ihre Arbeit aus. […] Das war eine Erkundung. Dies war nötig, damit man diese Zone, die 30 Kilometer lang war, kenntlich machen konnte. In der Nacht gingen diese Erkundungstrupps raus, um in verschiedenen Orten der Siedlungen Boden-, Wasser-, Pflanzenprobe zu entnehmen. Die Ergebnisse trugen sie auf einer Karte ein. Gegen 6 Uhr morgens mussten sie mit diesen Ergebnissen zurück und den Befund erstatten. Danach mussten diese Ergebnisse weiter übergeben werden. Z.B. übergab man die Bodenprobe in Owrutsch. In Owrutsch befand sich damals das Forschungsinstitut, das auf der Basis des Panzerregiments gegründet worden war. Aus Owrutsch übergab man mit den Flugzeugen diese Proben schon weiter…Um nicht zu lügen, denn so viele Jahre sind seitdem vergangen. Wenn ich mich nicht irre, hat man diese Probe in Semipalatinks übergeben…[…]. Auf solche Weise arbeiteten diese Erkundungstrupps jeden Tag. Sie atmeten das ein. Sie arbeiteten unweit vom Reaktor. […] Sie führten eine spezielle Behandlung der Siedlungen durch. Damals war der Kommandeur des Zugs für Spezialbehandlung Wsewolod. Man fuhr mit dem Wagen ins Dorf und wusch alle Häuser. Man musste mit einem Hohlstrahlrohr die Häuser von oben bis unten gründlich waschen. Wenn man zuerst die Häuser wusch und dann die Strahlung maß, war alles in Ordnung. Doch am nächsten Tag war die Strahlung dort gleich oder noch stärker. Denn der Wind wehte aus dem Wald…
Manchmal gab es auch Ausstöße. Der Reaktor „atmete“ und verursachte Funken, die die Luft verschmutzten. Und ungeachtet dessen, dass manche Häuser in den Siedlungen schon mehrmals gewaschen wurden, änderte sich die Situation gar nicht. Außerdem waren einige Dächer schon durchlässig. Dort, wo die Menschen noch waren, begrüßten die Leute die Erkundungstrupps als Retter, […] aber später überfielen sie diese Erkundungstrupps fast mit Forken: „Was macht ihr denn?! Hier müssen wir noch überwintern. Aber das Dach und die Wände sind nass!“…Dann entfernte man die obere Bodenschicht. Zuerst entfernte man 10 Zentimeter, dann 20 Zentimeter. Vorwiegend beschäftigten sich die Letten damit. […] Dabei sah die Situation so aus: Man nahm die Menschen in der Nacht mit, als ob sie Rekruten wären. Man kam nach Hause mit der Miliz. Man nahm die Menschen vom Traktor für einen Monat. Und dort blieben die Kinder… Ein Monat war schon vorbei, und die Menschen arbeiteten weiter. Sie kamen dabei körperlich und geistig herunter. Die Strahlung machte die Menschen sehr schnell schwach. Innerhalb der ersten Woche waren die Menschen wie betrunken, als ob ihre Augen mit Sand gestreut worden wären. Die Augen waren die ganze Zeit trocken. Die Zunge klebte den Menschen vor Durst am Gaumen. […] Man war immer durstig. So war es 24 Stunden am Tag. Es gab aber auch solche Fälle, dass die Menschen dorthin gehen sollten, wo es wirklich gefährlich war. Die Leute begannen sich zu ermüden. Es gab auch Situationen, wenn der Mann dringend wegfahren musste. Und er hatte keine Zeit, eine Vollmacht für seine Frau zu unterschreiben, damit sie seinen Lohn bekommen konnte. So blieb sie mit den Kindern ohne Geld zurück.
[…] Für jeden Bauer, Arbeiter war es ein persönlicher Unfall. Das Unglück ist hereingebrochen. Und sie wollten aufrichtig helfen. Und sie mussten nicht zur Eile angespornt werden. Man sollte ihnen helfen… Aber die Zeit verging… man hatte viel zu tun. Doch die Menschen waren schon müde, genauer gesagt todmüde. Sie hatten keine Aussichten mehr. Außerdem erschien aus heiterem Himmel ein Befehl von Verteidigungsminister Marschall Sokolow , dass die Aufenthaltsdauer auf 6 Monate verlängert werden sollte.
V.N.: O weh!…
V.K.: Die Menschen sind geistig zusammengebrochen. Am wichtigsten war, dass wir schon „Altstoff“ waren. Wir waren uns sicher, dass wir schon begraben waren. Wir sollten sterben. Niemand bedurfte mehr unserer. Deswegen gab es so viele Fälle von Rauschtrinken, unerlaubter Entfernung von der Truppe, Selbstmord. […] Falls etwas geschah, wurde man Verräter, Deserteur genannt. Man wurde vom Gerichtshof verurteilt. Falls man einer Partei angehörte, war man auch parteimäßig schuldig. Manche Menschen weigerten sich sogar zu arbeiten.
Und die Menschen saßen mit dem Kopf an den Knien und brummten und schrien dann. Ein Regiment für zivile Verteidigung bestand aus 1800 Menschen. Und alle 1800 Menschen saßen und brummten.
V.N.: Das war eine Art von Protest, nicht wahr?…
V.K.: Bei niemandem konnte man sich beschweren. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als wie im Protest zu sitzen. Dann entschied man sich dafür, dass die Vertreter der Staatsgewalt aus den Gebieten, Kreisen, Republiken, denen die militärischen Gruppen gehörten, in die Zone fahren sollten. Z.B. gab es Menschen aus Lettland, Stalino und Riga. So kamen die Militärkommissare aus Stalino, Riga. Und betreffend unser Gebiet, kamen entweder der Vorsitzende des Gebietsexekutivkomitees, oder der Vertreter des Vorsitzenden und der Militärkommissar. So kamen Vertreter aus der ganzen UdSSR. Jedes Regiment saß vor den Vertretern. Jeder (der Reihe nach) wurde gefragt, welche Ansprüche er habe. Man sagte: „Ich wurde einberufen. Und zu Hause habe ich eine Kuh und noch etwas. Falls ich jetzt nicht Heu mache, dann kann ich meine Familie nicht über Wasser halten“. Alle hatten verschiedene Ansprüche. Ein Mann sagte: „Mein Haus muss renoviert werden. Vor Kurzem habe ich das Dach abgedeckt. Das Haus wird bald nass. Meine Familie und ich werden kein Haus mehr haben.“ Der andere sagte, dass seine Frau kein Geld bekommen könne. Das alles wurde notiert.
Nach zwei Wochen sollte man kommen und eine Meldung erstatten. So kamen sie nachzwei Wochen wieder und erstatteten alles. Es war eine ernsthafte Aufgabe. Sie mussten vor allem die Stimmung der Menschen heben, die Menschen beruhigen. Und dann warf man die Frage darüber auf, dass so viele Menschen krank waren. Vielleicht war die Strahlung daran schuldig. Man musste alle Strahlendosen einschreiben, die die Menschen empfingen. Ich bin mir aber sicher, dass ca. 90 Prozent der Liquidatoren eine viel höhere oder geringere Strahlendosis empfangen haben, als man dies notiert hat. Es war damit verbunden, dass man zuerst den Menschen ein Personendosimeter gab. Es wurde auch noch Füllhalterdosimeter genannt. Das kann man damit vergleichen, wenn man einen Bleistift nimmt und ihn beobachtet. Denn diese Dosimeter wurden viele Jahren erhalten (niemand wusste das so genau). Und sie sollten eigentlich zuerst überprüft werden, ob sie richtig funktionierten. Aber niemand tat dies. So kann ich behaupten, dass alle Ergebnisse, die sie gezeigt haben, falsch gewesen sind. Dann begann man die gemeinsamen Strahlendosen zu notieren, d.h. man schrieb die Strahlendosen ein, die der Zug empfangen hatte, und berechnete dann die arithmetische Mitte. Z.B. sitzen wir jetzt hier und sprechen. Hier, wo ich sitze, ist die Strahlendosis z.B. 0,5 Röntgen pro Stunde. Und an Ihrer Stelle ist sie schon 500 Röntgen. Es reicht bereits aus die Hand zu strecken. [Die Strahlung war örtlich sehr verschieden]. Man musste aber das arithmetische Mittel berechnen…
V.N.: Heißt dies, dass jeder etwa 150 Röntgen empfangen haben muss?
[…]
V.K.: Im günstigsten Fall empfing man 0,5 Röntgen…[…] Deswegen waren diese eingeschriebenen gemeinsamen Strahlendosen nicht besonders korrekt. Später aber wurde die maximale Strahlendosis auf 25 Rem erhöht (gemäß Anweisung von Sokolow). Z.B. haben die Menschen, die im AKW gearbeitet haben, maximal etwa 5 Rems pro Jahr bekommen. Es war zulässig. Diese Menschen haben eine Gefahrenzulage bekommen. Und plötzlich waren 25 Rems zulässig. Wie konnte man nur glauben, dass 5 Jahresdosen gesund waren?! Laut der Verordnung des Ministerrats und des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion musste man von der Arbeit freigestellt werden, falls man 25 Rems empfangen hatte. Man bekam auch eine Einmalzahlung für Gesundheitsschäden. Man zahlte etwa 500 Rubel aus. Damals war das großes Geld. Man musste diese Leute aber auch zur medizinischen Untersuchung, in die Behandlung oder in ein Sanatorium schicken. Verschiedene Sonderausschüsse mussten eine Feststellung treffen, warum man eine zu hohe Strahlendosis empfangen hatte. Damit hatten einige Kommandeure bestimmte Probleme. Aber alle Kommandeure hatten täglich verschiedene Schwierigkeiten. Solche „extra“ Probleme waren für sie zu viel. Deswegen waren die eingeschriebenen Strahlendosen, die die Menschen empfangen hatten, etwas niedriger, z.B. 24,8 oder 24,9 Rems.
Diese Menschen waren immer noch in der Zone, arbeiteten dort. Sie warteten darauf, dass sie bald ersetzt werden mussten. Und was bedeutete damals diese Wortverbindung „ersetzt werden“? Damit ein Mensch ersetzt werden durfte, der z.B. aus dem Kreis Nordkaukasus war, musste man bestimmte Unterlagen in diesen Kreis schicken. Dort musste man einen Fachmann finden. Dann musste dieser Mensch hierher ankommen. Auf solche Weise war es damals möglich einen Menschen zu ersetzen. Erst nachdem jemand angekommen war, konnte der Mensch ersetzt werden. Immer mehr Menschen wurden krank. Der Grund war, dass wenn man einberufen worden war, man medizinisch nicht untersucht wurde. Aber alle Männer waren den Musterungsbehörden gemeldet worden, deswegen mussten sie ab und zu untersucht werden. Z.B. stand keine Ausbildungs- und Tätigkeitsbezeichnung im Wehrpass. Der Koch war vor 15 Jahren Soldat. Aber im Laufe von diesen Jahren war er als Koch nicht tätig. Doch hier wurde er als Koch ernannt. […] Wenn es im Wehrpass stand, dass man Laborant gewesen ist, so wurde er hier zum Laboranten ernannt. Ungeachtet dessen, dass er als Laborant nicht tätig gewesen war. Was mich betrifft, bin ich für die medizinische Versorgung verantwortlich gewesen. Ich war für die Behandlung, den Krankheitsbestimmung und das Sanitätsbataillon zuständig… Dieses Sanitätsbataillon war eine Art von Personalbestand in der Kriegszeit. In erster Linie mussten die Menschen, die zu dem Bataillon gehörten, den Verwundeten auf dem Gefechtsfeld medizinische Hilfe leisten. Diese medizinische Kompanie bestand zu 80 Prozent aus Chirurgen. Und was mussten diese Chirurgen hier tun? Ich brauchte Therapeuten, Psychologen, damit sie mit den Menschen arbeiten konnten. Die Leute hier hatten bestimmte Probleme mit ihrer Psyche. Ich brauchte Laboranten. Und hier gab es keine. Aber doch! Wir hatten einen. Aber er war Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin. Was konnte er tun? Er musste täglich das Blut von Tausenden Menschen untersuchen. Denn die Ergebnisse der Blutuntersuchungen waren der einzige objektive Gesundheitswert.
Aber eins muss ich dem General Sawtschuk, dem Leiter des medizinischen Dienstes im Kreis, lassen. Er reagierte sehr schnell auf meine Bitten. Als ich ihm gesagt hatte, dass ich mehr Laboranten brauchte, wandte er sich an alle Krankenhäuser im Kreis (damals gab es ca. 15 Krankenhäuser). Erst dann hat man viele Laboranten, ein Laboranten-Team hierher geschickt. […] So gab es z.B. etwa 800 Menschen in einem Regiment. Sie können sich nur vielleicht ausrechnen wie viele Laboranten man gebraucht hatte, damit sie all den Menschen Blut entnehmen hätten können? Und diese Menschen mussten ab 8 Uhr arbeiten und davor noch genug Zeit haben, um zu frühstücken. Und sie mussten durch die Zone fahren. Man hat aber nirgendwo eingeschrieben, dass diese Laboranten in der Zone gewesen sind und hier gearbeitet haben. Etwa 90 Prozent der Laboranten haben keinen Schein, keinen Anerkennungsbescheid bekommen. Aber sie haben eine ebenso starke Strahlendosis wie andere Menschen hier empfangen. Endlich hatte ich genug Laboranten. Dieses Problem war gelöst. Dann kam in der Zone sowie in anderen Sektoren eine Frage auf, als die Menschen zu protestieren begannen . Die Einsatztruppe des Ministeriums für Verteidigung (unser Vorgesetzte) hatte einen Befehl erlassen. „Medizinische Untersuchungen sollen durchgeführt werden. Die Musterungskommissionen sollen geschaffen werden. Und alle Leute müssen untersucht werden! Danach soll ein Beschluss über den Gesundheitszustand der Menschen gefasst werden.“ Aus zwei Gründe weigerte ich mich, das zu machen. Erstens konnte ich dieser Musterungskommission nicht vertrauen, denn sie bestand aus nur vier Offizieren, und alle anderen waren einberufene „Partisanen“. Und diese „Partisanen“ sollten die „Partisanen“ untersuchen. Es war auch interessant, dass man hier z.B. alsTherapeut tätig war. Doch früher hatte man nie als Therapeut gearbeitet. Wie konnte ich ihnen glauben? Wir sind Freunde, so war das alles. Sie müssen mich untersuchen und einen Beschluss fassen. Welchen Beschluss können Sie fassen? Es ist nicht zu bezweifeln… Und am wichtigsten war, dass sie verstanden, dass man krank war, aber sie durften solchen Beschluss nicht fassen. Sie hatten kein Recht. Warum denn? Es gab einen Befehl. Es gab auch die Liste der Krankheiten. Und diese Liste war in der Kriegszeit gültig, sozusagen. Man durfte sie nicht befolgen. Das war verboten. D.h. sie verstanden, dass man krank war, aber sie durften ihn nicht für krank erklären. So waren die Kommissionen. ich hatte auch Täglich einige Probleme. Man rief mich aus der Einsatztruppe an und fragte: „Wie viele Menschen haben Sie untersucht?“ Ich antwortete: „Niemanden“. Man begann zu schimpfen, mich anzuklagen. Man sagte etwas über mein Parteibuch. Dass ich es abgeben sollte. Ich sagte: „Solange es keine Liste der Krankheiten gibt, tue ich das nicht“. Man antwortete, dass man mich von der Position abberufen müsste. Ich war einverstanden. Aber ich bedurfte des Befehls. Am Morgen rief man wieder an und sagte, dass ich wieder arbeiten müsste. So wurde ich einige Male „entlassen“.
Am 22. Juni bekamen wir eine Direktive vom Generalstab des Verteidigungsministeriums. Dort gab es eine Liste der Krankheiten, die wir befolgen konnten. Und wieder bedankte ich mich bei dem General Sawtschuk, dass er den stellvertretenden Leiter der Musterungskommission im Kreis, sowie die Leiter der Unterabteilung und leitende Oberärzte aller Richtungen geschickt hatte. Ich schuf zwei Kommissionen. Die erste bestand aus Kreisfachleuten, und die zweite – aus dem Sanitätsbataillon (laut dem Befehl). Die erste Kommission musste alle Menschen untersuchen, die irgendwelche körperliche Beschwerden hatten. Und die zweite Kommission untersuchte alle anderen Menschen, die keine Beschwerden hatten.
Alle Menschen (hundert Prozent) sollten untersucht werden. Innerhalb von zwei Tagen haben wir 800 Menschen untersucht. Leider waren alle kontaminiert… Armer General Bojarow, Leiter der Einsatztruppe. „Was soll ich tun, Herr Doktor?“ Die Kommission hatte einen Beschluss gefasst, dass er kontaminiert war. […] Er dürfte hier, wie viele andere Menschen, überhaupt nicht sein. Diese Menschen sollten weggeschickt worden sein. Aber wie konnte man 800 Menschen ersetzen? D.h. sie durften nicht mehr arbeiten. Falls wir sie damals dringend weggeschickt hätten… Ich sagte: „Herr General, wenn Sie die Menschen jetzt nicht wegschicken, machen die Menschen Krach“.
V.N.: Na ja…
„Den Zustand von allen zu untersuchen und einen Beschluss zu fassen”. Ich habe darauf verzichtet, das zu machen, aus zwei Gründen. Der erste Grund: ich kann dieser Ärztekommission nicht trauen, weil es nur 4 festangestellte Offiziere darin gibt, die anderen sind einbezogene “Partisanen”. Und diese “Partisanen” werden “Partisanen” untersuchen. Jemand konnte die Stelle des Therapeuten haben, ohne je als Therapeut tätig gewesen zu sein. Wie kann ich ihnen trauen? Wir sind ja Freunde, ihr werdet mich untersuchen, Beschlüsse fassen. Was für einen Beschluss könnt ihr fassen? Endgültig… Und die Hauptsache: sie verstehen, der Mensch ist krank, aber sie können den entsprechenden Beschluss nicht treffen, denn es gibt schon einen Befehl mit der Liste der Krankheiten, die man in den Kriegszeiten nicht als Richtlinie nehmen darf. Sie stellen dann fest, dass der Mensch krank ist, aber Sie haben kein Recht, ihn krank zu schreiben, weil diese Krankheit nicht auf der Liste steht. In solchen Kommissionen gab es damals jeden Tag solch eine Situation, wenn man aus der Einsatzgruppe anruft und fragt: “Wie viele Menschen haben Sie heute untersucht?” Ich berichte: “0”. Er fängt damit an, was für ein schlimmer Mensch ich sei, dass ich mein Parteibuch gefälligst abgeben muss und so weiter und so fort. Ich sage: ohne Liste mache ich das nicht, basta! Bis hin dazu, dass wir Sie entlassen. Ich sage: gut, entlassen Sie mich, aber geben Sie mir den Befehl. Am Morgen ruft man mich an, sagt: Fahren Sie mit der Arbeit fort. So wurde ich einige Male entlassen.
Am 22. Juli habe ich eine Richtlinie mit der Liste der Krankheiten aus dem Generalstab des Verteidigungsministeriums bekommen. Und wieder, vielen Dank an General Sawtschuk, er ist meinen Wünschen entgegengekommen und hat den stellvertretenden Leiter der bezirklichen Gutachter-Ärztekommission und Dezernenten oder Oberärzte aller Fachrichtungen zu mir entsendet. Ich habe 2 Kommissionen zusammengestellt: eine bestand aus den bezirklichen Fachleuten, die andere, wie es sich gehört, aus den Mitgliedern des Sanitätsbataillons. Die erste professionelle Kommission ist dafür da, alle zu untersuchen, die körperliche Beschwerden haben, die zweite ist für die anderen, die keine Beschwerde haben.
Alle Menschen hundertprozentig mussten untersucht werden. Das haben wir erfüllt, und so schnell, ich denke, innerhalb von 2 Tagen haben wir 800 Menschen als untauglich erklärt. Der arme General Bojarow, der Leiter der Operativgruppe, fragt: “Herr Doktor, was soll ich jetzt machen?”. Die Kommission hat ihn offiziell für krank erklärt. […] Jetzt hat man schon behauptet, er dürfe nicht mehr hier sein. Sie müssen entsendet werden, aber wie kann man 800 Menschen ablösen? Sie dürfen nicht mehr arbeiten. Falls wir sie jetzt nicht entsenden… Ich sage: “Herr General, falls Sie sie jetzt nicht entsenden, machen sie solchen Krach, dass…”
V.N.: Naja.
V.K.: Er sagte: “Verstehst du, Doktor, man gibt mir den Laufpass”. Ich sage: “Herr General, wir müssen sie entsenden”. […] Ich verbeuge mich immer tief vor ihm. Er hat 800 Menschen entsendet, […] ohne auf die Ablösung zu warten. Aber seine Voraussage hat sich verwirklicht. Statt ihn zum Generalleutnant zu ernennen, hat man ihn aus der Armee entlassen. Er war der einzige der immer, auf allen Besprechungen,wie ein Mantra sagte: “Passen Sie bloß auf die Menschen auf! Passen sie auf die Menschen auf, lassen sie nicht…”. Er ist an Krebs gestorben. Solch einem Menschen begegnet man selten. Wenigstens meine ich, ich habe etwas Nützliches getan, ich weiß nicht, wie sich das Leben dieser Menschen gefügt hat, aber ich habe dabei mitgewirkt, dass diese 800 Menschen in Sicherheit gebracht wurden. (Pause)
Viel ist da geschehen, aber die Hauptsache ist, man hat bis heute keine richtigen Schlussfolgerungen keine Lehre gezogen hat. Ich mache mir als Arzt, als Organisator Gedanken, dort wurden die Grundregeln, die Grundprinzipien der Strahlungssicherheit verletzt. Möglichst wenige Menschen sollten sich in der Zone befinden, möglichst weniger. Unsere Minimalzahl war 600.000. Man hat jedoch das Prinzip verfolgt, je mehr desto besser. Was da ist, wie sieht die Situation aus und so weiter. Dann, die minimale Einsatzzeit. Jetzt berechnet man diesen armen Kerlen die Zeit für die Rente als einen 8-Stunden-Arbeitstag, ohne Wochenenden und Feiertage. Die Wochenende und Feiertage waren nur fürs Schlafen, man arbeitete soviel man musste. Wen belügen wir? Nur die “goldenen Tschernobyler” arbeiteten mit Wochenenden und Feiertagen. Die großenwollten immer , am 9. Mai in die Zone kommen, denn es war ein Feiertag und man hat zweimal, dreimal, viermal soviel verdient. Laut diesem Einkommen hat man ihm die Rente berechnet, obwohl er nur einen Tag da verbracht hat. Nicht mal den ganzen Tag , sondern nur einige wenige Stunden. Und diese Kerle… Entschuldigen Sie, bitte, ich bin einfach aufgeregt.
Und noch ein wichtiger Punkt: allen menschlichen und medizinischen Gesetzen entsprechend, sollten dorthin die älteren Menschen entsendet werden, die ihre Reproduktionsfunktions schon erfüllt hatten. Die Strahlung schädigt in erster Linie den jungen. Und es gab so viele jungen Soldaten im Grundwehrdienst, zwischen 18 und 45 Jahren. Das ist ein Schlag gegen Genetik, gegen Genressourcen. Noch lange wird der Wiederhall klingen. Dafür sollte man nicht weniger angeklagt werden, als für die Havarie selbst. Damals dachte aber niemand daran. Und die Grundtatsache: die Menschen sind da gewesen, ob ehrlich, ob gezwungen, aber sie waren da. Dort gab es solche unheimlichen Plätze mit einer Strahlung von bis zu 40.000 Röntgen. Die Menschen waren da, aber man betrachtete sie als eine Kleinigkeit. So entstand der Begriff “Bioroboter”, das waren die Leute, die am Dach arbeiteten. Es gab ja keine Schutzausrüstungen, nur “Eigenentwicklungen”. Aus dem Blei schnitt man eine Art Röntgenschürzen aus, machte Windeln, um zu schützen… auch Brillen, Atemschutzgeräte, Arbeitshandschuhe. Mit all dem ist es schwer, zu gehen, die Kräfte verlassen einen. Man musste am 701. Zeichen arbeiten, das heißt, in einer Höhe von 70 Metern, wo alles zerstört ist, zunichte gemacht. Ohne Aufzug musste man in all dem diese 70 Meter klettern, wenn die Brille anläuft, mit schwerer Ausrüstung. Dann auf Kommando muss man durch das Loch aufs Dach klettern, durch die Trümmer laufen und etwas mit der Schaufel in den Reaktor werfen… Und dieser Reaktor scheint zu atmen.
V.N.: Die Reaktion läuft...
V.K.: Und dann auf Kommando muss man zurück laufen. Zuerst dauerten die Schichten 10 Sekunden. Ich habe gefragt, warum 10 Sekunden, als ich zu dem Chefingenieur des Werkes sprach. Er ist zu unserer Operativgruppe gekommen und wir sind plötzlich in ein Gespräch gekommen. Es erwies sich, er war aus Belojarka. Was ist das? Belojarka ist das Belojarsker Atomkraftwerk in der Nähe von Swerdlowsk. (lacht) Und ich stamme aus Swerdlowsk.
V.N.: Fast Landsleute.
V.K.: Und ich war auf diesem Kraftwerk. Wir waren fast Verwandte. Er hat mir sehr viel erzählt. Innerhalb dieser 10 Sekunden musste man ein paar Male mit der Schaufel werfen, wenn man konnte. In diesen 10 Sekunden hat man 6 Röntgen gekriegt, können Sie sich vorstellen, was das war? Oder, wie diese Kerle das beschreiben, die Atomkrieger aus der Gruppe. Viele Leute benutzen den Begriff “das Dach putzen”, aber das ist nicht dasselbe, als, sagen wir, den gekachelten Boden im Badezimmer zu putzen. Das Dach ist aber überall mit Beton bedeckt, mit Asphalt. Stellen Sie sich vor, solch eine hohe Temperatur und die Menschen müssen die Splitter der Explosion auswerfen. Ein großer Splitter oder die Verseilung werden mit 40.000 Röntgen kontaminiert. Ein Schmutzteil ist gefallen, versuchen sie mal, es zu finden. Es ist mit 500 Röntgen kontaminiert, man muss dieses kleinste, mikroskopische […] Schmutzteil finden, putzen, sonst war die ganze Arbeit umsonst… Unter solchen Bedingungen haben diese Jungs gearbeitet. Und jetzt müssen sie nachweisen, das ist ja Unsinn… Reiner Unsinn. Laut des Tschernobyler Gesetzes gibt es die 2., die 3. Kategorie der Liquidatoren, die 1986 da waren, und um eine Rente zu bekommen… Ja, (seufzt) um die Rente zu bekommen, soll man irgendwelche Unterlagen oder einen Dienstreiseauftrag mit der Bezeichnung der Ortschaft, wo mangewesen ist, haben. Das ist schon Unsinn, es wird bezeichnet: “Arbeitete auf dem Industriegelände des Tschernobyler Atomkraftwerkes”. Man sagt ihm: “Wo ist das denn? Industriegelände, aber welche Ortschaft?”. Die Ortschaft ist nicht gekennzeichnet, stellen Sie sich das vor. Und die Pensionskasse verzichtet darauf, ihm eine Urkunde auszuhändigen, weil die Ortschaft nicht eingetragen ist.
V.N.: Das ist unsere Bürokratie.
V.K.: Und was ist schrecklicher, was ist stärker als unsere Bürokratie, frage ich Sie? Es gibt nichts mehr. Vielleicht glauben Sie es mir nicht, aber wir haben heute so viele Liquidatoren der 2. Kategorie, die eine Rente von 942 Hrywnja bekommen
V.N.: Um Gottes Willen!
V.K.: Sie werden es nicht glauben. Obwohl die minimale Rente bereits 1247 UHA beträgt. Das sind Liquidatoren des Jahres 1986, 18-jährige Jungen, die damals ihren Dienst leisteten, kein Einkommen hatten, für 3 Rubel arbeiteten.
V.N.: Grundwehrdienstleister...
V.K.: Woraus soll das Einkommen berechnet werden? Man berechnet ihm die minimale Rente. Und bis heute leiden diese Menschen. Ich war nach Tschernobyl sehr krank. In meinem Gesundheitszustand durfte ich eigentlich überhaupt nicht mehr da sein… Das war 1986, seit 1963 hatte ich eine Geschwürerkrankung. Als ich da war, wurde es sehr akut, ich bekam eine derart starke Entzündung, dass ich einen Monat in der Reanimation verbrachte. Und ich hatte noch Glück, solch einen Dienstposten zu bekleiden, dass man mich mit einigen Arzneien, zum Beispiel, aus der DDR versorgte. Einen Monat habe ich da verbracht, allein im Zimmer, es gab ärztliche Beratungen. Dann kommt der Oberarzt für Strahlungstherapie und sagt: „Walja, du wirst leben. Du hast keinen Krebs”. Das war solch eine Entzündung, das das Essen nicht in den Magen passte. Der Magenausgang war bis auf ungefähr 4 Millimeter verengt. Das heißt, um eine Magenspiegelung zu machen, brachte man Schläuche aus einem Kinderkrankenhaus, weil unsere 7-8 Millimeter im Durchmesser hatten, und die kindlichen nur 4 Millimeter. Dann stellte sich das Problem, dass ich mich 6 Mal pro Tag ernähren musste. Aber ich war leitender Epidemiologe, arbeitete in Truppen, auf Truppenübungsplätzen, in Lehrzentren. 180 Tage pro Jahr verbrachte ich auf Dienstreisen. Und ich habe es mir überlegt… entweder gehe ich hops, oder ich muss die Uniform ausziehen. Ich habe einen Antrag geschrieben, um eine Position mit regulären Arbeitszeiten bekleiden zu können. Es gab einen großen Skandal, weil ich diese Position auf Befehl des Stellvertreters des Ministers für Verteidigung bekleidet habe. Sie konnten mir keine andere Position aussuchen. Man wollte mich nach Moskau senden, ins Burdenko-Hospital, so dass man mich dort behandeln könnte. Ich habe aber gesagt, dass ich nicht fahre, weil ich dann das Hospital nicht als Militär verlasse, keine Zweifel. So wurde ich Dezernat am militärischen Lehrstuhl im medizinischen Institut. Das war eine große berufliche Herabstufung für mich, mit einem Male habe ich 80 Rubel Einkommen verloren.
Und damals war das alles ernst. Schon am Lehrstuhl habe ich Studenten kennengelernt, die aus den vorher genannten Gebieten gekommen waren und so weiter. Da es eine sensible Frage war, fingen sie an, zu mir zu kommen, um um Hilfe zu bitten. 1991 wurde der “Verband Tschernobyl” gegründet, und es hat sich so gefügt, ich wurde dort von Nutzen. Und von 1991 bis 2006 oder 2007 war er für mich, so zu sagen, wie ein zweites Haus. Hier war ich als Beratungsarzt und Stellvertreter des Leiters tätig.
V.N.: Sogar als Beratungsarzt? Haben Sie Menschen untersucht?
V.K.: Wsewolod hat sich mit allen organisatorischen und wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, und alles, was die Arbeit mit Menschen angeht, habe ich auf mich genommen. Wir haben alles aus dem Boden gestampft. […] Das Geld wurde für den Ausbau des Tschernobyler Zentrums gestiftet. Aber es gab keines...
V.N.: Auch in Lwiw, in den Vorkarpaten?
V.K.: Nein, in allen Gebieten. Ich bin zur Gesundheitsverwaltung gegangen, habe mich vorgestellt, soundso, dass ich den “Verband Tschernobyl” vertrete. Das Geld wurde gestiftet… Wir haben ja entschieden, dass wir kein Zentrum brauchen, es gab zu der Zeit im Bezirkskrankenhaus 10 Betten in der Abteilung für Tschernobyler Pathologie, 10 Betten in der Abteilung für Nervenkunde, 10 Betten in der Gastroenterologie, das Geld war schon weg. Ich sage, gut, aber es soll auch Zimmer geben, eine zusätzliche Ernährung, eine kostenlose Behandlung. Und ich ging durch alle Abteilungen (lächelt), es kam zu Szenen, weil ich kam und erst von mir erfuhr die Oberärztin, dass… “Wir machen alles, hier sind die Liquidatoren…” Ich weiß, dass Sie nicht darauf verzichten, sie zu behandeln, aber sie dürfen nicht in das allgemeine Zimmer mit allen anderen Kranken gelegt werden. Ich sage: “Zeigen Sie mir bitte die getrennten Zimmer oder Zimmer für 10 Menschen. Zeigen Sie mir, dass sie eine zusätzliche gesetzmäßige Ernährung bekommen”. “Wir geben ihnen ja alles”. Ich bin gekommen und habe nichts gesehen. Da begannen wir, Lärm zu schlagen. […] Wir haben es geschafft, dass es jetzt ein ziemlich gutes Behandlungszentrum für Strahlenschutz der Bevölkerung bei uns gibt. Und ohne falsche Bescheidenheit kann ich sagen, dass es nur dank dem „SojuzTschernobyl” möglich war.
Auch nahm ich am Aufbau der Kommissionen für die Kausalitätsprüfung der Krankheiten, Behinderung und Tod in Tschernobyl teil. Es gab zwei Arten solcher Kommissionen. Es gab Kommissionen für evakuierte, übersiedelte, betroffene Menschen und Kommissionen für Liquidatoren. Fast 15 Jahren war ich Mitglied dieser Kommission für Liquidatoren. Obwohl man diese Position eigentlich nicht länger als 2 Jahre bekleiden darf. Aber das Ministerium hat mich immer als Mitglied der Kommission bestätigt. […] Und diese Kommission ist einzigartig sie ist für 7 Gebiete zuständig. Aus Kiew ist man hierhergekommen, so dass ich einen untersuchen und konsultieren könnte. […]
In diesem Jahr ist es schon 25 Jahre her, seitdem ich Mitglied der Kommission geworden bin. Wenn ich Liquidatoren als ein Fachmann untersuche, bin ich auch da mit ihnen, und kämpfe für sie. Das ist eine schwierige Arbeit. Weil die erste Kommission nur nach dem bürokratischen Prinzip funktioniert. Nach den Papieren schätzen sie einen Menschen ein. Man muss Dokumente vorlegen. […]
Viele junge Menschen haben sich nicht beklagt, weil man arbeiten musste. Er hat sich nicht beklagt, weil er seiner Familie nicht zeigen wollte, dass er… Viele junge Familien hatten dann Probleme mit Konsequenzen. Das war ja schädlich für die Gesundheit, für die Potenz usw. Und man hat das alles einfach geheim gehalten. Und wenn das alles zusammenfällt. Und man nicht mehr arbeiten kann, aber man hat ja auch keine Unterlagen, dann ist es schwierig.
V.N.: Es gibt keine Angaben…
V.K.: Man verbindet mit Tschernobyl nur eine einzige Krankheit und zwar – den Krebs.
V.N.: Und nichts mehr…
V.K.: Und nichts mehr. […]
Alles war so absurd, Oberst, Pilot, Hubschrauberpilot, Afghane ist über den Reaktor geflogen und hat den Sand abgeworfen und er konnte keinen Nachweis bekommen. Da er ja über den Reaktor geflogen ist. Ihm wurde ein Orden des Roten Sterns eben dort verliehen, im August 1986 neben dem Werk, wenn ich mich nicht irre. Und dann, wenn die Nachweise neu registriert werden sollten, zuerst hatten wir ja diese sowjetischer Art, und dann wurden Kommissionen gebildet, und ich war ein unabsetzbares Mitglied dieser Kommission bei der Gebietsverwaltung. Alle Tschernobyler, so gut wie alle Liquidatoren kenne ich. Und er bekommt keinen… keinen Nachweis. Und warum? Er ist Hubschrauberpilot, er ist über die Zone geflogen, und er soll eine Ortschaft angeben, wo er arbeitete. Und dass er über den Reaktor geflogen ist…Nein.
[…] Es gab viele Nuancen. Es gibt viele Benachteiligte. Weil man die Rente nicht gesetzmäßig sondern nach dem kriminellen Konzept vergeben wird. Das ist alles nicht gesetzmäßig, das sage ich immer. Wenn die Rente 900 UHA beträgt, heißt das, dass man zur 2. Kategorie gehört. Das ist ja nichts, nur Kopeken. Die dritte Kategorie hat überhaupt nichts, gar keine Ermäßigungen. Was mich angeht, bin ich ein Invalide der zweiten Gruppe, ich wurde zweimal onkologisch operiert und ich habe nie das Geld vom Staat für die Arzneimittel bekommen. Ich habe mir alle Arzneimittel selbst gekauft, weil es ja eine echte Qual ist, etwas vom Staat zu kriegen, deshalb habe ich mir alles selbst gekauft.
V.N.: So ist es leichter, sein Geld dafür auszugeben.
V.K.: Eine Verpackung Arzneimittel, die ich brauche, kostet zum Beispiel, 1700 UHA. Die nehme ich 21 Tage ein. Das heißt, dass diese Verpackung mich mal für einen Monat reicht. Da gibt es aber noch ein weiteres Problem. Es ist unklar, wo man die Medikamente kriegen kann. Es gibt keine nützlichen Arzneimittel hier bei uns. Und aus Russland will man sie prinzipiell auf keinen Fall liefern. Wir haben keine, aber von Russland will man prinzipiell nicht importieren. Gestern hat Suprun, unsere Ministerin, mit Freude erklärt, dass wir 15 Impfstoffe haben.
V.N.: Gegen den Botulismus?
W. K. Ja, genau, gegen den Botulismus. Und was gibt es hier zu prahlen? Wenn wir nur 15 Impfstoffe dank der humanitären Hilfe bekommen haben. Aber von Russland will man nichts nehmen. Ist das kein Genozid? Man lässt die Menschen politischer Prinzipien sterben wegen . Das verstehe ich gar nicht, weder als Mensch noch als Arzt (seufzt) Entschuldigung, ich habe mich in Rage geredet.
V.N.: Nein. Das haben Sie nicht.
V.K.: Die Sache ist so, dass das damals ein großer Teil meines Lebens war. Und es ist jetzt schwierig, alles zu erzählen.
W. N. Lassen Sie uns mehr über die Ereignisse in Tschernobyl reden.
W. K. Na klar.
W. N. Als Sie über die Tschernobyl-Katastrophe erfahren haben, wussten Sie als Arzt, wie man sich vor der Strahlung schützen sollte? Oder hat man Ihnen erst in Tschernobyl darüber erzählt?
V.K.: Hmm, die Frage ist natürlich interessant. Ich habe sehr einfach über die Tschernobyl-Katastrophe erfahren, ich hatte Urlaub und war zu Hause. Und als das alles in Tschernobyl passiert war, war ich schon da. So habe ich davon erfahren, der Urlaub wurde gekürzt, ich kam hierher, und all das hat angefangen. Ob ich verstanden habe, was das ist? Ehrlich gesagt, wusste ich nicht so viel darüber, was passiert war. Aber viele hatten damals auch keine Ahnung. Es war klar, dass etwas Schreckliches passiert ist, aber was konkret, was und wie es ist, konnte man sich, ohne da gewesen zu sein, gar nicht vorstellen. Eigentlich sollte es nicht passiert sein. Ich habe die medizinische Fakultät absolviert und im Thema „Strahlung„ kannte ich mich gut aus. Aber ich wusste, wie man sich im Falle eines Atomkrieges gegen Strahlung schützt. Und in Tschernobyl gab es ja keinen Atomkrieg, keine Atomexplosion. Denn da verwendet man solche Begriffe wie Atomexplosionsfaktor, eine Explosionswelle, und der wichtigste Wirkungsfaktor fehlte hier also. Eine radioaktive Strahlung gab es, eine Primärstrahlung gab es. Wenn um einen herum dieses friedliche Atom einen allerseits beißt, und man sieht es nicht, man spürt es nicht. Es ist ganz anders, und auch die Schutzmaßnahmen sind andere[…]
Man braucht keine Panzer und keine Kanonen. Das verstehen Sie ja. […] Der Krieg ist ein sehr grausames Ding. Wenn es eine nukleare Explosion während eines Krieges gegeben hätte, hätte man dorthin die Liquidatoren geschickt, die eine spezielle Schulung gehabt haben. Damit sie etwas gemacht hätten und so geblieben wären. Da sollte man kein Mitleid haben. […] Die grausame Militärmedizin … das ist der Krieg, das ist ein grausames Ding. Deswegen, als wir gingen, ohne… zuallererst bekamen die ersten eine Schutzausrüstung, eine allgemeine Schutzkleidung, die gegen die Strahlung schützt. Gegen die chemischen Waffen und nichts weiter…
Alles war aus Gummi gemacht, und es war so heiß, so etwa 40 Grad. In dieser Ausrüstung konnte man nicht arbeiten, Man hatte dann Schorf auf der Haut. Also hatten wir nur Respiratoren an. Die Respiratoren musste man jeden Tag wechseln, aber man hat uns keine neuen Respiratoren mehr gegeben. Deswegen haben wir vom Anfang an diese benutzt und diese haben mit der Zeit ihre Farbe gewechselt, von grün zu orange. Sie hatten sich so im Gesicht festgeklebt, dass man sie sich kaum abreißen konnte. Das war halt eine Reaktion, sozusagen. Alles musste man selbstständig erlernen und herausfinden. Man musste sich an alles gewöhnen. Als wir zurückgekehrt sind, hat man uns ins Ministerium des Gesundheitswesens gerufen und wir mussten geheimnisvolle Berichte schreiben.
W. K. Über den Zustand?
V.N.: Darüber, was dort passiert ist, was man machen soll, was wir vermuten und anbieten.
W. K Hat man diese Berichte nach Moskau geschickt?
V.N.: Ja. […]
So viele Jahre sind vergangen. Nachträglich ist man immer schlauer. Es fällt einem sehr leicht etwas zu sagen, wenn man nicht dabei war. Das hätten wir falsch gemacht, das hätten wir überhaupt nicht machen dürfen. Leicht gesagt, das ist leicht dahingesagt…
V.N.: Ja.
W. K. Wäre dein Vater so klug gewesen, wärest du überhaupt nicht geboren. Der Hauptingenieur hat mir so eine Sache erzählt, über die ich keine Ahnung hatte. Über den Blasenzähler. Unter dem Reaktor befand sich ein Schwimmbad. Und wie sich das Kernkraftwerk Tschernobyl von den anderen unterschieden hat… Damals beendete die Sowjetunion die Kernwaffentest im Wasser und in der Luft. In Semipalatinks war der Übungsplatz leer., in NowajaSemlja war der Übungsplatz leer. Und wozu hat man diese Explosionen gemacht? Weil das Kampfplutonium, aus dem man dann Bomben baut, während dieser nuklearen Tests produziert wurde,. Und man brauchte diese Kernwaffen. Der kalte Krieg war da. Und wir haben darauf verzichtet. So hat das Kernkraftwerk Tschernobyl zu Friedenszeiten dieses Kampfplutonium produziert. Diese Brennstäbe wurden ins Schwimmbad niedergelassen und auf solche Weise konnte man ohne nukleare Tests das Kampfplutonium produzieren, deswegen war dieses Kernkraftwerk so wertvoll, es ist einzigartig. Aber die Explosion ist passiert, die war sehr stark. Da dieser 2000-Tonnen-Deckel gestürzt ist. Deswegen ist die Exposition passiert. Und dann haben die Akademiker und Wissenschaftler, echte, nicht solche, wie sie jetzt sind, die Entscheidung getroffen, es zu versuchen die Station zu löschen. Und man hat dorthin in den Krater des Vulkanes zuerst Blei geworfen. Und er schmilzt sehr schnell. Dann hat man Blei, Bor, Sand und dann noch etwas… geworfen. Insgesamt waren das 5000 Tonnen, das ist ja so viel. Und der Prozess war schon in vollem Gange. Die Temperatur war 1000 Grad. Der Boden war erhitzt. Und es entstand eine echte Gefahr, dass der Reaktor wegen seines Gewichts nach unten gehen könnte. Es gilt ja immer Murphys Gesetz.
Zwei oder drei Wochen vor der Katastrophe hat man den Reaktor mit 180 Tonnen Uranbrennstoff beladen.
V.N.: Das bedeutet, dass er voll ist…
V.K.:Und die Hauptmasse von diesem Uran war immer noch da. Und was passiert denn, wenn der erhitzte Boden ins Wasser nach unten geht. Was passiert denn, wenn man Wasser in einen erhitzten Kochtopf hinzufügt?
V.N.: Das Wasser wird…
V.K.: Es gäscht… und alles zusammen. Und was passiert? Eine Exposition! Es kann eine so starke Exposition sein, dass sogar eine thermonukleare Reaktion entsteht und es danach zu einer atomaren Explosion kommt. Wenn diese 180 Tonnen explodieren, wird es so sein, als ob 10 Katastrophen in Hiroshima gleichzeitig passieren würden. Dann wird kein Europa mehr existieren. Und es bestand eine echte Gefahr. Und die Entscheidung wurde getroffen, das Wasser auszupumpen und diese Behälter mit Beton aufzufüllen. Und die Bergarbeiter haben diese Arbeit gemacht. Und heutzutage sagt man, dass die Arbeit umsonst war. Und die Menschen haben mit der bloßen Hand gearbeitet. Unsere Bergarbeiter haben gearbeitet. Bei Lemberg gibt es die Stadt Borislaw.
Das waren die Bergarbeiter, die im Norden gearbeitet haben. Sie haben da gebohrt, haben das Wasser ausgepumpt, das 40 Röntgen hatte. Das Wasser stand kniehoch. Ich weiß nicht, inwieweit es stimmt, aber ich glaube, es stimmt doch, denn es gibt viele Legenden. Ein Major ist in dieses Wasser sogar eingetaucht, um einen Hahn zu schließen, aus dem Wasser kam. Und er ist getaucht. Weiter weiß niemand, was danach mit ihm passiert ist. Denn es war minimal […] 40 Röntgen minimal. Und als dieser Behälter mit Beton aufgefüllt worden war, hat man sich beruhigt. Dass es keine… Es scheint mir, das war am 17. Mai.
V.N.: Mai?
V.K.: Die kolossale Arbeit wurde gemacht. Das hat mir dieser Hauptingenieur erzählt. Und jetzt sagt man, dass dies oder das falsch gemacht wurde. Europa müsste dafür dankbar sein, dass Europa jetzt überhaupt existiert.
V.N.: Klar…Und sagen Sie bitte, als sie angekommen sind, wo haben Sie dort gewohnt?
V.K.: Wo haben wir gewohnt?
Als ich angekommen bin, stand die Einsatzgruppe im Dorf Dibrowa. Es liegt an der Grenze mit der Zone, die 30 Kilometer beträgt, weil der Punkt der speziellen Bearbeitung da stand. Das war eine Passierstelle sozusagen. Dieses Dorf wurde übrigens mit dem Stacheldraht abgetrennt. Ein halbes Dorf lag in der Zone, das andere schon außerhalb. Die Einsatzgruppe wohnte in einem 2-stöckigen Gebäude, das war eine Schule.
V.N.: Haben Sie dort geschlafen, gearbeitet und gegessen?
V.K.: Alle haben hier geschlafen, gearbeitet und gegessen. Es gab etwa 20 Offiziere, sie haben alle Informationen bekommen und sie bearbeitet, sie haben auch alles andere gemacht. Und der Vorteil war, dass sie zur Aufgabenstellung und zur Kontrolle gefahren sind.
V.N.: Sind Sie dorthin auch gefahren?
V.K.: Ja. Man sagte zum Beispiel, dass jemand in irgendwelcher Abteilung schlechte Blutwerte hat. Dann muss man nach diesem Menschen suchen. Mit dem Auto fährt man dann. Und ich gehe dann und suche, wo sich dieser Soldat befindet. Weil man ihn dann schnell packen und evakuieren musste. Deswegen, als ich bei dieser Kommission gearbeitet habe, war es viel leichter für mich, weil die anderen keine Liquidatoren von der Tschernobyl-Katastrophe waren. Ich war der Liquidator von der Tschernobyl-Katastrophe und die anderen nicht. Und damals musste man seine Anordnung der Dienstreise und einen Auszug aus der Gehaltsabrechnung vorlegen. Weil abhängig davon, wo man in der Zone gearbeitet hat, es gab drei Gefahrenzonen und zwar die erste, die zweite und die dritte, wurde man auch bezahlt Wenn man in der dritten Zone der Gefahr gearbeitet hat, dann war der Lohn fünfmal höher. Als fünfter Punkt stand da „Sonstiges“.
Zuerst konnte man Zeugen finden, die bestätigten, was man in der Zone gearbeitet hat, und dann wurde dieser Punkt abgeschafft, da viele Menschen Pseudo-Zeugen gefunden hatten. Ich habe rechtzeitig alle nötigen Unterlagen bekommen. Und es gab auch Fälle, wenn man wirklich in der Zone gearbeitet hat und es wurden einem jedoch nicht geglaubt, sogar wenn man einige Nachweise hatte. […]
Damals gab es so viele solcher Leute. Um sie musste man kämpfen. Ich schrieb mit einem roten Kugelschreiber, dass ich das nachweisen konnte, dass diese Person dort war. Und erst jetzt verstehe ich, dass ich der einzige gewesen bin, der das geschrieben hat. Ich sagte: „Ich trage für meine Worte Verantwortung. Diese Person war dort.“ Das war die zweite Anmeldung, zuerst war die erste, und dann die zweite. […]
V.N.: Stimmt es, dass man da Bluttests gemacht hat?
V.K.: Das stimmt.
V.N.: Hat man es vor Ort untersucht oder hat man es nach Kiew geschickt?
V.K.: Vor Ort.
V.N.: Ach so, das hat man nur da gemacht. Und falls man schlechte Blutwerte hatte, wurde diese Person ins Krankenhaus geschickt?
V.K.: Ja, ja…Das war die einzige mögliche Lösung. Ich ließ die Kranken nicht im Sanitätsbataillon bleiben, weil es dort auch sehr schmutzig war. So wurden die Kranken in die nahe gelegenen Städte transportiert. […]
V.N.: Und hatten viele Menschen ein solch schlechtes Blutbild?
V.K.: Ja, viele Menschen hatten das…
V.N.: Ich möchte Sie noch etwas fragen. Sie haben gesagt, dass Sie zuerst sehr krank waren, als Sie aus der Sperrzone zurückkamen,…
V.K.: Das stimmt…
W:N.: Sie waren sogar einige Zeit lang im Krankenhaus. Wie fanden Ihre Familie und Ihre Freunde sowie Bekannten Ihren Einsatz in Tschernobyl? Wurden Sie anders, besonders behandelt, denn Sie waren ja in der Todeszone in Tschernobyl gewesen?
V.K.: Das ist eine sehr interessante Frage…Es war so, dass meine Familie nicht wusste, dass ich in Tschernobyl war.
V.N.: Ach so!
V.K.: Damals war meine Familie noch in Swerdlowsk.
W.M.: Bedeutet dies, dass sie noch nicht nach Lwiw umgezogen waren?
V.K.: Nein, und sie wussten gar nichts. Sie dachten, dass ich auf Dienstreise war. Sie hatten sich schon daran gewöhnt. Und als ich in der Sperrzone war, hielt ich zum ersten Mal ein Mobiltelefon (das Satellitenfunksystem) in der Hand. Und so telefonierte ich mit meiner Familie, denn es gab damals keine Handys. Und es war kaum möglich Ferngespräche zu führen, weil es viele Leute gab, die anrufen wollten. […] Ich hätte meinen Verwandten gar nichts gesagt und sie hatten auch gar nichts gewusst. Aber als ich aus Tschernobyl zurückkehrte, sollte ich untersucht und in ein Sanatorium geschickt werden, damit ich mich dort etwas erholen konnte. So kehrte ich zurück. Mein Kommandeur war derselbe General. „Was ist passiert? Viele Tage warst du nicht da. Hier hat man auch viel zu tun…“. Ich antwortete: „Nikolaj Antonowitsch, ich bin hundemüde. Drei Einsatztruppen wurden aufgelöst, aber ich blieb die ganze Zeit dabei. Ich habe 1,5 Dienstzeiten abgedient (dafür hat man mich „Mammut“ genannt). Ich habe den Leitern von anderen Sanitätsbataillonen Einweisungen gegeben. Verstehen Sie das? - Nein!“ So war es. Das Einzige, was ich erreicht habe… Mein Sohn hatte Hochzeit und ich wollte dabei sein. Also man ließ mich fahren. Ich sagte dem General: „Nikolaj Antonowitsch, Sie haben zwei Söhne und ich habe nur einen. Darf ich bei der Hochzeit meines Sohns sein?“ So bekam ich drei freie Tage. Damals gab es einen Direktflug "Lwiw - Swerdlowsk". Der Flug dauerte ungefähr 2 Stunden und 40 Minuten. So kam ich in Swerdlowsk an. Die Hochzeit wurde von meiner Frau organisiert. Ich war schon in Swerdlowsk. Und meine Frau ahnte die Wahrheit. Ich hatte eine Brille von Zeiss. Ich ließ sie noch in der Tschechoslowakei anfertigen. Ich war wirklich sehr stolz auf diese Brille. […] Als ich an der Akademie studierte, gab es solche Menschen, die Brillengläser tönten. So wurden diese Brillengläser bunt gemacht. Sie wurden dann verkauft. Man nannte sie…
V.N.: Solche Brillen hießen „Chamäleon“…
V.K.: Stimmt. Meine Frau und ich fuhren mit der Straßenbahn. Plötzlich sagte sie: „Hast du dir eine andere Brille gekauft?“ Ich antwortete: „Nein.“ – „Und warum ist sie so bunt?“ Wenn ich früher in der Sonne war, war sie ein bisschen braun. Aber jetzt sah sie ganz anders aus. Die Brillengläser haben sich verfärbt. […]
So waren meine Brillengläser jetzt… Meine Frau sagte: „Warst du in Tschernobyl?“ Ich nickte. In der Straßenbahn erfuhr sie alles. (lacht). Sie erfuhr, dass ich in Tschernobyl gewesen war. Sie fragen, wie ich behandelt worden bin. Man sagte: „Du warst dort, in Tschernobyl. Und hier hatten wir viel zu tun. Arbeite!“ So war es.
[…]
In der Gebietsverwaltung führten der Stellvertreter des Verwaltungseiters und der Vorsitzende eine Sitzung durch. Dort waren die Leiter verschiedener Sachgebiete (wie im Obersten Rat). Man besprach manche Fragen. Man sprach z.B. über die medizinische Versorgung der Menschen von Tschernobyl. Und der Leiter des Gesundheitswesens sagte: „Wir alle sind Menschen von Tschernobyl. Wir alle trugen Schäden davon.“ Plötzlich sagte ich: „Der Unterschied ist, dass ihr Schäden davongetragen habt…Wir sind krank und sterben. Und ihr lebt dank uns weiter.“ […] So wurden wir behandelt. Man sagte, dass man uns nicht dorthin geschickt hatte. Immer war ich zurückhaltend. Aber diesmal konnte ich mich nicht beherrschen. Vielleicht war ich schon zu alt oder einfach krank…
V.N.: Sie hatten es satt.
V.K.: Im Bus hätte ich beinahe den Fahrer umgebracht…Als ich in den Bus einstieg, forderte er den Liquidatorenausweis der ersten Kategorie (Menschen, die an Strahlenkrankheit leiden). Er sagte: „Alle Liquidatoren sind schon seit langer Zeit tot. Und ihr alle seid…“ Ich packte ihn an und sagte: „Du Scheißkerl lebst und hast Kinder dadurch, dass wir sterben. Nicht alle Liquidatoren sind tot!“, so ich. Danach fühlte ich mich drei Tage nicht wohl. Ich hatte hohen Blutdruck (etwa 210 mmHg)…Das hörte auch Wsewolod… Nach dieser Situation zeigte ich meinen Liquidatorenausweis niemals mehr. Von dieser Zeit an zeigte ich den Ausweis für Kriegsinvaliden.
So ist die Behandlung (er lacht). So ist es…
V.N.: Und was halten Sie von all diesen Veranstaltungen, die jährlich im April und Dezember anlässlich des Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe organisiert werden? Werden sie gut oder nicht besonders gut organisiert?
V.K.: Das können Sie vielleicht nicht glauben, aber ich bin dagegen…
V.N.: Sie Sind dagegen? Aber warum denn?
V.K.: Alle diese Veranstaltungen sind eine Fiktion. Das ist einfach eine bürokratische Fiktion. Da steht nichts dahinter. Es gibt keine Verpflichtungen. Das alles hat noch im Obersten Rat begonnen, wenn man auf den Tagungen anlässlich des Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe verschiedene Fragen besprochen hat. Wenn man die Versprechen gehalten hätte, wäre unser Leben sehr gut. In Wirklichkeit tut man gar nichts. Man verspricht nur… Was nützt es aber? …Die Liquidatoren treffen sich nur für sich selbst. Für die Verwaltung sind wir zur Last geworden. Sie tut so, als ob sie sich an uns erinnern, lieben und ehren würden. Die Verwaltung gibt eher vor, dass sie uns sehr gern hat… Das stimmt aber nicht. Ich nehme an diesen Veranstaltungen teil, denn ich will Blumen am Denkmal niederlegen, das wir haben errichten lassen. Ich will dem Denkmal meinen Respekt zollen. Dieses Denkmal haben wir „Tschernobyl-Gedenkstätte“ genannt. Das Denkmal wurde errichtet für die Leute, die die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe beseitigt haben sowie für die, die von der Havarie betroffen waren. Das Denkmal wurde errichtet zu Ehren der Menschen, die in Sicherheit gebracht, umgesiedelt worden, die schon tot sind. Das Denkmal wurde zu Ehren der Opfer vom Unfall im AKW von Tschernobyl errichtet. Was nützen alle diese Veranstaltungen? Heutzutage ist die Frage der ATO-Zone viel wichtiger geworden. Man legt zurzeit mehr Wert auf die Teilnehmer der ATO. Es scheint mir, dass die Verwaltung bald überhaupt vergisst, was das Wort „Liquidator“ bedeutet.
[…]
Sehr viele Menschen sterben. Ich bin Mitglied der Expertenkommission (zu Fragen der Gesundheit und der Rehabilitierung). So kann ich sagen, dass immer mehr Menschen an Krebs erkrankt sind. Aber die Mehrheit von ihnen kann keinen direkten Zusammenhang zwischen ihren Krankheiten und dem GAU nachweisen. […]
V.N.: Alles klar…Und wollten Sie noch einmal nach Tschernobyl fahren?
V.K.: Ja.
V.N.: Ach so!
V.K.: Ich bin aber noch nicht dorthin gefahren.
V.N.: (lacht) Sie sind noch nicht dorthin gefahren…Und wie finden Sie diese Idee…?
V.K.: Meine Frau ist dagegen. Sie würde mich nicht dorthin fahren lassen.
V.N.: (lacht) Das ist richtig… Und gab es denn eine Möglichkeit, dorthin zu fahren?
V.K.: Jedes Jahr (anlässlich des Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe) sorgen wir dafür, dass ein Bus uns zur Verfügung gestellt wird… Viele Menschen von Tschernobyl, Umsiedler aus Prypjat, Polesskyj sowie Warowytschi leben dort, wo sich das Denkmal befindet. Sie leben sehr beengt. […] Jedes Jahr fährt man dorthin. Ich wollte auch mitkommen. Doch meine Frau war dagegen. Sie sagte: „Nein!“
V.N.: Hat Ihre Frau Angst vor der radioaktiven Strahlung?
V.K.: Im Laufe des vorigen Jahres wurde ich mit 27 Kobalt-Kanonen (ein Gerät zur Krebsbehandlung) behandelt. Und dieses Jahr wurde ich wieder bestrahlt. Meine Frau sagte: „Genügt es dir nicht? Ich bin dagegen, dass du dorthin fährst“. Ich muss aber für sie sorgen, denn sie ist schon 53 Jahre alt (lacht). So bin ich nicht dorthin gefahren. Aber ich wollte.
V.N.: Und jetzt will ich Ihnen bereits die letzte Frage stellen. Ich habe Sie schon erschöpft…(sie lacht)
V.N.: […] Was meinen Sie, was die junge Generation, die nach dem GAU von Tschernobyl geboren wurde, und die ältere Generation von Tschernobyl wissen sollen? Woran sollen sie sich erinnern? Was würden Sie Enkeln und Großenkelkindern darüber erzählen?
V.K.: […] Erstens hat die Mehrheit der Kinder überhaupt keine Ahnung, was Tschernobyl ist. Die Kinder haben kein Interesse daran. Die eine Sache ist es, wenn das die ABC-SchülerInnen sind. Und die andere Sache ist, wenn das schon OberschülerInnen bzw. Studierende sind… Sie wissen davon gar nichts. […] Und wenn ich eine Rede halte, spreche ich die Kinder an und sage: „Neben euch stehen eure Großväter. Merkt euch, dass sie Helden sind, aber ihr wisst noch nicht, warum sie Helden sind und was sie gemacht haben…“ Ich versuche ihnen zu erklären. Ich sage: „Diese Menschen haben die Ukraine gerettet. Sie haben es ermöglicht, dass die Ukraine heute ein unabhängiger Staat ist. Hätten sie das nicht gemacht, würde die Ukraine heute nicht existieren. Es gäbe eure Mütter und eure Väter sowie euch nicht. Erinnert euch daran. Mindestens verdienen es diese Menschen, dass ein Denkmal zu ihren Ehren zu Lebzeiten errichtet wird. Und Europa sollte für sie ein goldenes Denkmal errichten, denn sie haben es gerettet“. Zweitens sage ich: „Erinnert euch an die Tschernobyl-Katastrophe. Ihr müsst euch darum bemühen, dass es eine solche Havarie nicht wiederholt werden darf.“ Das AKW wurde von Menschen gebaut. Der Fortschritt kann ziemlich gefährlich für die Menschheit sein. Deswegen muss man gründlich überlegen, welche Folgen der Fortschritt im zukünftigen Leben haben kann. Man muss Katastrophen verhindern. Man muss technische Katastrophen verhindern. Die Katastrophen, die Menschenversagen verursacht hat, dürfen nie passieren. Das möchte ich betonen. Vielleicht hat sich jemand das gemerkt, ich weißes nicht. Im Großen und Ganzen muss ich sagen, dass das alles bald vergessen sein wird. So funktioniert das menschliche Gedächtnis. Im Laufe der Zeit vergisst man alles. […]