Tetjana
Tetjana
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Viktoria Naumenko (im Folgenden V.N.): Heute haben wir den 11. Juli 2017. Wir befinden uns in Lwiw, Serbska Straße 13. Ich, Viktoria Naumenko, mache ein Interview mit… Stellen Sie sich bitte vor.
Tetiana Majorenko (im Folgenden T.M.): Tetiana Petrivna Majorenko, Umsiedlerin aus der verstrahlten Zone, dem Städtchen Poliske, Kiewer Gebiet.
V.N: Freut mich.
T.M: Ebenfalls.
V.N: Meine erste Frage ist umfangreich. Erzählen sie bitte von Ihrem Leben.
T.M: Wissen sie, dieses Leben, das vor der Katastrophe war... Die Katastrophe hat gleichsam unsere Schicksale in zwei sogenannte Abschnitte geteilt – das Leben vor der Tschernobyl-Katastrophe und das Leben danach. Wir haben in einem schönen Städtchen am Ufer des Flusses Uzh gewohnt. In diesem Städtchen, in Poliske, gab es Felder, Wälder, reiche Ernten, man hat dort Pilze und Beeren gesammelt, gefischt, aber der 26. April hat unser Leben verändert.
Dort wo wir gewohnt haben, wurde eine sehr hohe Strahlenbelastung festgestellt, dass bestätigen die Archivdaten, weil die Strahlungswolke, die aus dem Westen, genau in unsere Richtung gekommen ist... Diese Wolke bewegte sich dann auch Richtung Ausland, aber die schwarzen Wolke ist genau über unserem Städtchen hängen geblieben und es gab einen Fallout. Unser Städtchen lag jedoch außerhalb der 30-km-Sperrzone. Die Sowjetunion war ein totalitärer Staat und man hat gesagt, die Sperrzone umfasse das 30-km-Gebiet um das Atomkraftwerk in Tschernobyl, und außerhalb dieser 30 Kilometer sei weiterhinein normales Leben möglich. Das heißt, dort gebe es keinerlei radioaktive Strahlung und so sind wir geblieben. Man hat uns erst 1989 umgesiedelt. Von 1986 bis 1989 haben wir in unserm Städtchen gewohnt. Zu uns sind viele Menschen „auf Dienstreise“ gekommen, die für die „Partisanen“ (so haben wir früher die Liquidatoren genannt) gekocht haben, bei der Post gearbeitet haben o. Ä. Diese Menschen haben jetzt den Status der Liquidatoren. Leider haben wir bloß den Status «Evakuierte», wir sind sowohl damals als auch jetzt vom Staat im Stich gelassen worden.
Demnach hat das Jahr 1986 unser Leben verändert. Unsere Kinder – jetzt sind sie schon erwachsen – waren damals etwa 5 Jahre alt, mein Sohn und auch unsere Nachbarkinder. Zehn Tage nach der Katastrophe erklärte Romanenko, der damalige Minister des Gesundheitswesens, dass die Kinder nicht frei auf der Straße spazieren gehen sollen, dass man Spaziergänge für die Kinder beschränken soll. Erst zehn Tage danach! Die Kinder sind ja die ganze Zeit spazieren gegangen. Man konnte ihnen nicht erklären, warum man nicht auf die Straße hinausgehen durfte. Wir haben ihnen gesagt, dass es draußen Strahlung gibt, aber sie haben durch die Fenster geschaut und gesagt: «Es gibt dort keine Strahlung! Dort scheint die Sonne genauso wie immer, das Gras ist ganz normal, alles ist gut». Wir durften auch keine Beeren sammeln. Aber wir sind in Polesien aufgewachsen, wir sind es gewohnt. Man durfte nicht zum Fluss gehen und fischen, weil alles verstrahlt war. Und das erste Wort der neugeborenen Kinder war nicht mehr „Mama“. Überall hörte man viel öfter das Wort „Strahlung“. Strahlung war unser Feind, den wir nicht sehen konnten. Wir sagten unseren Kindern: „Dorthin darfst du nicht gehen, da sollst du nicht stehen oder laufen“. Tatsächlich haben die Strahlung und die Tatsache, dass wir aus der Zone nicht evakuiert wurden, unseren Kindern die Kindheit weggenommen. Denn unsere Kinder hatten so viele Beschränkungen. Wir hatten 1986 eine sehr gute Apfelernte, aber wir haben sie nur angeschaut wie im Museum, wir durften sie nicht essen, weil sie verstrahlt waren. Aber die Kinder sind auf die Bäume hochgeklettert und haben diese Äpfel gepflückt.
Das heißt also, wissen sie, dieser totalitäre Staat... Die Kinder waren sehr krank. Ich erinnere mich an ein Mädchen. Sie hatte im Jahr1987 Leukämie, Krebs, sie ist gestorben. Die Kinder sind einfach auf die Straße gegangen und dann umgefallen, weil sie Nasenbluten hatten. Und wir auch. 1986 sind Belgier gekommen, sie haben den Film «Die Kinder von Tschernobyl» gedreht. In Wirklichkeit waren unsere Kinder die Kinder von Tschernobyl, weil wir verlassen worden sind. Und so ist 1989 eine Initiativgruppe aus Poliske und Narodytschi nach Moskau zu Gorbatschow mit Untersuchungsergebnissen gefahren. Die Ergebnisse waren schrecklich. Unsere Ärzte haben diese Untersuchungen gemacht und sie haben das von der Regierung geheim gehalten. Natürlich wurde die Initiativgruppe nicht von Gorbatschow selbst, sondern von seinem Vertreter empfangen. Und man hat damals den Beschluss gefasst, sich an die IAEA mit der Bitte zu wenden, in die Zone zu kommen und eigene Untersuchungen zu machen. Und danach sollte beschlossen werden, ob man hier wirklich wohnen durfte.
V.N: Mhm.
T.M: Denn die Sowjetunion konnte diese Entscheidung nicht selber treffen. Und da sind Experten von der IAEA zu uns gekommen. Sie haben alles untersucht und Plutonium gefunden. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass die Menschen evakuiert werden sollten. Und im Dezember 1989 hat das Ministerkabinett der Ukraine die Verordnung über die Evakuierung der Einwohner von Poliske und Narodytschi erlassen. Das heißt, von 1986 bis 1989 haben wir für unser Überleben gekämpft. Für unsere Leben.
V.N: Ich möchte jetzt ein bisschen zum Anfang zurückkehren. Sagen sie bitte, ob sie sich erinnern, wie sie persönlich, ihre Familie, von dem Unfall im Atomkraftwerk erfahren haben?
T.M: Was uns betrifft… Wir haben in einem fünfstöckigen Haus gewohnt. Gegen drei Uhr hat man etwas gehört. Wir haben im dritten Stock gewohnt und das hat im fünften Stock begonnen. Irgendwelche Geräusche. Im fünften Stock haben die Fahrer aus einem landwirtschaftlichen Unternehmen „Silchostechnika“ gewohnt.
V.N: Aha.
T.M: Mir gegenüber hat meine Freundin, Kinderärztin von Beruf, gewohnt. Und da ist die Nothilfe zu ihr gekommen, ich habe das Geräusch gehört. Und am Morgen hat man uns gesagt, dass sich ein Unfall im Atomkraftwerk ereignet habe, aber nichts Furchtbares passiert sei. Und wir führten unser normales Leben weiter...
V.N: Klar.
T.M.: … am Samstag. Und am Sonntag haben wir schon die Gerüchte gehört, dass man Menschen aus der Stadt Prypjat evakuierte, und man musste sie nach Poliske umsiedeln. Ich stand auf der Straße und der Wind hat auf mich geweht und schon am nächsten Montag konnte ich nicht sprechen. Meine Stimme wurde ganz heiser, mein Zahnfleisch war angeschwollen, ich dachte, dass es mir wegen meiner Zähne passierte. Später habe ich auch andere Folgen gespürt, ich habe zwei Schilddrüsenzysten.
V.N.: Und als was haben sie damals gearbeitet?
T.M.: Nun damals haben wir bei staatlichen Arbeiten mitgemacht.
V.N.: Aha. Klar.
T.M.: Nun…
V.N.: Und wann hat man ihnen erzählt, was passiert war? Wann wurde ihnen klar, dass es ernsthaft ist?
T.M.: Als die meisten Menschen aus Prypjat nach Poliske umgesiedelt worden sind, hat man gesagt, dass sie nur ihren Ausweis und einige Sachen mitnehmend durften, weil es nur für drei Tage sei. Dass es für immer war, wurde nur später klar. Deshalb haben wir uns nicht besonders große Sorgen gemacht, weil wir gedacht haben, dass alles in Ordnung ist. Ich muss auch sagen, dass viele Menschen Privathäuser hatten, weil Poliske ein kleines Städtchen, praktisch ein Dorf, war. Sie hatten Kühe. Diese Kühe haben auf den Wiesen geweidet. Später haben die Menschen ihre Milch getrunken und es kam oft zu Vergiftungen. Sehr viele Menschen sollten nach Kiew, besonders die Kinder, weil Mütter diese Milch ihren Kindern gegeben haben.
V.N.: Und hat Ihnen jemand erklärt, wie Sie sich nun verhalten sollten?
T.M.: Romanenko, der damalige Minister für Gesundheitswesen, hat zehn Tage später im Rundfunk und im Fernsehen empfohlen, den Konsum der Lebensmittel vom eigenen Gemüsegarte, und auch Spaziergänge für die Kinder zu beschränken und die Fenster zu schließen, damit die Luft...
V.N.: Aha.
T.M.: Erst zehn Tage danach! Er hat auch gesagt, dass die Menschen, deren Häuser mit Öfen beheizt werden, Brennholz waschen sollen, bevor es in einen Ofen geworfen wird. Über Brunnen auch... Auch solche Empfehlungen wie: „Waschen Sie den Fußboden jeden Tag.“ Diese Empfehlungen waren so lächerlich, es gab sogar Witze über die Nation, die die Strahlung mit Wasser abwäscht (auf Ukrainisch gereimt), weil wenn Regierungsvertreter aus Kiew zu uns kamen, besprengte man bei uns in Poliske sofort den Asphalt und wusch die Straßen, aber wenn sie nicht da waren, atmeten wir weiter den Staub ein. Und die Folgen sind schrecklich, weil von dreißig Tausend der Bevölkerung des Polisker Bezirkes, inklusive Wiltscha, der 30-Kilometer-Zone, sind neunzehn Tausend, sogar zwanzig, schon gestorben ... Unser Revierleiter, Herr Andrijewski, kümmert sich um die Archive. Er macht sich Sorgen um seine Heimat. Außerdem hat er viele Bücher geschrieben, Filme gedreht. Das heißt also, es sind etwa zehntausend von dreißigtausend am Leben geblieben.
V.N.: Klar.
T.M.: Und jeden Tag hören wir, dass jemand von uns hier und dort - in Sumy, Cherson, Charkiw, beerdigt wurde. Das sind schon ältere Leute. Und junge Leute, die damals Kinder waren, sie sind jetzt praktisch nicht imstande, ein normales Leben zu führen und zu arbeiten. Weil die Strahlung bei ihnen hauptsächlich die Knochen, das Knochenmark beeinflusst hat – Beine und Wirbelsäule tun ihnen sehr weh. Man sagt, dass allen die Wirbelsäulen weh tut. Aber die Kinder sind nicht schuld, dass sie verlassen wurden. Und sie haben auch fürchterliche Kopfschmerzen. Die damaligen Kinder, heute etwa 35 Jahre alt, bekamen eine Behinderung, nicht nur nach Dokumenten, sondern tatsächlich. Und jeder unabhängige Experte kann das prüfen und sehen, dass diese Kinder benachteiligt sind, weil sie nicht vollwertig arbeiten können. Sie können nicht richtig arbeiten, haben natürlich auch geheiratet und selbst Kinder bekommen, aber sie können ihren Kindern nichts vererben und weitergeben, weil sie krank sind. Und diese Generation, die nach dieser kommen wird und noch die dritte Generation, wird solche Probleme haben.
V.N.: Ja. Sagen sie bitte, wann haben sie persönlich die ganze Katastrophe von Tschernobyl verstanden? Wann wurde ihnen klar, wie schwerwiegend die Folgen sind?
T.M.: Wahrscheinlich, wissen sie, im Jahr 1986.Da haben wir uns schon irgendwie eingelebt und eingewöhnt, und später, 1987, es war so schrecklich ... Jeden Frühling sollten wir umgesiedelt werden, mal sagte man, wir werden umgesiedelt, mal nicht.
Ich habe das erst realisiert, als ich mit meinem Sohn in den Wagen gestiegen bin und vom Haus abgefahren bin, das war 1992, als ich meine Heimat verlassen musste. Als ich dann wiedergekommen bin und mein Haus gesehen habe, verstand ich, dass ich niemals an diesen Ort zurück kehren werde.... Und ich habe 33 Jahre lang in Poleski gewohnt! Und 33 Jahre ist mehr als die Hälfte des Lebens, und irgendwie ... Damals hat es mir im Herzen weh getan und heute ist es nicht anders, weil ich meine Wurzeln, meine Heimat verlassen musste. Wir sind dort geboren, wir sind dort aufgewachsen, dort haben unsere Eltern gewohnt, die Großeltern, unsere Familien. Falls man einen Baum ausreißt, ist es eine Frage, ob er sich in seinem Alter irgendwo einlebt, oder nicht? Bei den jüngeren sah das ganze etwas anders aus. In diesem Moment spürt meine eine unbeschreibliche Angst und ein Gefühl der Verzweiflung, dass man in diese von Gott gegebene Heimat nie mehr zurück kehren wird…Und so ist es auch passiert, es hat unser ganzes Leben verändert, einen Strich durch unsere Rechnung gemacht.
V.N.: Gerade in jenem Moment.
T.M.: Gerade in jenem Moment. Weil wir uns schon daran gewöhnt haben. Wissen Sie, man gewöhnt sich an alles, so lebten wir schon irgendwie. Und dieser Umzug war nicht freiwillig, sondern notwendig. Nachdem wir da von 1986 bis 1992 gewohnt hatten. Im Jahr 1990 hat die Umsiedlung teilweise begonnen. Aus irgendeinem Grund hat man zuerst Schwangere, dann Kinder, also Familien mit schwangeren Frauen, später Kinder bis drei Jahre, dann von drei bis fünf umgesiedelt. Mein Sohn war fünf Jahre alt, später hat die Umsiedlung nach fünf Jahren begonnen. Es war sehr schwer, die Heimat zu verlassen, nachdem man dort schon sogar jene Katastrophe, die ganze Strahlung mitbekommen hatte. Wir haben uns schon daran gewöhnt. Aber die medizinischen Untersuchungen haben gezeigt, dass man nicht nur jene fünfjährigen Kinder retten musste, sondern auch jene Generation, die geboren werden sollte. Und deshalb, mit Schmerzen im Herzen, haben die Bewohner von Poliske die Heimat verlassen. Es war schwer das mitzubekommen. Sogar die Liquidatoren der Katastrophe, die bei uns auf Dienstreise waren, konnten sehen, mit welchen Schmerzen, in welchem schrecklichen Zustand die Bewohner von Poliske ihre Heimat verlassen haben...
V.N.: Und wie wurde die Umsiedlung gerade in ihrem Fall durchgeführt? Sie haben gesagt, dass die Gespräche darüber tatsächlich schon 1986 geführt wurden, ob man Menschen umsiedeln sollte oder nicht. Aber wann hat man ihnen mitgeteilt, dass die Umsiedlung endgültig ist? Wie hat die Umsiedlung stattgefunden? Oder hat man ihnen eine Wahl gegeben, wohin sie umgesiedelt werden? Konnten sie einen neuen Wohnort wählen? Woher hatten sie diesen Wagen usw., und was hat man ihnen erlaubt mitzunehmen? Können sie davon ein bisschen erzählen?
T.M.: Im Jahr 1989, als das Ministerkabinett die Verordnung über die Umsiedlung schon verabschiedet hat, hat die Umsiedlung 1990 begonnen und bis Ende 1990 gedauert, die sogenannte Stufenumsiedlung. Und natürlich auch wenn wir nicht wegfahren wollten, mussten wir dennoch, weil wir schon entlassen wurden, wir konnten nicht arbeiten.
V.N.: Klar.
T.M.: Man hat die Bedingungen deutlich gestellt. Alles. Man hat uns eine Wohnung gegeben, ja, wir hatten eine Wahl, wir konnten einen beliebigen Ort in der Ukraine wählen, außer der Krim und der östlichen Gebiete. Und sonst alle Städte der Ukraine - Charkiw, Cherson, Lwiw, Ternopil.
V.N.: Aha.
T.M. Wir hatten damals eine Wahl.
V.N.: Und warum haben sie gerade Lwiw gewählt?
T.M.: Von 1989 war in „NRU (Narodnyj Ruch Ukrajiny)“ („die Volksbewegung der Ukraine“). Als die „NRU“ gegründet wurde, lernte ich viele Menschen, die in Poleski wohnten und „NRU“ leiteten kennen. Leider sah ich Wjatscheslaw Maksimowitsch Tschоrnowol nicht persönlich, aber er war in Poleski, das hat man mir später gesagt, ich denke, dass es absichtlich war. Aber er war eine halbe Stunde in Poleski, „NRU“ hat uns in vieler Hinsicht geholfen. Er hat uns im Kampf gegen diese Ungerechtigkeit, gegen diese öffentliche Position, dass alles in Ordnung sei, und auch gegen jenen totalitären Staat, unterstützt. Und dank uns, nur dank „NRU“, dank der Wahrheit, die von uns gesagt wurde, wurden wir umgesiedelt. Sonst hätten wir dort bis jetzt gewohnt, und dieser Einfluss wäre schrecklich, weil die Halbwertzeit von Cäsium und Strontium dreißig oder fünfzig Jahre beträgt, aber von Plutonium 24 000 Jahre. Und Plutonium beeinflusst das Knochenmark. Deshalb ist es dort tatsächlich unmöglich zu wohnen, obwohl wir uns irgendwie schon daran gewöhnt hatten. Also, und in 1980-90 haben wir eine Wahl getroffen. Wir schrieben an das Stadtbezirkskomitee der Partei, wohin wir fahren wollten. Dann gab die Verwaltung von Poliski über die Kiewer Verwaltung die Listen in alle Gebiete weiter, wo man uns Wohnungen zur Verfügung stellen konnte. Wir haben Lwiw gewählt. Wir hatten niemanden in Lwiw, wir haben das wegen „NRU“ gemacht, die uns sehr geholfen hatte, sie kamen aus Lwiw zu uns, brachten uns reine Lebensmittel, wir haben sie damals in der Zone so genannt - „reine Lebensmittel“.
V.N.: Aha.
V.N.: Klar.
T.M.: Oder man hat uns motiviert, nach Lwiw zu fahren. Obwohl meine Freundin aus der Kindheit, mit der wir zusammen aufgewachsen sind…
V.N.: Eine enge Freundin also?
T.M.: Ja, sehr. Sie ist nach Charkiw gefahren. Ich bin nach Lwiw gefahren. Und ihre Schwester ist nach Uschhorod gefahren. Das heißt, sogar Familien gingen auseinander. Verstehen Sie?
V.N.: Und haben sie sich nicht abgesprochen, nicht versucht, in dieselbe Stadt zu kommen?
T.M.: Wir haben besprochen, dass unser Poliske an einem neuen Ort, bei Perejaslow, wiederaufgebaut wird, damit wir alle zusammen wären. Poliske ist nicht so groß, dort gab es ja nur 12 000 Menschen. Viele sind selbst weggefahren, als Flüchtlinge, ich meine, freiwillig.
V.N.: Ja.
T.M.: Man konnte selbst wegfahren und sich einen Wohnsitz suchen. Viele Menschen hatten Verwandte in anderen Städten. Unsere Verwandten haben alle in Poliske gewohnt, wohin konnten wir also fahren? Und wir haben die Kiewer Verwaltung und das Zentralkomitee der Partei gebeten, wir haben uns an Schtscherbizki, gewandt, und Walentina Schewtschenko ist zu uns gekommen, wir haben gebeten, dass für uns Poliske wiederaufgebaut wird, wir haben gesagt, dass wir noch ein Jahr, sogar zwei Jahre warten können, bis es gebaut wird... Wissen sie, jetzt denken wir, warum wurde es nicht aufgebaut? Weil sehr viele Menschen gestorben sind, und es wäre mehr als offensichtlich gewesen. Ich meine sogar das Kiewer Gebiet - Baryschewka, meine Kollegin hat dort gewohnt, sie sagt, dass die Einwohner von Baryschewka auf die Einwohner von Poliske sauer sind, weil sie alle Plätze besetzt haben. Unsere Krankheiten wären sehr sichtbar, und es wäre auch sichtbar, dass Menschen gestorben wären. Und so hat man uns verteilt, wie Schafe ohne Hirten. So haben wir unsere Heimat verlassen. Seit 25 Jahren wohne ich in Lwiw. Natürlich wurde Lwiw die zweite Heimat für uns, obwohl wir Sehnsucht nach unserem Heimatort haben, und dieser Schmerz im Herzen wird nie vergehen, besonders wenn man beachtet, dass unsere Generation das ganze schon im reifen Alter erleben musste. Also, ich war, zum Beispiel, 33 Jahre alt, meine Mutter war 60 Jahre. Aber es gab Menschen, die mit 70-75 Jahre weggefahren sind. Sogar 80-jähgrige. Man hat diese Menschen mitgenommen, obwohl sie zusammen mit ihren Verwandten sterben wollten. Dort, in ihrer Heimat. Wie sehr das wehgetan hat, schrecklich!
V.N.: Was den Prozess der Übersiedlung angeht. Haben Sie Ihre Wohnung früher gesehen, sind nach Lwiw gefahren und dann nach Poliske zurückgekommen, oder hat man für sie alles vorbereitet und sie sofort nach Lwiw geschickt, mit allen Sachen, die man nehmen konnte?
T.M.: In dieser Frage hat uns unsere und die Kiewer Verwaltung sehr gut uns behandelt, denn wir durften die Stadt wählen. Wir haben Lwiw, jemand Ternopil, jemand Cherson, jemand Charkow gewählt, und wir sind natürlich dorthin gefahren und haben die Wohnungen gesehen.
V.N.: Verständlich.
T.M.: Ich zum Beispiel, konnte sogar den Bezirk wählen... Es war sehr gut…
V.N.: Sogar…
T.M.: Wir haben den Bezirk gewählt, wo viele Menschen von Polesien gewohnt haben. Das heißt, wir wussten schon im Voraus, dass die Wohnungen dort bald fertiggebaut werden. Das Einzige - als die Menschen aus Prypjat umgesiedelt wurden, durften sie keine Sachen mitnehmen, sie haben dort alleszurückgelassen, und man hat ihnen eine Ausgleichzahlung für diese Sachen gegeben. Als wir gefahren sind, haben wir alles mitgenommen, unsere Waschmaschinen mitgeschleppt, die schon radioaktiv verseucht waren, weil die vor 1986 Jahren gekauft wurden. All diese schmutzigen Sachen, Waschmaschinen, Möbel haben wir mitgenommen, weil man uns dafür nichts gegeben, keine Kompensation, nur einen kostenlosen Wagen und...
V.N.: Die Beförderung.
T.M.: Die Beförderung.
V.N.: Klar.
T.M.: Es war kostenlos. Wir haben alles mitgeschleppt. Die Menschen, die aufs Land gefahren sind, haben Kühe, Ziegen, und Hunde in den Wagen mitgenommen. Wie konnten sie diese verlassen? Die armen Kühe haben geweint. (lächelt). Es hört sich lustig an, ich würde zum Beispiel keine Kuh mitnehmen, weil ich nach Lwiw gefahren bin, wie könnte ich eine Kuh mitnehmen? Aber wenn ein Mensch aus Polesien, sagen wir mal, im Kiewer Gebiet, in Beresan, ein Häuschen bekommen hat, dann wollte er natürlich seine Kuh mitnehmen. So war es.
V.N.: Haben Sie in Lwiw das Haus im Bezirk gewählt, wo mehr Einwohner aus Ihrem Dorf gewohnt haben?
T.M.: Also bei uns in Sytschow wohnen etwa zwanzig Menschen aus Poliske.
V.N.: Klar.
T.M.: Mehr als zwanzig Menschen aus Poliske sind nach Lwiw gekommen. Und wir haben Sytschow gewählt, wo sich unsere Landsleute angesiedelt haben.
V.N.: Kannten sie einander und pflegen sie mit ihnen bis jetzt Kontakt?
T.M.: Wir kannten einander, ja. Zum Beispiel hat mein Mitschüler im Häuschen unweit von mir gewohnt und wir haben uns natürlich unterhalten. Die Menschen von Poliske und Narodytschi. Wir sind heute auch zusammen, kämpfen für unsere Rechte, es sind dreißig Jahre nach der Katastrophe vergangen, aber die soziale Ungerechtigkeit gegen die Umsiedler aus der verstrahlten Zone existiert heute immer noch. Das heißt, es war ein Genozid, man hat uns im Stich gelassen, weil die 30-km-Zone verseucht war, aber die Sowjetunion hat der ganzen Welt gesagt: «Da ist alles sauber». Weil es war, so zu sagen, ein geheimer Verlust von Ihrer... ich kann kein passendes Wort finden. Also, sie haben gesagt, dass alles normal war, und dann hat es sich herausgestellt, dass auch Menschen, die außerhalb der 30-km-Zone gewohnt haben, Probleme haben, dass ihr Verstrahlungsgrad höher als in der 30-km-Zone war. Verstehen Sie, man hat vor allem die 30-km-Zone gemessen. Die Militärs haben dreißig Kilometer auf der Karte markiert, und man hat die Menschen umgesiedelt. Und als die Strahlungstechniker gekommen sind und eine Strahlungskontrolle durchgeführt haben, haben sie gesehen, dass einige Stellen in der 30-km-Zone nicht so kontaminiert wie Ortschaften außerhalb der Zone waren. Weil sich die Radioaktivität fleckenweise verteilt hat. Die Strahlungswolke ist nicht auf alle Dörfer niedergegangen, sondern fleckenweise. In der 30-km-Zone gibt es solche reinen Dörfer, aus denen man die Menschen überhaupt nicht umsiedeln musste. Aber es wurde gesagt: Dreißig Kilometer, es bedeutete, dass die Menschen dort umgesiedelt werden sollten. Man hätte sagen müssen, dass die Fläche außerhalb der 30-km-Zone auch verstrahlt war! Es wäre jedoch ein Verlust der Autorität des totalitären Systems gewesen. Dann haben alle einstimmig gesagt, dass alles gut war. Aber es war ein Genozid. Denn sogar in Tschernobyl, ich habe Erinnerungen hier. Von einem Flieger, ach, die habe ich nicht mitgenommen. Er hat sich erinnert, dass der Verstrahlungsgrad in Tschernobyl 470 Milliröntgen war, dort hat er einmal pro Stunde gemessen. Und in Poliske war es 12 000 Mikroröntgen pro Stunde. Das heißt, 470 und 12 000! Das heißt, in Poliske war der Verstrahlungsgrad um ein Zehntausendfaches höher. Weil Tschernobyl gerade auf der anderen Seite war, und die radioaktive Wolke ist nicht dorthin gegangen, sie ist gerade auf Poliske niedergegangen. Und in Poliske haben Kinder gewohnt, wie er schreibt, erinnert er sich, dieser Hubschrauberpilot. Das war also ein Genozid, das möchte ich betonen. Erstens sind sehr viele medizinische Regierungskommissionen gekommen. Aus Moskau, aus Sankt Petersburg, (damals Leningrad), aus Kiew. Sie haben venöses Blut unseren Kindern abgenommen, und unsere Kinder sind aus dem Kindergarten geflohen, weil die Ärzte jeden Monat zwei oder drei Mal gekommen sind und Blutproben gemacht haben. Unser Chefsekretär hat die Erzieher eingeladen und ihnen gesagt, dass es die Verordnung des Leiters sei, alle Mütter sollen die Kinder halten, damit man Blut abnehmen und die Ergebnisse bekommen könnte. Wir haben sie zum ersten Mal gehalten, aber es gab danach keine Ergebnisse, weder nach einem Monat, noch nach zwei oder sogar nach einem halben Jahr. Und schon dann haben wir gegen diese Blutentnahme ohne Ergebnisse protestiert. Die blassen Kinder sind aus der Schule gelaufen, die Knaben, schon vierzehn Jahre, sind aus der Schule gelaufen, weil... Wir hatten keine Angst, aber es gab keine Ergebnisse. Sie haben zu diesem Thema Dissertationen geschrieben. Ein Verbrechen gegen den Menschen! Ich will gerade über dieses Verbrechen eine Klage in die „Helsinska Spilka“ hier bei uns in Lviv einreichen, um juristische Hilfe in dieser Frage zu bekommen, denn dreißig Jahre sind vorbei, aber wir können es immer noch nicht erreichen. Jetzt haben wir keinen sozialen Schutz, keine Rentenversorgung. Es ist wirklich ein Genozid.
V.N.: Klar. Und sagen Sie bitte, haben gerade diese Ereignisse sie angeregt, sich mit der ehrenamtlichen Arbeit, dem Verband zu beschäftigen? Als sie in Lwiw angekommen sind, haben sie sofort ihre Organisation gegründet, oder wie ist es geschehen?
T.M.: Wissen Sie, es gab irgendwie keine Teilung. Es gab keine Teilung zwischen den Liquidatoren, alle waren betroffen. Es hatte keinen Sinn, verschiedene Organisationen zu gründen, es war eine Organisation «Sojus Tschernobyl Ukraine». Sawa Bogdanowitsch Smeretschinski leitete unsere Regionalorganisation von Lwiw. Wir waren Leute aus Tschernobyl, entweder umgesiedelte oder evakuierte – alle waren in einer Organisation.
V.N.: Klar.
T.M.: Es hatte keinen Sinn, weil es keine Teilung gab. Und später 2011 – 2012 begannen wie Gerichtsprozesse zu gewinnen, wir haben höhere Renten bekommen. Aber die Situation hat sich 2011 wegen der Verordnung des Ministerkabinetts №1210 geändert. Unsere sozialen Leistungen, unsere Renten waren um ein Zehntel worden. Ich meine, im Vergleich zu den Liquidatoren, im Vergleich zu den Menschen, die im Atomkraftwerk gearbeitet haben. Laut der Verordnung №1210 bekommen die Menschen, die im Atomkraftwerk gearbeitet haben10 000 UAH Rente, während wir 1600 UAH haben. Obwohl die Erkrankungen dieselben sind. Dieselben Erkrankungen, sie haben Enzephalopathie der 3. Stufe, wir haben Enzephalopathie der 3-4 Stufe. Das ist eine Erkrankung der Gehirnrinde. Laut der Verordnung №1210, die zur sozialen Ungerechtigkeit geführt hat, wurden die einen reich, weil sie eine hohe Rente bekommen, aber die anderen mit solchen Erkrankungen wurden vergessen. Diese Verordnung ist auch ein Genozid. Und 2012 haben wir die Organisation gegründet und es entstanden ähnliche Organisationen in der ganzen Ukraine. Es gibt eine ähnliche Organisation in Charkiw, «Veteranen von Tschernobyl», die Proskurin leitet. Und irgendwie kämpfen wir um unser Recht auf den sozialen Schutz. Aber der Staat hört uns nicht zu. Der Genozid geht weiter. Weil die ungleichmäßige Verteilung in der Rentenversorgung zum Genozid geführt hat. Ich wiederhole noch einmal, wie kann es sein, dass die einen 10 000 bekommen, während die anderen 5 000, wiederrum anderen 8 000 oder3000 bekommen. Die Teilnehmer der Folgen der Katastrophe … Aber die Menschen, die dort gewohnt haben, bekommen lediglich1 600.
V.N.: Hat dies irgendwie ihre Beziehungen mit den Liquidatoren beeinflusst?
T.M.: Früher hat es unsere Beziehungen nicht beeinflusst, aber jetzt hat sie sehr beeinflusst, ja. Wir meinen nicht jene Liquidatoren, jene Menschen, die sich unmittelbar auf dem Territorium des zerstörten Reaktors befunden haben. Wir können keinesfalls mit ihnen verglichen werden. Denn die Liquidatoren haben den Brand gelöscht. Ich denke, dass Feuerwehrleute wahre Liquidatoren sind. Und die anderen Liquidatoren, die unmittelbar auf dem Territorium dieses zerstörten Reaktors waren: Sie haben das Wasser abgepumpt, Blei auf den Reaktor von Hubschraubern abgeworfen. Sie waren unmittelbar dort. Aber, wissen Sie, es gab Liquidatoren, die den Status bekommen haben, weil es im Gesetz so vorgeschrieben war, und es ist auch sozial ungerecht. Sie haben sich 1986 auf einer Dienstreise in unserem Poliske befunden. Sie haben im Verpflegungsbereich im Restaurant gearbeitet, weil das Regiment damals bei uns gestanden hat und man sie verpflegen sollte, und 1986 gab es nicht so viele Arbeiter, ich meine solches Personal wie zum Beispiel Köche. Und deshalb gab es viele Dienstreisen in der ganzen Ukraine. Ich will über eine Köchin, Lipa Iwaniwna, erzählen. Ein Mensch aus Tscherniwzi, zum Beispiel, der hier auf Dienstreise war, war zwei Wochen in Poliske und dann hatte er zwei Wochen Erholung zu Hause. Er bekam sein Arbeitsgehalt und hier in Poliske auch eins, so bekam er zwei Gehälter. Und diese Lipa Iwaniwna, die dieselbe Arbeit gemacht hat, Koteletts gebraten und Borschtsch gekocht hat, sie war niemand. Es ist nur ein Beispiel. Da sie hier gewohnt hat, war sie nicht auf Dienstreise, verstehen Sie. Und das Gesetz schreibt vor, dass die Menschen, die von 1986 bis 1990 auf Dienstreisen waren, Liquidatoren sind. Ich und meine Landsleute sind damit absolut nicht einverstanden, und wir kämpfen gegen diese Ungerechtigkeit. Obwohl wir bis zur Verordnung №1210 keinen Unterschied in den Renten hatten und uns nicht gestritten haben. Heute stellen sich diese Menschen höher als andere. 1986 geht noch, aber welche Folgen konnte man 1990 beseitigen? Sie haben 1990 selbst gebeten, nach Poliske zu fahren, weil dort das Gehalt zweifach oder sogar dreifach war. Zum Beispiel, Köche haben in Lviv 100 Hrywnja, sagen wir, verdient, und Köche auf Dienstreise haben 300 UAH bekommen. Da sie in Polisker Zone waren.
V.N.: Klar.
T.M.: Und jetzt sind sie Teilnehmer der Beseitigung der Folgen von der Tschernobyl-Katastrophe. Sie schlagen sich auf die Brust, dass sie die Ukraine und die Welt gerettet haben. Wodurch? Dadurch, dass sie auf eigenen Wunsch auf Dienstreise gefahren sind? Niemand hat sie dorthin schon geschickt, weil man die Menschen nur 1986 auf Dienstreise geschickt hat. Später sind diese Menschen schon selbst gefahren, aber dafür darf man niemanden beschuldigen, weil man ihnen erlaubt hat, sind sie gefahren. Es war im Gesetz vorgeschrieben, dass sie Liquidatoren wurden. Falls es vorgeschrieben war, muss man die Menschen beschuldigen, die das Gesetz verabschiedet haben, nicht wahr?
V.N.: Sagen sie bitte, haben in der Zeit von 1986 bis zur Umsiedlung viele Menschen an der Beseitigung der Folgen der Katastrophe in Poliske teilgenommen? Haben sie mit Ihnen kommuniziert, haben sie sie nach der Havarie gefragt? Welche Beziehungen herrschten zwischen den Einwohnern von Poliske und diesen Menschen, die dorthin geschickt wurden?
T.M.: Ja, ich will ein solches Beispiel anführen: Einmal ging ich am Abend mit meiner Nachbarin von der Arbeit nach Hause und sah Menschen mit einem Gerät in unserem Hof die Strahlung messen. Und wir haben sie gebeten, die Strahlung in unserem Haus und in der Wohnung zu messen. Wir haben gesagt, dass wir bezahlen sie auch bezahlen können. Sie waren einverstanden aber haben kein Geld genommen. Was interessant ist, ich hatte einen Teddybären, meine Mutter hat ihn zum Geburtstag bekommen, aber ich habe mich in ihn verliebt und habe ihn mitgenommen, er war sehr kontaminiert. Und warum? Weil als die Havarie geschehen ist, habe ich ihn einfach gewaschen und aufgehängt, damit er trocken wird. Und als der Graphit auf das Fensterbrett und auf diesen Bären gefallen ist, habe ich ihn einfach auf das Sofa gelegt, weil ich ihn sehr liebte. Natürlich musste man die Waschmaschine wegwerfen. Das Bett, den Teppich. Und man hat den Teppich auch draußen ausgeklopft, so hat man ihn auf die metallischen Balken gelegt. Diese Balken waren radioaktiv verseucht, deswegen musste man den Teppich auch wegwerfen, es war schade. Wo hätte man später einen solchen kaufen können?
V.N.: Haben Sie nichts weggeworfen?
T.M.: Nichts. Wir haben den Teppich nach Lwiw mitgebracht, noch einmal gut gewaschen und gesaugt.
V.N.: Und liegt er immer noch?
T.M.: Nein. (lächelt). Als mein Enkel geboren wurde, haben wir diesen Teppich natürlich weggeworfen. Aber wir sind viele Jahre darauf gegangen. Den Teddybären wollte ich wegwerfen, weil mein Sohn klein war, aber meine Mutter hat ihn genommen. Gib ihn mir, sagte sie, er ist meiner. Glaubt nicht daran, was man sagt, es ist mein Bär, man hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt. Das heißt, sie schätzte ihn sehr.
Ich werde die Personen, die die Strahlung gemessen haben, nicht nennen, aber sie haben gesagt: „Mädchen, lauft von hier weg!“. Aber sie waren ebenso jung wie wir, wir waren 28 Jahre alt, und sie haben gesagt: „Lauft von hier weg, hier darf man nicht leben. Sehen Sie, eure Kinder dürfen im Hof neben dem Haus nicht laufen. Warum? Man hat das Haus gewaschen, und jedes Tröpfchen ist dort niedergefallen“. Und unsere Kinder sind da rumgelaufen, die sogenannten „Partisanen“ haben da gewaschen, mit Wasserstrahl, mit irgendwelcher chemischen Lösung. Diese Lösung haben wir dann von Fenstern mit einem Lappen abgewaschen und danach mit diesem Lappen den Fußboden gewaschen. Und man durfte nicht spazieren gehen. Und man hat gesagt: „Dort darf man auch nicht spazieren gehen, wo die Wagen stehen. Auf dem asphaltierten Platz durfte man auch nicht spazieren gehen. Im Hof auch nicht, auf dem Rasen auch nicht. Es war auch verboten, wissen Sie, auf die Bäume zu klettern, das heißt, man durfte nur auf die Straße gehen und einfach stehen. Weil man nirgends spazieren gehen durfte“. Im Zentrum war der Bereich fleckenweisesehr stark kontaminiert, im Stadion war es überhaupt verboten zu spazieren. Die reinen Städte waren nur am Fluss. Im Fluss durfte man baden, weil das Wasser fließend ist, der Fluss mündet in Prypjat, aber am Flussufer durfte man nicht immer stehen, weil es dort sehr kontaminiert war, besonders von Cäsium, Strontium, das heißt es war fleckenweise kontaminiert. Und wohin konnte man fliehen? Wenn es, ich sage, wenn es möglich gewesen wäre. Die Einwohner von Polesien, die 1986 Verwandten in Cherson, zum Beispiel, oder in Sumy hatten, sind freiwillig dorthin gefahren. Und etwas später hat man ihnen dort auch Wohnungen gegeben, aber sie waren schon auf den Wartelisten. Da wir da keine Verwandten hatten und die meisten unserer Verwandten Einwohner von Polesien waren, wir waren alle von hier, auch unsere Großeltern und Urgroßeltern, sind wir geblieben und haben alle zusammengewohnt.
V.N.: Als man ihnen gesagt hat, dass etwas verboten ist, haben sie geglaubt, dass es wirklich verboten ist?
T.M.: Also ehrlich gesagt haben wir es nicht geglaubt. Nicht geglaubt, weil irgendwie... Wenn man uns, wissen sie, wenn man uns erklärt hätte, dass die Strahlung später die Schilddrüse belasten könnte, dass wir Schilddrüsenkrebs und unsere Kinder Probleme haben können, aber niemand hat das gesagt. Ärzte sind gekommen, haben gesagt, dass alles gut sei. Und zum Beispiel, mein Sohn hatte die ganze Zeit Nasenblutungen. <…> Einmal hat er mich von zu Hause angerufen und gesagt: «Mutti, ich bin nach Hause gelaufen, lauf schnell ins Krankenhaus, weil unsere Klasse wieder ins Krankenhaus gefahren wird». Ich habe gesagt: «Ich komme gleich». Ich war damals noch sehr flott.
V.N.: (lächelt).
T.M.: Ich bin gekommen und mit ihm an der Hand zum HNO Arzt gegangen. Ich habe gesagt: «Wahrscheinlich fällt er oft». Weil wir zu unserer HNO-Ärztin gegangen waren, und sie hatte gesagt, dass seine Nasenwurzel gebrochen war, ich hatte ihr gesagt, dass das Blut die ganze Zeit fließt. Diese Ärztin war aus Moskau. Und als die Krankenschwester, die neben ihr gesessen hatte, hinausgegangen war, hatte sie die Karte meines Sohnes genommen auf einen Tisch geworfen und hatte gesagt: «Sind Sie Mutter oder nicht?! Was heißt die Nasenwurzel ist gebrochen?! Nehmen Sie das Kind und fliehen Sie weg von hier!». Ich hatte gesagt: «Wohin soll ich fahren? Wohin kann ich fliehen?». Und als wir wiedergekommen sind, habe ich gesagt: «So schreiben Sie mir das auf». Sie: «Ich habe kein Recht». Alles. Unsere Krankenschwester ist wiedergekommen und hat geschrieben: «Johanniskraut einnehmen, die Nase mit Kamille spülen». Das ist alles. So war es, war es denn kein Genozid, die Menschen so zurück zu lassen und solche Versuche zu machen. Es waren Versuche mit Menschen. Wie man in der kontaminierten Zone überleben konnte... Wenn die Strahlung die Normen wesentlich überschreitet. Sie haben Dissertationen darüber geschrieben... Mit Menschenleben. Aber niemand von den Ärzten oder Beamten hat dann gesagt, dass sich die Strahlung später auf uns einwirken wird. Auf die Frauen, die Mastopathie haben werden, man hat fast alle operiert. Auf Schilddrüse, die auch allen entfernt wurde, auf die Gehirnrinde. Deshalb musste man sich schützen, aber es gab diese Informationen nicht. Deshalb haben wir es nicht geglaubt. Ach, was ist diese Strahlung?!
V.N.: Haben sie es nach der Umsiedlung verstanden?
T.M.: Wir haben es erst verstanden, als wir 1994aus Lwiw nach Kiew gekommen sind, ins Zentrum für Radiologie, und dort hat man begonnen es uns zu erklären, aber da war es schon zu spät, sehen sie, es ging schon um die Folgen.
V.N.: Klar.
T.M.: Mir wurde gesagt, ich habe zwei Zysten wegen der Strahlung. Weil Menschen kranke Schilddrüse nicht nur wegen der Strahlung haben. Die Menschen aus dem Gebiet, das mit Radionukliden nicht kontaminiert ist, haben auch Probleme mit der Schilddrüse. Das ist so eine verbreitete Krankheit, dass sogar in Lwiw sehr viele Menschen an Schilddrüsenerkrankungen leiden, weil es hier Joddefizit gibt, aber das ist etwas ganz anderes. Hier fehlt Jod, und was hat uns beeinflusst? Wir hatten alles, Felder, Wälder, alles, nur waren wir auf uns gestellt... Unsere Schilddrüsen haben zu viel radioaktives Jod aufgenommen, aber in den ersten Tagen hat uns niemand gesagt, dass man Jod mit Milch trinken musste, niemand hat es uns erklärt, im Gegenteil hat man gesagt, dass wir Rotwein trinken sollten, und es war nicht leicht, ihn zu beschaffen.
V.N.: Und wie war übrigens die Versorgung von 1986 bis zur Übersiedelung organisiert? War es tatsächlich verboten, alle Lebensmittel von Ihren Gemüsegärten, Gärten usw. zu essen. Das heißt, man hat ihnen die Lebensmittel hingebracht, waren sie für sie zugänglich, ich meine Wasser und so weiter?
T.M.: Man hat die Lebensmittel schon seit 1986 hingebracht, Ende des Jahres waren es Kreide und Kartoffeln aus Wiltscha, die schon in Beuteln (Netzen) waren. Wir, die Einwohner von Polesien, haben niemals Kartoffeln in Beuteln (Netzen) gesehen und man hat gesagt, dass diese Kartoffeln uns aus dem Norden gesendet wurden, obwohl die Menschen schon gesehen haben, wie man diese Kartoffeln in unserem Wladimirer Kolchos gelesen, nach Wiltscha gebracht, dort ausgewaschen hat...
V.N.: Mit irgendeiner Lösung?
T.M.: Mit einer Lösung und Wasser. Sie waren schon in den Netzen und gewaschen, und wir haben sie gekauft und gegessen. Und noch etwas, als Menschen aus Prypjat 1986 umgesiedelt wurden, ich erinnere mich, sind Pralinen «Wetschirnirij Kiew» eine Woche später bei uns erschienen, wir hatten sie früher niemals gesehen. So viele Lebensmittel, Makkaroni, lang und kurz, Kondensmilch, Kaffee... das konnte man alles kaufen, obwohl 1986 ein Defizit gab.
V.N.: Klar.
T.M.: Und Prypjat... Wohin haben sie all die Lebensmittel hingesteckt, die nach der Umsiedlung übriggeblieben sind? Das ist eine Lüge, dass sie sie irgendwo vergraben haben, sie haben sie uns gebracht, wir haben sie nur billiger gekauft. Man hat gesagt, dass es dort billige Makkaroni gab, und alle sind dorthin gelaufen, und haben noch Kondensmilch, Pralinen gekauft. Woher kam das alles? Jemand hat damit noch Geldverdient, obwohl ich denke, dass man natürlich alles hätte vergraben und nicht weiterverbreiten und verkaufen müssen. Aber nein, das wurde in die Geschäfte in Prypjat gebracht, und wir haben das gegessen, und nicht nur wir.
V.N.: Ist das Ihre Meinung oder war es wirklich so?
T.M.: Wir denken so. Damals haben wir so nicht gedacht, aber mit Zeit haben wir schon begonnen so zu denken, als man begonnen hat Teppiche aus Prypjat zu verkaufen, die, die die Menschen zurücklassen mussten. Man hat sie auf den Märkten verkauft, und die Miliz hat diese Liquidatoren geschützt. Wie haben sie das aus Prypjat transportiert? Hier gab es Mädchen, wir arbeiteten zusammen, und sie erzählten, dass als sie angekommen sind, mussten sie nach einer Weile noch irgendwelche Sachen mitnehmen, aber es gab nichts mehr in den Wohnungen. Wohin war das alles verschwunden? Sie haben doch alles dagelassen: die Kühlschränke, sowie auch die Teppiche, und das Bett, und wohin war das alles verschwunden? Es war schwer, damals Decken zu besorgen. So wurden sie irgendwo in Kiew auf den Märkten verkauft. Das ist zwar Vergangenheit aber wir haben dann schon darüber nachgedacht, dass es jene Lebensmittel waren, und wir haben gerade sie gegessen, weil es keine richtige Versorgung und Lebensmittel gab. Ich hatte eine Freundin in Kiew, ich bin zu ihr gekommen, ich habe Sprotten und diese Kondensmilch im Glas, ich meine, diesen Kaffee im Glas mitgebracht. Sie hat sie gesehen, in den Kühlschrank gelegt und nachgedacht, ob sie das essen sollte. Damals war es schwer, diese Lebensmittel zu besorgen.
V.N.: Klar.
T.M.: Schwer. Und wir hatten alles.
V.N.: Ich habe verstanden. Sagen sie bitte, als sie nach Lwiw gekommen sind, wie haben Ihre neuen Nachbarn sie behandelt? Gab es irgendwelches besondere Verhältnis zu ihnen als Menschen, der aus der Sperrzone gekommen war?
T.M.: Also, ich hatte Glück damit. Ich hatte sehr gute Nachbarn, sie sind genauso alt wie ich, und... Es war schwer, weil damals 1992 war, und jenes Geld, das wir, zweimal Opfer, auf Sparbücher hatten, war eingefroren. Und alle Menschen, die das Geld auf Sparbücher hatten, zum Beispiel 11 000, 20 000, 50 000, also, ich meine, die Menschen, die irgendwelche Ersparnisse hatten, die im Norden arbeiteten und ihr eigenes Haus bauen wollten, aber nicht gebaut haben - dieses Geld war weg. Und als wir angekommen sind, war es schwer. Erstens kannten wir uns in der Stadt noch nicht aus, zweitens... na irgendwie kannten wir niemanden in dieser Region. Die Nachbarn haben mir in dieser Hinsicht sehr geholfen. Das heißt, sie haben mich auf einen Tee eingeladen, sie waren sehr einfühlsam, verständnisvoll, sie haben mich verwöhnt, und jetzt sind wir sehr gut befreundet. Also es war nicht wie «Na diese Einwohner von Tschernobyl sind angekommen, pfui!». Und die Ärzte haben uns auch sehr gut behandelt. Sie waren sehr nett zu uns, obwohl, als wir von Poliske nach Lwiw gekommen sind, hat man uns gewarnt: «Dort wohnen Bandery (Anhänger von Stepan Bandera, negativ gemeint), sie werden euch dort kränken, sie lieben uns nicht!». Wir haben uns davor wirklich gefürchtet, wir waren sehr vorsichtig, wer wusste, was passieren konnte, aber…
V.N.: Nichts ist passiert?
T.M.: Nichts. Bandery sind gut, niemand hat uns... (lächelt).
V.N.: (Lächelt).
T.M.: In dieser Hinsicht hatten wir Glück. Und jetzt haben wir gute Kontakte zu den Ärzten und der Verwaltung.
V.N.: Und sind sie sofort angemeldet worden? Als Einwohner von Tschernobyl?
T.M.: Ja, als Einwohner von Tschernobyl, und... Also, ich weiß, dass es in anderen Gebieten der Ukraine ein bisschen komplizierter war. Aber ich sage Ihnen ehrlich, in dieser Hinsicht...
V.N.: Und wie war es mit der Arbeit? Ist Ihnen da Arbeit angeboten worden, oder mussten sie selbst suchen?
T.M.: Damals 1992, sind viele Menschen nach Polen gefahren, um Waren zu kaufen und sie später hier zu verkaufen.
V.N.: Klar.
T.M.: Am Stadion «Ukraine», auf dem Markt haben viele gestanden: von einem Zahnarzt, einem Lehrer, zum Staatsmann – alle standen da und haben was verkauft. Da haben sie gekauft - hier haben sie verkauft. Wer nach Polen gefahren ist, hat gekauft, wer (Geld) hatte...
V.N.: Klar.
T.M.: So. Wer zu Fuß über die Grenze gegangen ist, hat dort Waren gekauft und hier verkauft. Oder im Geschäft, konntest du Margarine für 43 Kopeken kaufen, und für 45 verkauft, sie haben also etwas verdient. In dieser Hinsicht waren alle Opfer. Weil es keine Arbeit gab.
V.N.: Klar.
T.M.: Und so ging es.
V.N.: Und konnte man ein Kind ohne Probleme einschulen?
T.M.: Ich weiß nicht, alles war problemlos, ohne Probleme konnte das Kind einen Platz im Kindergarten bekommen. Als Opfer von Tschernobyl wurde man in den Kindergarten ohne Probleme aufgenommen.
V.N.: Klar.
T.M.: Und in der Schule auch. Kann sein, dass andere Familien mit irgendwelchen Problemen konfrontiert wurden, aber meine Familie hatte Glück.
V.N.: Und sagen sie bitte, seitdem sie aus Poliske weggefahren sind, sind Sie dorthin mal zurückgekehrt?
T.M.: Ja. Wir sind 1996 dorthin gefahren. Meine Mutter und mein Vater wohnten dort noch.
V.N.: Sie sind nicht weggefahren?
T.M.: Sie wurden 1994… 1995 umgesiedelt, die Mutter ist damals mitgekommen, aber mein Vater ist 1994 dort gestorben. 1996 wurden alle Menschen aus Poliske umgesiedelt. Das heißt, die Umsiedelung hat von 1990 bis 1996 gedauert.
V.N.: Klar.
T.M.: Es gab solche alten Menschen, die über siebzig waren. Und sie haben sich am Elternhaus festgeklammert und gesagt, dass sie auf keinen Fall wegfahren wollen. Und so sind etwa zehn Menschen geblieben und nicht gefahren.
V.N.: (Lächelt).
T.M.: Sind nicht gefahren.
V.N.: Sind geblieben?
T.M.: Ja. Noch im vorvorigen Jahr sind wir dahingefahren, und dort ist so eine Frau geblieben, sie hat gesagt: «Ich kann nicht wegfahren und ich werde nicht fahren, weil mein Mann dieses Haus mit eigenen Händen gebaut hat. Ich bleibe hier». Und sie ist nicht gefahren. Sie hatten keine Verwandten, zu denen sie umziehen konnten, so sind zehn Menschen geblieben, sogenannte „Samosely“ (Selbstumsiedler, Rückkehrer). Obwohl es dort weder Licht, noch Wasser und Gas gab, nichts. Die Menschen, die die Zone bedienen, bringen ihnen das Brot und so weiter. Und 1996 sind wir aus Lwiw gekommen, um das Grab der Verwandten in Poliske zu besuchen, man hat uns einen Bus zur Verfügung gestellt, weil man nicht mit dem eigenen Auto nach Poliske gelangen konnte, nur einmal pro Jahr und nur an Gedenktagen...
V.N.: Klar.
T.M.: Das heißt, man darf nicht einfach jederzeit dort ankommen, weil da Sperrzone ist, man hat dort einen Checkpoint aufgestellt. 1996 hat die Verwaltung uns einen Bus gegeben, und wir haben das Grab der Verwandten besucht, sind angekommen, haben unser Dorf Poliske gesehen. Und im vorigen Jahr hat uns der Stadtrat geholfen, Andrej Iwanowitsch Sadowyj hat uns auch geholfen und wir sind zum dreißigsten Jahrestag auch nach Hause gefahren. Ach, es schmerzt mich so, weil wir fünf Jahre nicht mehr dorthin gefahren sind, und im vorigen Jahr sind wir dorthin gefahren, es war einfach schrecklich. Die Fahrer, die mit uns aus Lwiw gefahren sind, haben gesagt: «Das ist wie im Film!». Weil man die Häuser nicht sehen konnte. Nur die Ruinen von den Häusern, die Bäume, der Pfad war sehr schmal und die Bäume haben sich darüber verflochten. Die Häuser sind zugewachsen, dort hat mein Sohn sich neben der Schule fotografieren gelassen, und ich habe gesagt: «Wenn man dieses Foto in einer Zeitung sieht, denkt man, dass du in Donezk stehst». Alles ist zerstört, alles ist verfallen, seit so vielen Jahren wohnen da keine Menschen mehr, so viele Jahre keinen Menschen… Alles ist zerstört, schrecklich.
V.N.: Sie waren dort nicht einmal, nicht zweimal, versuchen …
T.M.: Also, seit 1996, je drei, vier Jahre bitten wir die Verwaltung, uns ein Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen...
V.N.: Im Mai, nicht wahr?
T.M.: An Gedenktagen. Jetzt gibt es da einen Checkpoint, weil dort die Sperrzone ist, und falls ich sogar im Sommer dorthin fahren will, darf ich nicht, weil es die Verordnung des Ministerkabinetts gibt, dass man dorthin nur an Gedenktagen fahren darf, um das Grab der Verwandten zu besuchen, nur zu dieser Zeit. Das heißt ein oder zwei Wochen vor und nach den Gedenktagen. Also, im vorigen Jahr hatten wir eine wunderbare Fahrt.
V.N.: Und welche Gefühle hatten Sie auf dieser Reise, als Sie ihr Haus gesehen haben?
T.M.: Also, wir haben das Haus gesehen, wir sind angekommen, die Stufen waren zerstört und es ist schwer zu beschreiben. Wir sind angekommen und haben sofort den Fluss gesehen. Und unser Fluss ist ganz zugewachsen. Am Fluss wuchsen die Weiden. Als wir zum ersten Mal nach Poliske gefahren sind, etwa fünfzehn Menschen, haben die Männer im Männerchor gesprochen und dann die Frauen zu weinen begonnen. Nicht nur wir haben geweint, die Männer auch, weil sie gesagt haben: «Dort haben wir gefischt, und dort gebadet». Und jetzt ist das alles… Sie sind ausgestiegen, haben geraucht und... Es war sichtbar, dass Männer es nicht zeigen wollten, dass sie weinten, aber die Augen, sie... sie waren voller Tränen. So furchtbar war es. Die Gräber waren zugewachsen, weil die Menschen, die in Kiew wohnen, die aus Kiewer Gebiet kommen, jährlich kommen können, wenn für Verkehrsmittel gesorgt ist. Aber wir nicht, wir können nicht jedes Jahr kommen, uns stellt man nicht jedes Jahr kostenlose Verkehrsmittel zur Verfügung. Es ist erstens teuer.
V.N.: Klar.
T.M.: Für den Gebietsrat. Alle drei, vier, fünf Jahren. Im vorigen Jahr sind wir gefahren, und fünf Jahre davor nicht. So sind wir zum Grab meines Vaters gekommen, weil mein Vater dort geblieben ist... Dort war viel Gras, alles war zugewachsen und ich habe mit so großen Schmerzen wahrgenommen, weil andere Gräber gepflegt waren, die Menschen wohnen in Kiew, sie können kommen, nur zwei Stunden und sie sind schon da... Und hier ist es immerhin weit und... Ich denke, dass Andrej Iwanowitsch im nächsten Jahr uns helfen wird. (Lächelt). In diesem Jahr sind wir nicht gefahren. Ich denke, dass wir mit dem Stadtrat gut zusammenarbeiten...
V.N.: Und zu Hause, im Kreise der Familie, Freundeskreise, erinnern sie sich oft an Poliske?
T.M.: Fast jeden Tag. Schon dreißig Jahre sind vergangen. Dreißig! Heute sind genau 25 Jahre, seit ich in Lwiw wohne. Am 11. Juli sind 25 Jahre seit ich in Lwiw wohne. 25 Jahre! Gerade heute! Am 11. Juli bin ich angekommen. Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht an das Elternhaus erinnern. Weil wir mit unseren Landsleuten befreundet sind, zum Beispiel, ich habe eine Freundin aus Narodytschi. Wir unterhalten uns und sie sagt zum Beispiel: «Erinnerst du dich an die Pilze, an Pfifferlinge. Du weißt ja, wir hatten Pfifferlinge, ein Häuflein davon kostet jetzt 25 oder 30 Hrywnja. Und wir hatten Pfifferlinge in Poliske. Ja, du weißt...». Und so geht das jeden Tag. Das sollte schon vergessen sein. Aber es kehrt im Gegenteil zurück. Im Gegenteil. Aus irgendeinem Grunde will man nach Hause zurückkehren, wenn man älter wird. Ich habe mich über die Kanadier gewundert, über die meine Nachbarin erzählt hat, dass sie nach Kanada umgezogen seien, und es sei dort sehr gut, aber sie sehnen sich sehr nach der Heimat, sie wollen in der Heimat sterben. Ich habe gedacht, dass sie komische Menschen sind, falls sie sich dort gut fühlen, warum wollen sie in der Heimat sterben? Sie wohnen dort und sollten dann auch dort sterben.
V.N.: Aha.
T.M.: Und jetzt verstehe ich... Wir wohnen hier in Lwiw, in einer schönen Stadt, man sollte leben und sich freuen. Aber ich will nach Hause fahren. Wenn es irgendwie möglich wäre, irgendein Haus zu haben, würde ich es mit meiner Freundin Maritschka reparieren und in Stand setzten und dort wohnen. Gehen sie hinaus und da ist das Paradies. Na... Schon 25 Jahre vergeht das Heimweh nicht.
V.N.: Und Ihr Sohn, erinnert er sich an Poliske?
T.M.: Also, als wir weggefahren sind, war er in der sechsten Klasse, das heißt, er war 13 Jahre alt. Jetzt fahren wir mit ihm nach Hause, und im vorigen Jahr hat er neben der Schule gestanden, ich habe so gesehen, ist eine Träne über seine Wange herabgefallen, obwohl er 36 Jahre alt ist, aber er hat sich nicht beherrscht, ja. Obwohl er nur sechs Jahre in diese Schule gegangen ist. Obwohl er den größten Teil des Lebens in Lwiw gewohnt hat, weil er hierher mit dreizehn Jahren gekommen ist, und wir wohnen in Lwiw seit fünfundzwanzig Jahren.
V.N.: Klar.
T.M.: Er betrachtet sich selbst als Lwiwer. Sie waren kleine Kinder, manche waren fünf Jahre alt, zum Beispiel, meine Freundin aus Uschhorod hat eine Tochter, sie ist mit fünf Jahren weggefahren, sie sagt, dass Uschhorod ihre Heimatstadt ist, nicht Poliske. «Ich weiß schon nichts über Poliske, Was kümmert mich das!». Sie weiß nichts, sie war klein. Mein Enkel ist fünfzehn Jahre alt und ich erzähle ihm über Poliske. Am 26. April habe ich eine Tradition, wo ich auch sein mag, vor welchem Denkmal ich auftreten mag, auch wenn wir später Kaffee trinken gehen, aber am Abend muss ich immer zu Hause sein, weil wir solch eine Tradition haben: Ich habe einen Film über Poliske und wir müssen ihn uns ansehen. Und er sagt mir: «Oma, ich habe ihn im vorigen Jahr gesehen!». Ich antworte: «Nein, du musst ihn jedes Jahr sehen, weil du nicht vergessen darfst, weil das Erinnerungen sind, wir können nicht ohne Gedächtnis sein». Du musst den Kindern erzählen... Das ist das Leben, das sind die Wurzeln deiner Urgroßväter, du musst wissen, woher deine Großmutter und dein Vater kommen, wo ihre Wurzeln sind, wie sie gelebt haben und warum sie nach Lwiw gekommen sind. Nicht auf eigenen Wunsch bin ich nach Lwiw gekommen, nicht weil mir Lwiw gefällt. Ich würde zu Hause bleiben, das ist viel besser für mich, obwohl das eine Kleinstadt ist, ist sie für mich die Beste in der Welt. Das ist meine Heimat. Und deshalb erzähle ich ihm das, und er sagt: «Na Oma, nächstes Jahr fahre ich mit dir ». Ich denke aber, er muss ein wenig größer werden, damit die Strahlung ihn nicht belastet. (Lächelt).
V.N.: Haben Sie Angst um ihn? (Lächelt).
T.M.: Damit seine Organe reif genug sind.
V.N.: Klar.
T.M.: Später werde ich ihn schon mitnehmen. Obwohl ich sehe, dass meine Freundinnen ihre Enkel mitnehmen, im vorigen Jahr schreibt meine Freundin aus Sumy: «Tanja, das ist mein Enkel». Ich habe ihn angeschaut, Donnerwetter, mein Saschunja ist gleichalt, wie hat sie ihn nur mitgenommen. Ich frage, wie es ihm gefallen hat? Und sie sagt, dass er spazieren gegangen ist und sie gefragt hat: «Oma, hast du hier gewohnt? Welcher Fluss ist das? Und warum wachsen die Weiden so am Fluss?» Ja, ich bin einverstanden, dass ich zurückkehren will, die Fahrer, die mit uns gefahren sind, sind sehr gute Menschen, wir sind ihnen sehr dankbar. Sie haben gesagt: «Wir dachten, sie sind Umsiedler, sie sind gefahren, na ja... Aber wie, sie sagen, wie die Menschen so leben konnten, allen gelassen haben, nicht freiwillig, sondern obligatorisch waren sie umgesiedelt». Und in solchem Zustand steht jetzt alles. Das ist doch furchtbar!
V.N.: Und, sagen Sie bitte, Sie haben die Veranstaltungen schon erwähnt, die am 26. April und auch im Dezember stattfinden, wie verhalten Sie sich zu diesen Veranstaltungen und sind sie Ihrer Meinung nach genügend oder ungenügend? Oder wie sollten die Veranstaltungen an Gedenktagen der Tschernobyl-Katastrophe aussehen?
T.M.: Wissen Sie, es hängt von den Behörden ab, es gibt die Städte, wo solche Veranstaltungen am 26. April stattfinden. Und von NGOs auch, weil wir im vorigen Jahr geplant und so organisiert haben, dass die Umsiedler in der Nacht eine Kerzenaktion vor dem Denkmal für die Liquidatoren und Opfer der Tschernobyl-Katastrophe gemacht haben, und sie haben sich an die Stadt und das alles erinnert. Wir treten auf... Wir haben die Veranstaltungen vor dem Denkmal, die Kundgebung immer am 26. April... Also uns scheint, die Veranstaltungen am 26. April verlaufen normal. Das Einzige, dass man sich in dieser Zeit wirklich an die Menschen erinnert, die jenen Brand gelöscht, die die Folgen der Katastrophe beseitigt haben, aber man erinnert sich nicht an die Zivilbevölkerung, die auch Opfer der Tschernobyl-Katastrophe waren. Doch die Zivilbevölkerung, es scheint mir, haben nicht weniger gelitten als die Teilnehmer der Folgen der Katastrophe. Denn sie haben ihre Arbeit gemacht und sind weggefahren, aber wir haben uns doch genauso auf diesem Territorium befunden, wo sie auf Dienstreisen waren, wo sie die Aufträge erfüllt haben. Doch haben wir uns nicht einen Tag, nicht zwei, sondern jahrelang da befunden! Und man erinnert sich an die Zivilbevölkerung sehr wenig. Und deshalb ist es die Initiative der gesellschaftlichen Organisationen, deshalb übernehmen wir diese Initiative, wir sprechen von uns selbst. Denn sogar wenn der Vorsitzende der regionalen Verwaltung auftritt, so sagt er über die Liquidatoren. Denn alle sagen darüber, das hört und sieht man oft.
V.N.: Klar.
T.M.: Und deshalb ergreifen wir die Initiative und sagen mehr über uns.
V.N.: Klar.
T.M.: Und das. Na also…
V.N.: Sagen Sie bitte, woran muss man sich Ihrer Meinung nach aus Tschernobyl erinnern? Was muss man über Tschernobyl den nächsten Generationen erzählen, der Generation, zu der Ihr Enkel und andere gehören, ihm und seinen Kindern, woran müssen sie sich erinnern und was sollten sie von Tschernobyl, von dieser Havarie wissen?
T.M.: Also wahrscheinlich dass sich solche Katastrophen in jedem Staat und in unserem Staat, Gott bewahre, niemals wiederholen sollen. Sie sollen aus der Tschernobyl-Katastrophe wahrscheinlich lernen, und sich diese Lehre merken, damit sich das niemals wiederholt. Und wenn, Gott bewahre, sich solche Katastrophen irgendwo wiederholen und irgendwo ein Atomkraftwerk explodiert, soll man die Wahrheit den Menschen sagen. Denn die Wahrheit schützt die Menschen,
egal, wie sie ist. Falls wir 1986 rechtzeitig umgesiedelt worden wären, wären wahrscheinlich von 30 000 der Bevölkerung nur 10 000 gestorben. Wegen des Alters und so weiter. Aber nicht 20 000! Ich weiß nicht, wahrscheinlich schon sogar 21 000. Deshalb soll jedes Land für sich eine Lehre ziehen. Die Lehre aus der Tschernobyl-Katastrophe. Erstens... Und jene Soldaten, die geschickt worden waren, sie waren damals junge Leute, aber sie sind geschickt worden, alles zu waschen, sie haben Maschinensaale gewaschen, und was hatten sie damals an? Gewöhnliche Kleidung und mit .. wie hieß er?
V.N.: Atemschutzmasken «Ljepjestok» (Blatt)?
T.M.: «Ljepjestok». Ja. Es war der ganze Schutz für diese Soldaten. Obwohl wir zu einer anderen Kategorie gehören, arbeiten wir mit ihnen zusammen und es schmerzt uns sehr, weil sie daran nicht schuldig sind. Und was haben sie bekommen? Sie haben jetzt dieselbe winzige Rente. Weil nach der Verordnung №1210 das Gehalt mit dem Behinderungsgrad zusammenhängt. Und welches Gehalt hatte damals ein Rekrut? Drei Hrywnja, drei Rubel pro Tag? Ich denke, dass Rekruten damals die schmutzigste Arbeit damals erfüllt haben, wohin sie geschickt wurden. Und ohne chemischen Schutz. Und die Feuerwehrleute, wie haben sie den Brand gelöscht? In gewöhnlichen Kleidung. Aber sie haben nicht den gewöhnlichen Brand, sondern das Strahlungsmonster gelöscht. Und sie haben es besiegt. Aber wie haben sie besiegt? Sie haben mit ihren Leben bezahlt. In der gewöhnlichen, einfachen Feuerwehrkleidung. Ohne einen Chemikalienschutz. Vielleicht wäre jemand am Leben geblieben, falls man ihnen die Kleidung mit Chemikalienschutz gegeben hätte. Die einfachen Feuerwehrleute in der einfachen Kleidung, haben sich auf den Kampf mit dem nuklearen Monster gestürzt! Deshalb ist es eine Lehre. Worin besteht sie? Wir würden nicht existieren... Falls ein Mensch ein Atomkraftwerk baut, und falls, Gott bewahre, falls es explodieren wird oder noch etwas, so sollen irgendwelche Maßnahmen getroffen werden, wie man sagt, Vorsichtsmaßnahmen. Wie soll man damit kämpfen? Bei uns ist man mit jenen Soldaten, jenen Liquidatoren und Zivilbevölkerung nachlässig umgegangen.
V.N.: Sagen Sie bitte, was meinen Sie, hat die Tschernobyl-Katastrophe irgendwelchen Einfluss auf die Gesellschaft?
T.M.: Auf die Gesellschaft? Natürlich hat die beeinflusst. Auf welche Weise? Wieso?
V.N.: Also, hat sie irgendwelchen Einfluss oder nicht?
T.M.: Natürlich hat sie die beeinflusst. <…> Also, erstens hat sich die Gesellschaft geändert, weil Tschernobyl das Leben auch beeinflusst hat... Also, die Gesellschaft sind die Menschen, verstehen Sie?
V.N.: Klar.
T.M.: Die Tschernobyl-Katastrophe hat die Menschen auch natürlich beeinflusst, weil sich die Menschen geändert haben, weil… Es gibt viele Menschen, die, wie es heißt, die Heimat abgelehnt haben und weggefahren sind, es gibt auch viele Menschen an den Orten, wohin diese Menschen gekommen sind, die diese fremden Menschen schlecht behandelt haben, wissen Sie, alles hat sich geändert... Oh, diese Einwohner von Tschernobyl! Damals hat man sie behandelt wie jetzt die Aussiedler aus Donezk also, bei uns hier ist es nicht so, aber ich weiß, dass in anderen Gebieten der Ukraine es so war. Man hat erzählt: «Aha, man finanziert den Umsiedlern aus Tschernobyl Verpflegung und Aufenthalte in Sanatorien!». Das heißt, die Gesellschaft wurde damals irgendwie... Also, sie wurde gespaltet. Ja. Na also, sie ist ein bisschen kälter geworden, weil es Not war, aber wir sind doch nicht schuldig, dass man uns Verpflegung und Aufenthalte in Sanatorien finanziert hat. Wir haben uns jedes Jahr erholt, und einige Menschen, die in den Städten gewohnt haben, hatten keine Möglichkeit nicht, sich in Sanatorien zu erholen. Und sie haben irgendwie begonnen... Es war ein blanker Neid. Der Einfluss auf die Gesellschaft... Ah, man gibt das den Einwohnern von Tschernobyl, ah, die Einwohnern von Tschernobyl... Ich wünsche mir, ich hätte nichts bekommen, nur dass ich zu Hause wohnen könnte und nicht umgesiedelt wäre. Der Staat hat das Genozid gemacht, hat die Menschen zu spät umgesiedelt, um seine Autorität in der Welt nicht zu verlieren. Und wir sind schuldig, dass wir uns bis heute kostenlos erholen. Und heute, sehen Sie, man kann die Lehre nicht ziehen, und heute sagt man auch über die Teilnehmer der Anti-Terror-Operation: «Ah, jetzt haben die Teilnehmer der Anti-Terror-Operation Sozialleistungen». Und wir verstehen diese Kämpfer besser als andere Leute. Wahrscheinlich ist jemand dorthin gekommen und sofort zurückgefahren, wahrscheinlich hat jemand eine falsche Bescheinigung gemacht, aber das ist eine andere Frage.
V.N.: Klar.
T.M.: Aber es ist doch sofort sichtbar, wo der Kämpfer, der Teilnehmer der Anti-Terror-Operation geht, ohne Bein oder, Gott bewahre... ohne Hand. Wenn man ihm einen Aufenthalt im Sanatorium finanziert, kann man ihn noch beneiden? Deshalb ist die Gesellschaft irgendwie... Denn wahrscheinlich ist unsere Gesellschaft nicht reich. Lasst diese Menschen fahren, diese Einwohner von Tschernobyl. Und Gott geb', dass sie sich die ganze Zeit erholen werden. Lass auch jene Kämpfer, die Teilnehmer der Anti-Terror-Operation sich erholen, und damit dieser Krieg endet, damit nichts andauert. Wir verstehen wie kein anderer, wir, die Einwohner von Polesien und Narodytschi, verstehen wir die Binnenflüchtlinge wie niemand. Wir würden auch gerne in unserer Heimat wohnen, um solche Worte nicht zu hören, wie: «Ah, sie kommen, man findet Platz für sie hier und dort». Gott bewahre, dass ein Mensch irgendwelche Not hätte, und später würde der Mensch verstehen, wenn die Not ihm auf die Schultern fallen würde... Sollte es sich ereignen, verstünde der Mensch die Not der Anderen. Und damit wir gutherziger wären, brauchen wir die Not erlebt zu haben. Man soll Verstand haben. Wahrscheinlich etwas mehr lesen, mehr denken, mehr verstehen. Es ist nicht so einfach, dass die Einwohner von Tschernobyl nur gekommen sind und das war’s, sie erholen sich schon. Die Gesellschaft war so, ja, ich will es nicht sagen, aber sie war ein wenig verfallend. Und die Menschen sind daran nicht schuld, die Regierung ist schuld.
V.N.: Danke schön. Wollen Sie etwas hinzufügen?
T.M.: Ich will Ihnen danken, dass sie als so junge Person sich dafür interessieren. Sie interessieren sich für unser Leben, das Leben der Einwohner von Tschernobyl und es ist sehr angenehm, weil manchmal, wissen sie, man jemandem etwas erzählen will, damit ein Mensch dich verstehen kann. Er kann zwar nicht alles nachvollziehen, aber er hört zu. Es ist sehr, sehr angenehm, ich bin Ihnen sehr dankbar!
V.N.: Und ich danke Ihnen auch!