Nadezhda
Nadezhda
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Viktoria Naumenko (im Folgenden V.N.): Heute ist der 11. Oktober 2016, wir sind im Gebäude „Sojuz Tschernobyl“ und ich bin Viktoria Naumenko, stellen Sie sich vor, bitte…
Nadezhda Butenko (im Folgenden N.B.): Ich bin Nadezhda Alexandrovna Butenko.
V.N.: Sehr angenehm. Meine erste Frage ist so: erzählen Sie, bitte, Ihre Biographie. Natürlich was Sie für notwendig halten. Sie können mit dem Geburtsdatum, -ort anfangen.
N.B.: Ich bin im Gebiet Kursk geboren. Das ist in Russland, Schtschikolovsky Bezirk, Dorf Melehino. Am 6. Dezember 1952. Dann habe ich in Kursk gelebt, geheiratet. Dann habe ich die erste Tochter geboren – Ella, 1976. 1977 sind wir nach Prypjat umgezogen, sozusagen, mit Rücksicht auf die Wohnung. Anfangs haben wir auf einer Nachrichtenstrecke gelebt, mein Mann hat im Bereich des Fernmeldewesens gearbeitet – er war Telefonist und wir haben eine Zweizimmerwohnung bekommen. Und vier Jahre danach wurde meine zweite Tochter, Lesja, geboren. Das war 1980. Sechs Jahre danach, 1983, haben wir eine Zweizimmerwohnung bekommen. Nun ja, wir lebten in eitler Lust und Freude. Dann… Das war quasi eine Behelfswohnung. Dann haben wir eine Dreizimmerwohnung in Geroev-Stalingrada-Straße bekommen. Nun ja wir haben gelebt. Die Kinder, die Ältere ist zur Schule gegangen, in die Sportklasse fürs Schwimmen, und die Jüngere in einen Kindergarten. So haben wir gelebt. Und ich habe gearbeitet, als die Tochter 3 Jahre alt war, habe ich als die Annahmekraft in der Schuhreparatur gearbeitet.
Dann ist der Unfall geschehen. Zu dem Zeitpunkt, als er geschehen ist, habe ich gerade am Samstag, vom 26. auf den 27., gearbeitet. An dem Tage ist unser Direktor gekommen und hat gesagt: „Macht nichts, die Decke der Kernkraftwerk sei eingefallen“. Wir haben wie gewohnt gearbeitet. Dann bin ich nach Hause gekommen und meine Jüngere hat mir gesagt: „Mama, mach die Klappen zu, wegen der Radioaktivität“. Nun ja wir haben alles aufgeräumt. Ich habe aufgeräumt, den Boden gescheuert, und am nächsten Tag, nein, am Samstag vielleicht, wurden die Tabletten ausgegeben. Am Sonntag wurde es durchgegeben, dass wir hinausfahren.
Zum Kreis Ordschonikidse, Dorf Polesskoje sind wir hinausgefahren. Da sind wir 3 Tage geblieben, meine Jüngere ist da sehr schwer erkrankt, das war Bronchitis, und wir sind weggefahren. Wir sind nach Kursk gefahren, zur Schwiegermutter und -vater, und da haben wir gelebt. Einige Zeit haben wir da gelebt, ich habe eine Arbeit gefunden. Einige Zeit gearbeitet, dann hatte ich Fieber, bis 40 Grad und heftige Halsschmerzen. Dann bin ich doch nach Polesskoje gefahren, weil es doch beschlossen sein musste, was weiter tun. Und ich habe Einweisungsscheine bekommen, die Kinder und ich. Und wir sind nach Schtschebetovka gefahren, es liegt zwischen Feodosia und Sudak. Da sind wir einige Zeit geblieben, dann, was tun? Was tun?
Dann habe ich Polesskoje angerufen. Da hat man gesagt, kommen Sie und Wohnungen werden ihnen gegeben. Dann sind wir gekommen, ich habe die Kinder zur Schwiegermutter gebracht. Und ich selbst bin gefahren, um mich etwas nach der Wohnung doch zu erkundigen. Man hat uns Einweisungen gegeben. Anfangs für das Gebiet Sumy – ich habe abgesagt. Dann ins Gebiet Charkow, nach Charkow. Ich bin anfangs ohne die Kinder hingefahren, habe mich eingemietet, in einem Hotel gelebt. Gleich danach habe ich eine Arbeit gefunden, weil der stellvertretende Minister – kann mich an den Namen nicht erinnern – mir geraten hat, eine Arbeit zu finden, um die Wohnung gerade in Charkow zu bekommen. Und ich habe es so gemacht. Am 23. August bin ich angekommen, am 24. August habe ich schon die Schicht angetreten, das war die Schuhreparaturwerkstatt und so habe ich im Bereich der Schuhreparatur gearbeitet, in Krasnodarskajastraße. Etwa einen Monat haben wir im Hotel gelebt. Die Kinder habe ich in den Kindergarten gebracht, die Ältere war schon auf der Schule. Irgendwo musste man eine Wohnung haben. Ich habe die eine, die Jüngere, zum Kindergarten gebracht und ich habe sogar die Arbeit aufgegeben, weil mein Mann im Norden war, und so habe ich die eine zum Kindergarten gebracht, dann bin ich gefahren, um die andere zur Schule zu bringen, und später bin ich gekommen, um die beiden abzuholen.
Die Kinder wurden krank, die Ältere hatte gleich danach die Schilddrüsenvergrößerung 3. Grades. Die Jüngere war so kontaminiert, dass es eine Überschreitung der Messskala des Strahlenmessgeräts gab, womit man gemessen hat. Sie hatte die Händchen sozusagen wetterhart, und da war so viel Radioaktivität. Ich hatte auch sehr viel Radioaktivität auf dem Kopf, ich habe mich von 10 Uhr morgens bis 4 Uhr abends gewaschen aber das nicht ausgewaschen, ich sage – rasieren Sie mich. Nein, sagen sie, weiter. Dann hat man mir ein Pulver gegeben, nach einer halben Stunde war dieses abgewaschen. Sie hat abgenommen, die Radioaktivität. Nun ja so haben wir gelebt.
Ich habe gearbeitet, bin mit den Kindern von einer zur anderen ärztlichen Beratung gelaufen, besonders mit der Älteren, weil sie die Vergrößerung 3. Grades hatte. Nun ja wir haben gelebt. Man hat eine Wohnung gehabt. Eine Wohnung gehabt – musste Möbel kaufen. Gegangen, bestellt. Man sagt, dass sie am nächsten Tag kommen. Gekommen und… vielmehr bin ich gekommen und sie haben nicht zugestellt, sie hatten keine Autos. Bin zum Direktor gegangen. Da habe ich eine [Frau] gesehen, ihr sagte ich, komm mit mir zum Direktor, und sie – ich will keinen Streit. Nun ja gegangen. Ich sage: ich will keinen Streit, es ist so und so, die Möbel sind gekauft, bezahlt, und die wollen nicht zustellen. Er: „Und warum? – Weil es kein Benzin gibt“. Er hat die Administratorin zitiert, sie hat erklärt, sie haben die Möbel schon für Bekannte beladen. Er hat angeordnet, jene Möbel auszuladen, und sagt: „Gehen Sie nach Haus und warten Sie“.
Ich bin nach Hause gekommen, die Möbel waren schon da. Dann gab es weder Strom noch Wasser, nun nichts. Ich bin noch einmal gegangen und ich kann mich ja nicht mehr erinnern wohin. Auf dem Boden haben wir geschlafen. Zwei Bettdecken haben wir da ausgebreitet und es gab die Kissen, das war noch im September, es war kalt. Zu einem Termin bin ich gegangen. Ich wurde empfangen und sage so und so. Sie haben mir gesagt, ich soll zu Hause bleiben wegen der Kommission, und ich bin gerade wegen der Möbel gegangen. Aha, ich komme zurück und der Nachbar sagt: „Die Kommission ist gekommen, sie haben alles angesehen und gesagt: ach und weh, wie leben Sie so!“ Und Strom, Wasser und Gas wurden sofort angestellt – früher hatten wir nichts davon. Nun ja als wir im Hotel gelebt haben, sind wir in ein Café gegangen, da haben wir gegessen. Und dann, zum Beispiel, bin ich spät von der Arbeit zurückgekommen, und, nun ja, wir hatten Tomaten – dann machen wir einen Salat… und später hat man uns alles angeschaltet. Nun ja so haben wir gelebt. Endlose Krankenhaustermine, und was nun, das war unser Leben.
V.N.: In der Rückschau, warum sind Sie gerade nach Prypjat umgezogen? Hat man Ihnen eine Einweisung gegeben?
N.B.: Niemand hat uns etwas gegeben. Einfach haben wir gelebt, eigentlich habe ich mich mit der Schwiegermutter nicht gezankt aber mein Mann hat sich mit dem leiblichen Vater gezankt. Ziehen wir irgendwo um, sage ich. Und wir haben es beschlossen. Seine Tante hat in Prypjat gelebt. Zuerst ist er hingefahren, hat erfahren, wie es dort geht, sich über die Arbeit verabredet. Und wir… zuerst ist er umgezogen, etwa im Winter, im Februar, und wir… die Tochter wurde gerade 1 Jahr alt, das war im Mai, und im Juni sind wir umgezogen. Man hat uns eine Zweizimmerwohnung gegeben, für zwei Familien ausgelegt. Da waren irgendwelche Möbel und vom Container haben wir Möbel geholt. So sind wir nach Prypjat umgezogen. So haben wir da 9 Jahre gelebt.
V.N.: Wie ist es Ihnen da ergangen… mochten Sie Prypjat? Haben Sie sich da eingelebt, gab es Bekannte, Freunde?
N.B.: Eingelebt, ja, natürlich, und es gab Freunde, Bekannte, und Nachbarn waren gut. Nun ja haben wir normal gelebt. Die Stadt war schön. Wir haben die Feiertage begangen, besonders den Neujahrstag, so ist es. Nun ja, was gab es mehr?
V.N.: Und der Unfall, haben Sie darüber während des Arbeitstages im Laden erfahren, oder, war das gerade Ihre Schicht?
N.B.: Nein.
V.N.: Und wie haben Sie erfahren?
N.B.: Ich habe erfahren… Wissen Sie, das war ein Gefühl, unklar. Nun ja, ich bin erwacht und da war etwas Unklares. Wie alt war die Jüngere schon? Sie war schon 5 und blieb mit der Älteren zu Hause. Ich bin zur Arbeit gegangen. Ich schaue und da gruppieren sich Leute, besonders Männer.
V.N.: War das gerade am Samstag?
N.B.: Ja, das war Samstag. Ich bin zur Arbeit gegangen, und da ist solche Meldung: ein Unfall ist geschehen. Und mein Mann ist gerade vom Norden zurückgekommen und er, es war nötig – er musste fliegen, eine Flugkarte – zu fahren (verstehe ich nicht). Er ist auch zum Autobushof gegangen, zum Zug, zum Bus nach Kiew aber die Busse sind schon nicht mehr verkehrt. Niemand wurde eingelassen. Und er mit der Rakete, es war ein spezieller Schiff „Rakete“. Und sie sind auch gerade vorüber an diesem Unfall, haben gesehen. Und er hatte auch… er ist gestorben, Gott hab´ ihn selig. Er hatte auch die Wirbelsäule-Operation.
V.N.: Danach?
N.B.: Ja, ja, ja.
V.N.: Das heißt, er ist am 26. April gekommen, zurückgekommen?
N.B.: Er ist zurückgekommen, Moment mal. Er ist am 24. gekommen und am 26. hatte er die Flugkarte von Kiew.
V.N.: Zurück?
N.B.: Ja, ja. Und er konnte nun einmal nicht ausfahren. Da war der Teufel los, sagt er. Sie sind zur Rakete gekommen und damit ist er weggefahren. Und das ist so. Und wir haben uns da mit ihm nicht getroffen und dann in Russland getroffen.
V.N.: Und Sie, als Sie über diesen Unfall gehört haben, haben Sie die ganze Gefahr begriffen?
N.B.: Wissen Sie, ich kann nicht sagen, dass ich das habe. Nun ja, gesagt, da ist der Direktor gekommen, er sagt: Macht nichts, die Decke ist eingefallen. Aber es war dieses Gefühl, dass es nicht klar ist, das war das Gefühl. Ich weiß, dass meine Nachbarin Mathematikerin und Physikerin ist aber sie ist am Samstag gegangen, um Kartoffeln anzubauen (lacht). Also…
V.N.: Und Sie sagen, dass die Tochter Ihnen von der Radioaktivität erzählt hat?
N.B.: Die Jüngere, ja. Sie war 5, im 6. Lebensjahr, vielleicht haben sie da im Hof gesprochen, waren Freunde. Und als ich gekommen bin, sagt sie: „Mama, mach das Fenster zu, weil die Luft da schlecht ist und wir können Gift abbekommen“. So war die Rede.
V.N.: Haben Sie damals verstanden, was die Radioaktivität ist?
N.B.: Wissen Sie, es war so, nicht so gut haben wir verstanden. Und fast alle haben gelacht. Dann sind wir natürlich nach Prypjat gefahren, immerhin etwas unseres abzuholen. Und es war schaurig, als wir da mit dem Auto gekommen sind. Wir sind zum Dienstleistungszentrum gefahren und man hat uns davon zu unseren Wohnungen, Häusern hingebracht. Wissen Sie, obwohl mein Haus nicht weit lag, war es schaurig. Man geht allein und das Echo durch die ganze Stadt, das ist schrecklich. Ich wollte zu Fuß gehen, dann denke ich – nein, dann bin zurückgekommen. Da war schon Dickicht, hohes Gras. Dann sind wir gekommen, man hat mich gebracht. Und wenn ich in den Hauseingang gekommen bin, er war zugeschlagen, ich war scheinbar die erste. Ich habe kaum, nun, scheinbar konnte man in einem Platz zum Hauseingang nicht zufahren, weil da „Detskij Mir“[1] gebaut wurde und es war umgegraben (ich verstehe nicht genau, wo sie ist, wer sie gebracht hat und wohin). Nun bin ich gekommen, habe einen Stock gefunden, geöffnet. Als ich hinaufgestiegen bin, – wir haben im 5. Stock gelebt – habe ich zwischen dem 2. und dem 3. Stock einen liegenden Hund gefunden, er war noch am Leben. Die Wohnung habe ich betreten. Irgendwas habe ich genommen und, wissen Sie, es graute mir davor – Gott bewahre, das Auto vergisst mich (lacht)! Ich gehe auf der Straße herum – und kein, kein Auto, dann höre ich – es hupt. Und ich denke, Gott sei Dank – sie sind gekommen. Man Ich habe mich hingesetzt? Hat sie das selber gemacht? hat mich hingesetzt und wir sind gefahren. Nun, wirklich habe ich bis zu Polesskoje geweint, es war so schade, ich habe geschluchzt.
V.N.: Was vermochten Sie mit zu nehmen? Was erlaubte man Ihnen zu nehmen?
N.B.: Das war „nimm, was du willst“. Man sagt ja, das sei verboten. Ich weiß, dass Leute sowohl verpisste, entschuldigen Sie mir, Strampler, als auch Einmachgemüse mitgenommen haben. Alles hat man mitgenommen. Nein. Ich… hatte nur das Nötigste: nun ja war es Goldschmucksachen, Geld, ich habe das genommen. Ich wollte den Pelzmantel der Tochter nehmen, das war gerade ein neuer Pelzmantel, und ich habe den zusammengerollt. Nein, das nehme ich nicht, dann habe ich noch einmal den zusammengerollt – nehme ich oder nicht? Ich habe den endlich nicht genommen, und die Tochter war in dem Alter, wenn man keine Kleidung zum Kaufen finden kann. Eine Nachbarin hat einen Mantel gegeben. Die Tochter hat ihn getragen und dann ließ die Schwiegermutter für sie einen Pelzmantel nähen. So haben wir nichts anderes genommen.
V.N.: Und als Sie ausgefahren sind, haben Sie diese Sachen auf Radiaktivität geprüft?
N.B.: Bei uns, meinen Sie?
V.N.: Als Sie daraus gefahren sind…
N.B.: Ne, nein. Alles, was ich genommen habe, hat unser Nachbar – er ist auch aus Prypjat – mit einem Dosimeter zu Hause geprüft. Alles war sauber bei uns, total. Und es gibt Leute, die haben mitgenommen… es gibt eine tiefe Schlucht da, wo ich jetzt lebe, und die Sachen wurden da vergraben. Die Hälfte der Schlucht ist damit gefüllt.
V.N.: Ach ja?
N.B.: Ja. Meines Mannes Tante und ihr Mann, sie hatten eine kleine Datscha dort. Er ist dorthin nach dem Unfall gefahren, Hühner zu füttern. Denken Sie nur! Und dann, als er zum Krankhaus gegangen ist, hatte er so viel Radiaktivität, dass man ihn gefragt hat: „Haben Sie unter dem Reaktor gelegen?“ Er hat doch alles bis zum letzten Schräubchen aus dieser Wohnung genommen.
V.N.: Ja?
N.B.: Ja, Schräubchen und alles andere. Wir hatten nichts davon. Wir haben alles aufs Neue gekauft.
V.N.: Heißt das, Sie haben schon damals verstanden, dass man das nicht darf?
N.B.: Ja, ich habe damals dieses Pulver, womit man Fenster putzt, bei der Feuerwehr gekauft. Und wir haben auch damit die Fenster geputzt, im Falle eines Falles, warum nicht. Aber was wir bei der Fahrt getragen haben, habe ich dann in Kursk zum AKW genommen (ist die Kleidung gemeint? Wieso zum AKW genommen). Ich bin allein mit einem Handkoffer gefahren, ohne Kinder. Man hat mich da gewaschen, weil es zu viel Radiation auf dem Kopf gab. Wir sind gekommen und ich habe sofort angerufen. Wir wurden ins Krankenhaus eingewiesen. In Kursk haben wir gelegen und da ist der Dosimeter gekommen. Und als er gemessen hat, waren die Hände meiner Jüngerer so kontaminiert, dass es gab die Überschreitung über die Messskala. Und danach hat man gesagt „Sie haben die Papiere gekauft!“ und bla, bla, bla. Denken Sie nur! Wie kann man das alles hören? Und wir haben uns noch und noch gewaschen, ich habe mich lang gewaschen.
V.N.: Und als es am Sonntag, am 27., hinauszufahren gesagt wurde… es ist allen bekannt, dass es durchgegeben wurde, dass es nur für drei Tage geplant ist…
N.B.: Ja, für drei Tage.
V.N.: Können Sie sich erinnern… Sie haben damals geglaubt, dass es für 3 Tage war. Wann haben Sie verstanden, dass Sie nicht zurückkommen?
N.B.: Ja, ja, man hat gesagt, für 3 Tage, warme Kleidung zu nehmen. Das haben wir genommen. Aber ich habe den Wehrpass meines Mannes nicht einmal genommen – und wenn er nach Hause zurückkommt, habe ich gedacht. Und wir haben geglaubt, dass wir zurückkommen. Und als wir ins Dorf Ordschonikidse hergefahren sind, Kreis Polesskij, da waren die Oma, meine Kinder und wir, nun ja mit der Nachbarin Natascha. Sie hatte Sascha und Sascha hatte ein Kind, es war älter als Lesja, Lesja war sechs Jahre alt und es war vielleicht sieben. Sie haben am Ofen geschlafen. Es hat nichts zum unterlegen gegeben. Sie haben auf dem Wachstuch geschlafen, denken Sie nur! So war das!
V.N.: Hat die Radiaktivität erschreckt?
N.B.: Ich weiß nicht, weiß nicht. Nun ja haben wir nicht so stark gefühlt – haben gebummelt, wir wurden aufgeschrieben. Einfach sage ich: „Nein, Natascha, ich fahre fort, weil Lesja stark hustet.“ Wirklich stark. Meine Kinder waren nie erkrankt und dann so ein starker Husten. Und als wir nach Kursk gekommen sind, hat uns die Ärztin im Krankenhaus gesagt: „Zum Teufel diese Bronchitis, geht waschen euch“. Und täglich, nicht täglich, sondern 10 bis 15 Male pro Tag haben wir uns gewaschen. Und das Wasser sollte weder kalt noch heiß, sondern von der Raumtemperatur sein. So haben wir uns gewaschen, die Radiation abgewaschen. Und da war so, da hatten wir unser Krankenzimmer und gerade daneben war das Badezimmer, und wir waren da. Ich habe die erste Tochter gewaschen – zurückgebracht, die zweite – und zurück, dann ich selbst. Und so haben wir uns Tag für Tag gewaschen. Und ich bin mal herausgefahren und meine Hausschuhe waren sehr schmutzig, so bin ich barfuß ins Krankenhaus gegangen. Und das war gerade am 1. Mai, alle Läden waren geschlossen. Nun ja hat mir eine Krankenschwester Hausschuhe gegeben. So hatten wir es doch.
V.N.: Und wann haben Sie verstanden, dass der Unfall etwas so ernstes ist, dass Sie nie nach Hause zurückkommen werden?
N.B.: Nun ja, wissen Sie, wir haben lange gedacht, gehofft und auf die Rückkehr gewartet. Wir haben ferngesehen, zugehört aber niemand hat etwas erklärt. Und schon dann, als man mir einen Urlaubsscheck gegeben hat, als wir fortgefahren sind, haben wir verstanden, dass wir zurück nicht fahren, wenn man auch begonnen hat die Einweisungen zu geben. Und ich bin hergefahren und unser Direktor des städtischen Dienstleistungskombinats sagt: „Siehst du, ich kenne nicht einmal die Namen deiner Kinder.“ Sie haben alles eingeschrieben, alles wie es sich gehört. Das war so, weil der Mann im Norden gearbeitet hat, ich musste die Wohnung bekommen. „Und, sagt er, und wo waren Sie damals? Alle Mütter mit kleinen Kindern haben Urlaubsschecks in ein Sanatorium bekommen.“ Ich sage, dass wir doch fortgefahren sind, und er sagt: „Wir geben Ihnen.“ Und so sind wir nach Kiew gefahren, haben Urlaubsschecks bekommen. Und da war eine Zuschneiderin, Alla, wir waren zusammen im Urlaub. Und als wir dort waren, hatten wir keine Ahnung, was wir machen sollten. Und auch war eine Technologin, Natascha, ich rufe sie an, sage: „So, kommt, man gibt. – Einweisung? – Nein, man gibt Wohnungen.“ So und so, man hat mich eingeschrieben, Gebiet Charkow – fahren Sie. Und als ich nach Polesskoje hergefahren bin, wir haben gewartet, um nach Prypjat zu fahren. Und es war ein Mann, wir haben zusammengearbeitet, er ist am Abend hergefahren. Er sagt: „Und mir hat man die Einweisung gegeben.“ Ich sage, wieso habe man dir die Einweisung gegeben – mir habe man nichts gegeben. Und jetzt gebe es schon eine Verordnung, dass man dich ohne Einweisung nirgendwo aufnimmt. Ich bin gefahren und man hat mir wirklich die Einweisung gegeben.
V.N.: Sind Sie immerfort nach Polesskoje gefahren?
N.B.: Wir haben zeitweilig in Polesskoje gelebt, man hat uns Klappbetten, Decken, alles gegeben. Wir haben gelebt, wo früher eine chemische Reinigung war. Wir waren im ersten Stock und die Männer… kann mich nicht erinnern, vielleicht im Nebenzimmer, und da waren auch die Klappbetten. Das war ein großes Gebäude. In der chemischen Reinigung haben wir gelebt. Wir waren eine Zeitlang dort und sind fortgefahren und manche sind noch geblieben.
V.N.: Und sind Sie nach Russland, zu den Eltern, gefahren?
N.B.: Dort war ich. Wir waren in Russland. Und dann, nachdem ich die Einweisung bekommen habe, bin ich nach Kursk, zur Schwiegermutter gefahren. Das war am 13. August.
V.N.: Erinnern Sie sich daran sogar?
N.B.: Ja. Ich bin mit so großer Tasche hergefahren… Man hat mich so beneidet, dass ich mich sofort beworben habe. Und man sagt mir: „Sind Sie doch mit den Kindern? – Ja, ich bin mit der Familie hergefahren. – Und wo? – Ins Hotel.“ Und ich bin noch nicht einmal ins Hotel gegangen. „Nun ja, spazieren Sie eine Stunde“. Man hat für mich doch eine Arbeit gefunden, ich bin gegangen, dann habe ich die Stelle bekommen. Ich bin ins Hotel „Charkow“ gegangen aber dort sagte ich nicht, wovon und was (das verstehe ich nicht, wem hat sie etwas und was nicht gesagt). Man hat gesagt: „Alles besetzt“. Und dann bin ich zu Swerdlowastraße gegangen, dort gibt es ein Hotel „Perwomaiskaja“, ja, dort gab es Plätze. Aber im Ministerium hat man mir gesagt, dass das Hotel für mich und die Kinder bezahlt werden muss. Ja, natürlich, am Arbeitsplatz hat man das bezahlt, für alle Tage, nur für meinen Mann nicht. Dann ist er hergefahren, wir waren zusammen. Nun ja haben wir sofort den Orden (eine Erklärung wäre hier gut.) bekommen. Lange hat man uns keine Wohnung gegeben. Weil so, so, so… Dann sagt man: „Ich fahre via Moskau, ich fahre und beschwere mich in Moskau.“ Und wirklich, an einem Tag war er dort und am nächsten Tag bekommen wir die Wohnung.
V.N.: Und warum haben Sie keine Wohnung in einem neuen Haus bekommen?
N.B.: Ich weiß auch nicht. Man hatte diese, weiß nicht, Störungen. Dann bin ich zur Leiterin der Wohnungsbehörden gegangen. Und das Wichtigste ist, dass man uns eine Wohnung im 8. Stock gegeben hat, wir hatten die Wohnung im 4. Und man hat sie uns im 8. gegeben. Ich sage: „Geben Sie uns wenigstens Strom!“ Und da begann die Leiterin mich anzuschreien, sie hatte eine grobe Stimme: „Nanu! Beschweren Sie sich, wo Sie wollen!“ Ich habe nicht geschimpft. Ich mag das im Prinzip nicht. Damals bin ich zum Laden gegangen. Man kann sagen, dass ich die erste war, wer diese Gasse gebahnt hat, weil danach Leute zu schreiben begonnen haben. Wenn jemand von Prypjat gekommen ist, hat man sogleich „Tschernobyl“ geschrieben und sogleich befördert. Aber mit dieser war es nicht so. Gut, sage ich, und gehe weg. Und als ich zum Termin hineingekommen bin… Also erinnere ich mich nicht, ich bin zum Termin gekommen und es gab so viele Leute. Ich bin zur Sekretärin gekommen, sage so und so. Sie sagt, gut, warten Sie. Und er hat vielleicht zwei Leute empfangen und das war’s. Und ich sage: „Und ich?“ Die Sekretärin sagt: „Warten Sie mal.“ Und sie ist zu ihm gegangen, hat alles erklärt. Und er sagt: „Gut.“ Und danach war alles noch einmal: man hat sofort Gas angestellt, und alles andere. Weil man irgendeinen Kurs abschließen musste, Prüfungen ablegen und erst danach wurde das Gas angestellt (das hört sich so an, als ob ich als Mieter eine Prüfung ablegen muss, bevor ich Strom oder Gas bekomme. Das ist bestimmt anders gemeint.). Ja, das war so früher. Und dann war alles zusammen – Wasser, Gas, Strom. Denn wir haben auf dem Boden geschlafen. Das war doch der blanke Horror.
V.N.: Ja, selbstverständlich.
N.B.: Wenigstens konnte ich die Kinder kleiden, und das Laken war für mich. Das war schon kalt. Denken Sie nur, auf dem Boden! Ich hatte da Kissen, Decken. Und das war so, ich habe Strumpfhosen ausgelegt, dann die Decken darüber, und so haben wir geschlafen. Und danach habe ich das Schlafzimmer gekauft. Aber es gab nichts zum Sitzen. Man kommt, sitzt auf dem Boden und das war’s. So haben wir gelebt.
V.N.: Hatten Sie zur Auswahl, wo sich anzusiedeln? Warum ist die Wahl auf Charkow gefallen?
N.B.: Wissen Sie, als ich gekommen bin, sagt man: „Für Sie ist Konotop, Gebiet Sumy.“ (Sie sind für das Gebiet … eingeteilt.) Nun ja, vielleicht, hat man gesehen, wo ich geboren bin, und hat gedacht – oh, das passt. Und als man „Konotop“ gesagt hat, habe ich abgesagt. „Dann gehen Sie, denken Sie wohin.“ Ja, das war so. Ich bin gegangen und dort war eine riesige Karte. Ich dachte, Gott, nun ja, wohin, wohin? Ich weiß doch nicht. Da kommt die Frau meines Chefs, fragt: „Warum stehst du hier?“. Ich sage, ich denke, wohin zu fahren. – „Und wo hast du die Verwandten näher?“ Und ich habe natürlich um Kursk oder Krasnodar gebeten, dort waren die Verwandten. Aber man hat uns keine russischen Städten gegeben, persönlich uns. Gerade wo wir gearbeitet haben, hat man nicht gegeben. Und sie sagt: „Wo sind die Verwandten?“ – „In Kursk.“ – „Dann wähle Charkow“ (lacht). Ich habe wirklich lange dort daran gedacht, nun ja fast 4-5 Stunden. Ich komme zurück und die Arbeiter beabsichtigten schon, nach Hause zu gehen. Und ich trete ein und sage: „Ich habe beschlossen.“ – „Wohin?“ – „Charkow.“ Nun ja, sie haben natürlich alles sofort aufgeschrieben, zwei Einweisungen. Die erste für die Stelle und die zweite für die Wohnung. Und sie haben das geschrieben und der stellvertretende Minister sagt mir so: „Gehen sie sofort zur Arbeit.“ Ja, wirklich, sonst schlägt man mir das Gebiet Charkow vor. Und als ich gekommen bin, sagt man: „Mit der Familie?“ Ich sage: „Ja.“ Und man sieht und sagt: „Was denken Sie, wenn wir Ihnen Bezirk Perwomaiskij geben?“ Und er hat mir gesagt, dass die Einwohnerschaft wenigstens 60 000 sein muss. Ich sage: „Und wie groß ist die Einwohnerschaft dort? Gibt es 60 000?“ Und man sagt: „Nein“. Gerade deshalb bin ich in Charkow geblieben. So ist es.
V.N.: Sagen Sie bitte, gab es ein besonderes Verhältnis zu Ihnen, als Sie in Charkow angesiedelt haben? Oder zu denen, die von Prypjat evakuiert und übergesiedelt wurden?
N.B.: Doch nein. Ich habe solches nicht bemerkt. Und am Arbeitsplatz war das Verhältnis gut. Alles war normal, noch mehr hat man mich bemitleidet. So war es und schlechtes Verhältnis… Nein, gab es nicht.
V.N.: Alles war normal?
N.B.: Alles war normal.
V.N.: Und dann Sie… im Prinzip, nun ja haben Sie über die Wohnung in Charkow schon erzählt. Wann sind Sie nach Prypjat gefahren, Sachen abzuholen?
N.B.: Nein, die Wohnung haben wir im August bekommen und das war im Juni oder Juli. Das heißt nein, damals haben wir noch nicht… Ich bin damals schon nirgendwohin fortgefahren. Ja, ich hatte ein Telegramm von meinem Leiter Tschernenko. Das sagte, fahren Sie her und bekommen Sie eine Wohnung in, es scheint mir, Wassilkow.
V.N.: In Wassilkow?
N.B.: Ja, ja, drei Zimmer. Und danach war das zweite Mal. Natürlich musste ich die bekommen (lacht). Aber ich habe ein Telegramm geschrieben, dass ich eine Wohnung in Charkow bekommen habe. So war es.
V.N.: Und nachdem Sie die Sachen abgeholt haben, waren Sie in Prypjat noch einmal?
N.B.: Nein, kein einziges Mal mehr.
V.N.: Und möchten Sie?
N.B.: Natürlich möchte ich sehen. Wie geht’s dort.
V.N.: Und wissen Sie, dass man jetzt Exkursionen in Prypjat macht?
N.B.: Jo. Nun ja nicht für mich. Das Alter ist solches. Falls früher – dann natürlich, aber jetzt…
V.N.: Und wie verhalten Sie sich im Ganzen dazu? Braucht man diese Exkursionen?
N.B.: Ich weiß nicht. Mein Verhältnis ist negativ. Was kann man dort sehen? Einfach interessant zu sehen, wie es mit Häusern, Wohnungen ist? Fallen sie zusammen oder nein? So ist es.
V.N.: Die Stadt selbst?
N.B.: Jo.
V.N.: Und im Familienkreis, mit Freunden, erinnern Sie sich oft an Prypjat?
N.B.: Oft, oft.
V.N.: Und woran erinnern Sie sich, was fällt Ihnen ein?
N.B.: Zum Beispiel, ich erinnere mich an das Neujahr, als wir zum Tannenbaum gekommen sind. Nun ja es gibt solche Momente. Und an Nachbarin Natascha – wir haben im 4. Stock gelebt und sie im 5. – wie oft hat sie unsere Wohnungen überschwemmt. Ich bin hingekommen, habe gelacht, das war etwas. Das ist so, solche Momente. Wir sind zum Fluss gegangen, Heidelbeeren oder Pilze sammeln. Das ist so.
V.N.: Gute Erinnerungen?
N.B.: Ja, ja, ja. Ich erinnere mich daran, als wir bei der Tante waren, und ihre Familie hatte eine Datscha, sie haben Mohn gepflanzt. Und sie bewachen das. Sie haben es bewacht aber dann stehen sie einmal am Morgen auf und alle Mohnblumen sind so, lassen ihre Köpfe hängen. Und es stellt sich heraus, dass Drogensüchtige in der Nacht gekommen sind und mit Spritzen den ganzen Milchsaft ausgepumpt haben. Und das ist so, bewacht man oder nicht.
V.N.: Und mit diesen Leuten, mit denen Sie in Prypjat befreundet waren? Setzen Sie fort..?
N.B.: Wissen Sie, wir haben früher Briefe geschrieben aber jetzt nicht mehr. Ich bin Nichtstuerin, um das zu machen. Aber doch ja.
V.N.: Und im Ganzen, wurden alle in verschiedene Orte angesiedelt?
N.B.: In verschiedenen.
V.N.: Das heißt, Sie haben sich mit niemand…
N.B.: Wir hatten diese… wir haben uns getroffen. Und nämlich war eine Nachbarin. Wir konnten uns im Laden begegnen. Oder wir sind uns auf dem Treppenabsatz begegnet, weil wir gegenüberliegende Wohnungen hatten. Wir haben uns besucht. Aber sie sind mit ihrer Familie nach Kiew umgezogen. Sie haben in Rogan eine Wohnung bekommen und wir blieben hier, im Moskowskij Bezirk. Darum… Dann bin ich einer Frau begegnet, sie hat daheim, in Prypjat, als Friseurin gearbeitet. Dann waren noch andere… Und jetzt, wissen Sie, wie es ist – das Alter. Und wir versammeln uns nicht so aktiv. Dann will man zu… aber noch die Diabetes. Aber wenn man zu Gast kommt, dann muss man jedes und dieses essen. Darum ist es besser, zu Hause zu bleiben (lacht).
V.N.: Und mit der Zeit haben Sie dafür das Interesse verloren?
N.B.: Verloren. Aber im Ganzen – ja, erinnern wir uns oft. Wir hatten solche Gesellschaft – o, das war toll!
V.N.: Und sagen Sie bitte, haben Sie mal diskutiert oder vielleicht selbständig darüber nachgedacht, warum dieser Unfall geschah?
N.B.: Ja. Vielleicht hat man dort uns Sünder gesammelt. Wegen etwas, dass wir gesündigt haben.
V.N.: Sogar so?
N.B.: Nun ja. Und wer weiß, warum das geschah? Ich weiß nicht, vielleicht sind die Oberen schuldig aber…
V.N.: Als Karma?
N.B.: Ja, ja, ja. Ausgerechnet wir mussten dorthin fahren! Wir konnten nicht fahren. Zum Beispiel ich habe nie mit Schwiegervater oder -mutter gezankt. Aber er… Der Opa besäuft sich, mein Mann auch und sie beginnen zu streiten. Ich sage: „Tolja, fahren wir von hier fort.“ Weil das unmöglich war zu leben. Und wir haben beschlossen fortzufahren. So ist es. Woher man am schnellsten die Wohnung kriegen kann, nur so war es damals. Nun ja zuerst haben wir an der Berufsschule gelebt, 9 Jahre gelebt, dann haben wir eine Zweizimmer- bekommen. Nach einer Weile, vielleicht nach 9 Monaten, haben wir eine Dreizimmer- bekommen. So ist es.
V.N.: Und haben Sie in Charkow die Dreizimmer- bekommen?
N.B.: Drei. Ja, ja.
V.N.: Gleichwertig?
N.B.: Jo, aber das war im 8. Stock.
V.N.: Im 8-stöckigen Haus?
N.B.: Ja. Als ich erstmals gegangen bin, haben wir im Erdgeschoß bekommen. Dann ist mein Mann hergefahren, ich sage: „Da, treib“, ich habe damals gerade gearbeitet. Und er hat einen „Gewinn“ dem Direktor gegeben und der Direktor hat im 8. Stock gegeben. Ich sage, ich würde lieber im Erdgeschoß leben (lacht). Als ich schon in Charkow war, habe ich auf der Swerdlowastraße gelebt, hier hat es mir gar nicht gefallen. Gott! Ich rufe die Schwiegermutter an: „Ich bleibe hier nicht, ich kann nicht, ich fahre vielleicht fort!“ Erstens gab es keinen Baum auf der Swerdlowastraße. Ja, total. Und sie sagt mir: „Nadja, was fällt dir ein! Witja, der Nachbar, hat in Charkow gedient! Charkow gefällt ihm so gut! Da ist etwas!“ Als ich die Arbeit gefunden habe, ich war doch Annehmerin, gehe ich und kann nicht ertragen und Jungen sagen: „Was fällt dir ein! Das ist doch Charkow, Charkow! Verstehst du, was das ist – Charkow?“ Nun ja, jetzt habe ich mich an Charkow gewöhnt, kann ohne Charkow nicht.
V.N.: Aber das war auf jeden Fall schwierig sich anzupassen?
N.B.: Schwierig, schwierig, sehr schwierig war es. Ich wollte nur zu Hause bleiben, nirgends zu gehen.
V.N.: Sogar so?
N.B.: Sogar so. Nun ja haben wir jetzt uns gewöhnt, immerhin leben wir hier 31 Jahre, darum haben wir uns angepasst (lacht).
V.N.: Und sagen Sie bitte, wie stehen Sie zu den Veranstaltungen, die mit dem Jahrestag der Tragödie verbunden sind? Was meinen Sie, ist das genügend? Es gibt am 26. April und im Dezember, zum Tag des Liquidators. Oder wie sollte man ihrer Meinung nach diese Veranstaltungen durchführen?
N.B.: Früher, ja, sind wir oft zu allen Veranstaltungen gegangen, das gefiel uns. Wir wurden oft eingeladen, zum Beispiel zu Konzerten. Und jetzt, ich weiß doch nicht. Ich war dort nicht einmal dieses Jahr, weiß doch nicht. Und die Leute sind schon alt, man muss jeden anrufen. Wissen Sie, diese Sache ist so, dass man sich dafür interessieren muss… Und im Ganzen ja, wir sind zum Denkmal gegangen, haben Blumen niedergelegt, das war gut und auch war da der Priester. Das war schön aber jetzt, ich weiß doch nicht, dieses Jahr gab es etwas aber ich war nicht dabei.
V.N.: Das heißt, man hat Sie nicht eingeladen, Sie haben nichts darüber gehört?
N.B.: Ich habe nichts gehört.
V.N.: Und diese Fernsehsendungen?
N.B.: Ja, ich sehe, natürlich. Und ich sehe doch in der Metro, dort sind die Plakate über Tschernobyl und das ist sehr gut. Leute müssen wenigstens wissen, was das ist. Und es gibt Fotos und so weiter.
V.N.: Und was glauben Sie, na, Ihre Meinung, die Katastrophe von Tschernobyl ist eine Tragödie, sie hat die Gesellschaft geändert, sie hat sie beeinflusst? Und Sie, hat sie Sie mental beeinflusst?
N.B.: Nun ja, natürlich.
V.N.: Haben Sie etwas überdacht, das Leben umgewertet?
N.B.: Ja, Leute müssen, quasi, einander schätzen, anders leben. So ist es.
V.N.: Anders leben – was meinen Sie?
N.B.: Wir müssen das Leben schätzen. Wenn wir das nicht schätzen … natürlich, wenn man alt wird, schätzt man das Leben und bedauert man, dass man gelebt und nichts gesehen hat, alles vorbeigegangen ist. Und wir erinnern uns, wie gut, wie schön es war.
V.N.: Gut, möchten Sie etwas ergänzen?
N.B.: Nein, nein.
V.N.: Danke.
[1] „Welt des Kindes“ (das Kaufhaus der Kinderwaren)