Später fuhren wir nach Prypjat, um irgendwelche Sachen zu holen. Man geht da allein entlang, und man hört einen Widerhall in der ganzen Stadt, das macht Angst. Ich wollte erst zu Fuß gehen, dann habe ich es mir anders überlegt, nein, dachte ich, und bin zurückgekehrt. Da war schon alles zugewachsen, das Gras war sehr hoch. Schließlich kamen wir an, jemand fuhr mich dorthin, und als ich zum Hauseingang gelangte, war er verschlagen, ich muss die erste gewesen sein. Als ich die Treppe hinaufstieg, lag ein Hund zwischen dem 2. und dem 3. Stock, er war aber noch am Leben. Verstehen Sie, es wurde mir so unbehaglich, Gott bewahre, dass der Wagen mich vergisst.

Ein Bild von einer vom Leben geprägten Stadt: Die Bäume sind grün, das Gras, die Vorhänge fächeln in einem offenen Fenster, die Wäsche wurde zum Trocknen aufgehängt, die Spielhöschen also, die Blumen stehen in den Blumentöpfen, die sind nicht verwelkt, da dörrt der Fisch. Ich hatte damals eine starke Assoziation mit einem Film von Bergman, wo der Held durch eine vom Leben geprägte, aber vollkommen leere Stadt läuft. Und man spürt Unbehagen wegen dieser Menschenleere, es wird einem nicht geheuer zumute...

Ich werde das erzählen, was man im Grunde genommen schon weiß. Eine Frau erzählte mir, dass eine Frau in unsere Station kam, die schwanger war. Frauen, die 12 oder weniger Wochen schwanger waren, ließen ihre Kinder abtreiben. Nur selten wollten die Frauen auf die Abtreibung verzichten. Unter denen gab es eine, die […] aus der Zone kam. Sie sagte, sie hätte mit Drillingen gerechnet und die Kinder nicht abtreiben lassen. Aber da war ihr alles zusammengewachsen, so dass es zu einer Operation kam und es viele Probleme gab. Das ist das, was ich weiß, denn ich habe diese Frau mit meinen eigenen Augen gesehen.

Ich war Parteimitlied. Meine Familie und die Gesellschaft hatten mir beigebracht, immer erst an mein Heimatland zu denken und dann – an mich selbst. Und so war es in der Tat. Am 15. Juni betraten wir das Unbekannte. Man musste bloß nach drüben gehen. Und es gab 6 Personen, die bereit waren, das zu tun. Man musste das Essen für die Menschen kochen. In der Tschernobyler Zone kochten wir für die Bauarbeiter, die Menschen, die Betonwerke bauten. Welche Eindrücke bekam ich damals? Den Reaktorblock sah ich überhaupt nicht, weil ich keine Zeit hatte. Wir sechs mussten gute 800 Personen versorgen. Es war sehr kompliziert, das können Sie mir glauben. Es gab nur einen Wunsch – sich ins Bett zu legen und zu schlafen. Mehr wollten wir vom Leben damals nicht. So anstrengend war es. Wenn wir jetzt ab und zu zusammenkommen, sagen mir die Jungs: „Hallo, Wera Adrejanowna!“ – „Hallo, Jungs!“ – „Erinnern Sie sich an uns?“ Und da sage ich: „Ich bitte um Entschuldigung, aber nein“. Die trugen alle damals Feldmützen und sahen in ihrer Uniform total gleich aus. Und da wir uns bei der Arbeit ständig beeilten, hatten wir keine Zeit, uns die Gesichter zu merken …

Das, wovon ich träumte, während wir dorthin [nach Tschernobyl] fuhren, prägte sich in mein Gedächtnis ein. Wir fuhren über Kiew spät in der Nacht, gingen die Paton-Brücke entlang. Als ich aufwachte, waren wir schon im Rayon Iwankiw der Oblast Kiew. An jenen interessanten Traum erinnere ich mich bis auf den heutigen Tag. Ich träumte von einem Getrenntsein… Das ich am Rand eines Bergschlundes stehe und da drinnen eine heftige Flamme tobt. Auf mich kam eine Frau in Weiß zu, nahm mich an die Hand, sagte: „Sie brauchen nicht hin zu gehen, es ist für Sie zu früh“ und holte mich bei diesen Worten weg.