Katastrophe

Katastrophe

Infolge der Reaktorexplosion, die sich am 26. April 1986 um 1.23 Uhr als Folge eines planmäßigen Tests während des Herunterfahrens zu Renovierungsarbeiten im AKW Tschernobyl ereignete, wurden weite Teile von Belarus, der Ukraine und Russland radioaktiv verstrahlt. Die durch den Reaktorbrand freigesetzte radioaktive Wolke verteilte sich binnen weniger Tage über den gesamten Erdball. In zahlreichen weiteren Ländern, darunter Deutschland, wurden daher die Verarbeitung und der Verzehr bestimmter Lebensmittel verboten sowie die Bewegung an der freien Luft eingeschränkt. Infolgedessen verstanden zahlreiche Menschen weltweit, dass technische Katastrophen tatsächlich keine Grenzen kennen. Der Super-GAU im AKW Tschernobyl löste daher einen „anthropologischen Schock“ aus, wie der Soziologe Ulrich Beck in seinem 1986 erschienen Buch „Die Risikogesellschaft“ schrieb. Dieser Schock führte in vielen europäischen Ländern zum Erstarken der Anti-Atomkraftbewegung sowie zur Entstehung von zahlreichen Tschernobyl-Initiativen, welche den Betroffenen in Belarus und der Ukraine ihre Unterstützung anboten. Bis heute bilden diese Initiativen, die oftmals nicht nur humanitäre Hilfe, sondern auch strukturelle Entwicklungshilfe leisten, eine einmalige internationale Solidaritätsbewegung.

Die Tschernobyl-Katastrophe zeichnet sich durch ihre langfristigen Folgen aus: Die Halbwertszeit der am meisten verbreiteten Radioisotope Cäsium-137 und Strontium-90 liegt bei etwa 30 Jahren. Dementsprechend hat sich die radioaktive Belastung in den am meisten betroffenen Regionen bis heute lediglich halbiert und wird noch für mehrere Jahrhunderte ein zusätzliches Gesundheitsrisiko für die dort lebenden Menschen darstellen. Alleine in der Ukraine sind dies derzeit noch knapp 1,7 Mio. Menschen. Neben den offensichtlichen nukleartechnischen, radioökologischen und medizinischen Auswirkungen hatte die Tschernobyl-Katastrophe zudem vielfältige soziale, wirtschaftliche und politische Konsequenzen. Nicht zuletzt trug die Politik der sowjetischen Parteiführung, die wahren Ausmaße der Tschernobyl-Politik über drei Jahre vor der Bevölkerung geheim zu halten, zum rasanten Vertrauensverlust der Kommunistischen Partei und damit zur Auflösung der Sowjetunion bei.

Für etwa eine Million Menschen stellte die Tschernobyl-Katastrophe eine Zäsur dar, die ihr Leben für immer in zwei Hälften teilte: in die Zeit vor und in die Zeit nach Tschernobyl. Dies sind die über 600.000 Menschen, die als sogenannte „Liquidatoren“ den Reaktorbrand löschten, eine Schutzhülle um den zerstörten Reaktor errichteten und weitere Schutzarbeiten in der Sperrzone durchführten, sowie die über 350.000 Umsiedler, die nach Tschernobyl für immer ihre Heimat verlassen mussten. Diese Menschen stehen daher auch im Mittelpunkt der Arbeit der Geschichtswerkstatt Tschernobyl in Charkiw.

Weitere Informationen zu den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe (zum Anklicken):

The Other Chernobyl Report (englisch)

30 Jahre Tschernobyl-Katastrophe: Radiologische und medizinische Folgen. Nationaler Bericht der Ukraine (ukrainisch)