Charkiw

Witalij

Petrowitsch

Smykalow

Dort wurde ein Reaktorabschaltungszyklus nach einem Schema ausgeführt. Da lief etwas schief. Die Anlage war doch durchaus idiotenfest, verstehen Sie? Man rief bei Moskauer Kollegen an, die sagten, sie sollten den Schutz abschalten, und die Sache ordnungsgemäß durchführen. Sie schalteten den Schutz ab, bis der Reaktor außer Rand und Band geriet. Das nenne ich also menschlicher Faktor: Nicht die Handlungen der Betreuungskräfte, genauer gesagt, der Mitarbeiter des Atomkraftwerkes, waren schuld, sondern die blöden Anweisungen, die aus Moskau kamen.

Witalij

Sergejewitsch

Seljukow

1986, Ostern. Jemand klingelte an die Tür. Es regnete übrigens draußen in Strömen. Es war der erste Regenschauer des Jahres. Ein starker, ein echter, ein harter Regenschauer. Als ich die Tür öffnete, sah ich ein betrunkenes Gesicht dahinter stehen. Völlig breit, drückte es mir einen Einberufungsbescheid in die Hand und ließ ihn unterschreiben. Als ich meine Unterschrift darauf setzte, las ich, was darauf eigentlich stand. Ich müsse, hieß es, innerhalb einer Stunde mit meinen Sachen im Palast der Pioniere erscheinen. Ich hatte den Wehrdienst hinter mir und musste deshalb immer bereit sein, einem Befehl zu gehorchen: So schlug ich die Hacken zusammen, warf ein paar Sachen in den Rucksack und ging hin. Wir fuhren in der Nacht ab und wurden in Swintzi „ausgeladen“, am nächsten Morgen waren wir schon im Feuerwehrbataillon.

Dmitrij

Michajlowitsch

Morgun

Die Sache ist die, dass wir ein riesiges Muffersausen bekamen, als wir das erste Mal in die Zone kamen. Denn man betrat das Ungewisse. Gesehen und gehört hatte man zwischenzeitlich ziemlich viel, man war dort bloß noch nie gewesen. Kurz gesagt, da war das Muffersausen. Nach zwei oder drei Tagen Aufenthalt war es schon in Ordnung, wir gewöhnten uns daran. […] Wir hatten damals keine Ahnungl, eine Tragödie mitzuerleben. Heute kann man an jeder Straßenkreuzung eine ganze Menge Informationen bekommen. Was stand uns aber damals zur Verfügung? Wir hatten sowjetisches Fernsehen und sowjetischen Rundfunk. Auch die Strahlung war sowjetisch…

Nikolaj

Walerjewitsch

Jemeljanow

„Wir haben im Reaktor gearbeitet und sind nun im aufgeregten Zustand. Du musst uns so fahren, dass der Wagen keinen Mucks macht. Das heißt wir müssen das keineswegs spüren. Wir müssen mit dem Bus fahren und uns entspannen!“

Nadeschda

Pantelejewna

Boiko

Gleich fielen ruppige Katzen und ganz nackte Hühner ohne Federn auf. Mit ihren komisch gebogenen Rücken sahen sie total abscheulich aus. Die Natur stand aber in voller Blüte: Bunte Blumen gab es überall. Vor allem brannten sich aber die Verödung der Häuser, die Stille, die Ruhe ins Gedächtnis ein. Keine Kühe, keine Schäfer, keine Menschen…

Viktor

Wassiljewitsch

Polywjanyj

Ich weiß nicht, ob es in meinem Leben eine gute oder eine schlechte Rolle gespielt hat, ich bin aber zumindest nicht nach Afghanistan gelangt. Dafür bin ich buchstäblich nach einem Monat in Tschernobyl gelandet. Man hat uns einbestellt und mitgeteilt, dass wir zu den Sicherungsstreitkräften des Innenministeriums der UdSSR einberufen seien und nach Kyjiw fahren würden, um Stadien zu bewachen. Man hat uns nicht gesagt, dass wir Tschernobyl bewachen fahren. Man hat uns gesagt, dass wir Stadien, Konzerte, verschiedene Massenveranstaltungen bewachen würden. Dass wir Stars und Unterhaltungskünstler sehen würden. Dass wir als Bewachungsmannschaft dieser Veranstaltungen eingeteilt würden.

Nadeshda

Tihonowna

Degtjar

Er wohnte da in einem Zelt. Hat Müll vom Dach weggeräumt. Und kam von dort praktisch bereits als Kranker zurück. Er kam von dort und lehnte sich gleich an die Wand an. Wir hatten damals Mitmieter in der Wohnung. Sie sagt: „Ist er denn betrunken?“ Ich sage: „Nein, ist er nicht“. Er konnte einfach nicht laufen, ohne sich an den Wänden festzuhalten, denn es war ihm schwindelig. Einen Monat später lag er schon im Krankenhaus…

Eduard

Jewgenjewitsch

Ignatow

Und deswegen ist es so schrecklich, diese Unmengen von vertrockneten Blumen zu sehen, die niemand auf den Fensterbrettern dieser Läden, dieser verwahrlosten Frisiersalons je mehr gießen wird. Die Glassplitter, diese Fenster in den Häusern, wo es kein Licht mehr gibt. […] Man spürt das so stark, wenn man an einem Kindergarten in, sagen wir, Prypjat vorbeifährt, da guckt man, und da… sind keine Kinderstimmen mehr zu hören. Also man spürt Unbehagen, und es ist so grässlich und beklemmend. Ich glaube, es ist wirklich eine Hölle auf Erden. Also gerade diese 30-Kilometer-Zone ist wahrlich eine Hölle auf Erden.

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