Mykola
Mykola
- Liquidator
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Дата смерти:
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Berufstätigkeit:
Die Zeit, in der Tschernobyl-Zone :
Aktivitäten in der Tschernobyl-Zone durchgeführt :
Viktoria Naumenko (nachstehend V.N.): Heute haben wir den 3. August 2016. Wir sind im Dorf Hnidyn zu Besuch bei… Könnten Sie sich bitte vorstellen?
Mykola Bossyj (nachstehend M.B.): Kommandeur des Tschernobyler Bataillons 731, erster Kommandeur Oberst Mykola Fedotowitsch Bossyj.
V.N.: Sehr gut. Mein Name ist Viktoria…Ja, ich bin Viktoria Naumenko. Wir führen hier ein Interview durch. Nun wollen wir mit einer allgemeinen Frage anfangen: Erzählen Sie, bitte, die Geschichte Ihres Lebens. Alles, was Sie für nötig halten.
M.B.: Geboren bin ich hier, in Hnidyn. Hier ist meine Heimat. Nach dem Abschluss der Hnidyner Schule ging ich auf die Panzerschule in Charkiw. Meinen Militärdienst bei den Streitkräften der Sowjetunion leistete ich in verschiedenen Ämtern von Zugführer bis Regimentskommandeur ab. In den letzten … 1970 wurde ich nach Kiew versetzt und diente beim Regiment für Zivilschutz der Stadt Kiew als Kommandeur des mechanisierten Bataillons und danach als Leiter der Strahlungsaufklärung des Regiments. Im Jahr 1986 wurde ich als Kommandeur der Sondertruppe eingesetzt, die dem AKW Tschernobyl für Notfallsituationen angehörte. Und nach dem 26. April, nach der Explosion im Kernkraftwerk, bin ich mit der Truppe, mit dieser Truppe dorthin gefahren, um meine Dienstpflichten zu erfüllen, so. Seit der Zeit … Im Jahr 1987, nachdem ich meinen Wehrdienst bei den Streitkräften abgeleistet hatte, ging ich in Rente. Jetzt wohne ich im Dorf Hnidyn, genieße meinen wohlverdienten Ruhestand, also.
V.N.: Aha, gut. Na, dann wollen wir zu den nachfolgenden Ereignissen, zu den Ereignissen in Tschernobyl übergehen. Wie haben Sie über die Havarie überhaupt erfahren?
M.B.: Das war das Jahr 1986, an einem Samstag. Im Regiment für Zivilschutz, bei dem ich meinen Wehrdienst leistete, fand die feierliche Abendmusterung statt, so was hatte man dort, so. Man hat die feierliche Abendmusterung durchgeführt, die Hymne der Sowjetunion gesungen und ist nach Hause gegangen. Ungefähr gegen drei Uhr bekam ich die Verordnung, in das Regiment alarmmäßig zu kommen. Nachdem mein Trupp, der bereits aufgestellt worden war, in das Regiment angekommen war, schlossen wir der Kolonne an, die sich nach Tschernobyl begeben musste. Keiner wusste etwas, keiner wusste, was da geschehen war, wo und was … Na ja, eine Notfallsituation, eine Havarie. Und so gegen vier Uhr am 26. April fuhren wir nach Tschernobyl ab.
Um zehn Uhr waren wir irgendwo bei Prypjat, wo uns der Leiter des Zivilschutzes der Ukraine Generalleutnant Bondartschuk abholte und in der Kolonne zu dem Kernkraftwerk begleitete. Es war … Im Trupp war auch ein Aufklärungszug, der die chemische Aufklärung und die Strahlungsaufklärung auch auf der Vormarschstraße durchführte. Und als wir an Prypjat heranrückten, berichtete er… und mein Regimentskommandeur, der damals war, er führte das, diese Kolonne, er erstattete den Bericht, dass Strahlungswerte in einzelnen Orten bis zu 200 Röntgen erreichten. Als er ins AKW kam, um genauere Strahlungswerte zu erfahren, so erreichte die Strahlung dort neben der Kantine 2080 Röntgen pro Stunde. Das brachte die ganze Führung, die damals dort war, in Aufruhr, so war das.
Also, dann, danach hat man mich beauftragt, die Erkundung in der Stadt Prypjat durchzuführen: Ich musste die Bewegungsrichtung festlegen, d.h. radioaktive Spuren, wohin sie führten, und dann berechnen, wie hoch die Strahlung in welchem Bezirk sein sollte…war. Der Bezirk war, Prypjat war in fünf Bezirke geteilt und in jedem Bezirk war eine Aufklärungseinheit mit dem Wagen GAZ-69 „Olcha“[1] im Einsatz. Die ersten Erkundungen haben nicht so hohe Strahlungswerte ergeben. So ungefähr von 0,14 bis 0,35, aber in einzelnen Orten waren das schon ganze Röntgen. Das zeugte davon, dass das ganze Territorium herdweise kontaminiert war. Nach der zweiten Aufklärungsphase, nach den Aufklärungsphasen 1 und 2 wurde klar, dass die radioaktiven Spuren nach Nordwesten führten, in Richtung der Schweiz, nach Finnland, Schweden, nach Frankreich, also in die Richtung. So, man hat darüber berichtet und dann wurde an aufwärts gemeldet. Und da begann, also, man kann sagen, eine unklare … eine unklare Verteilung des Führungskorps, Verteilung von allen. Die Leitung existierte damals in zwei Varianten. Die erste Variante war, wie das im Gesetz vorgeschrieben war, dass dafür der Chef des AKWs Briuchanow zuständig war. Die zweite Variante war, dass an der Spitze der Parteichef Malomusz, der 3. Sekretär das regionalen Komitees der kommunistischen Partei in Kiew stand, also, alle Werte wurden an ihn weitergeleitet. Und was typisch war, wurden diese Werte tatsächlich wesentlich heruntergespielt, in der Tat. Was später natürlich eine negative Wirkung hatte. Worin bestand diese negative Wirkung? Als man Aufträge für die Durchführung der Dekontaminierung nach Deutschland, nach Japan vergab, wurden unterbewertete Werte vermittelt, die in der Tat hundertmal höher waren.
V.N.: Man hat niedrigere Werte angegeben …
M.B.: Und diese Arbeiten[2], die waren schon am Anfang verratzt. D.h., man musste sie durch die Soldatenarbeit, Soldatenschaufeln ersetzen. Das war, das war ein merkwürdiger, man kann so sagen, Blödsinn. Also, am Achtundzwanzigsten bekam ich, genauer gesagt, am Achtundzwanzigsten wurde ich beauftragt und am Neunundzwanzigsten übernahm ich den Oberbefehl über das Sonderbataillon 731. Machen Sie bitte aus …
V.N.: Moment mal …
<…>
V.N.; Wir setzen fort.
M.B.: Am Neunundzwanzigsten um 10 Uhr morgens übernahm ich den Oberbefehl über das selbständige Bataillon 731 für Sonderschutz, das beim Regiment für Zivilschutz der Stadt Kiew aufgestellt und am Neunundzwanzigsten bei Lelew zusammengezogen war … Das Dorf Lelew liegt 4,5 km vom AKW entfernt. Das heißt, dass schon damals bekannt war, dass es drei Gefährdungsbereiche gab: die Gefahrenzone Nr. 3 von 10 km, die Gefahrenzone Nr. 2 von 20 km und die Sperrzone Nr. 3 von 30 km. Die Strahlungswerte außerhalb der Gefahrenzone Nr. 1 betrugen ca. 0,4 Röntgen und innerhalb 40 Röntgen. In der Gefahrenzone Nr. 2 waren schon 40 Röntgen und bis zur Sperrzone Nr. 3 stiegen die Werte bis zu 400 Röntgen in einzelnen Orten. Denn die Verseuchung war lokal, war nur in bestimmten Herden. Also in diesem Bezirk führte ich das Kommando über das Bataillon 731 mit 353 Soldaten. Ich war ein hauptamtlicher Bataillonsführer, Berufsoffizier, und der Stabschef Serjosha Wolkow, Hauptmann, war auch Berufsoffizier, Chef des Stabes. Alle anderen waren einberufene Wehrpflichtige. Also, wenn man einen Vergleich zieht, war das Bataillon am Anfang so organisiert wie Bewährungsbataillone während des Krieges. Das heißt, man hatte keine Rechte, nur Pflichten. Dem Bataillon wurde der Ausnahmezustand erklärt, so. Und man musste gemäß dem Standrecht handeln. Die wichtigste Aufgabe war, Helikopter zu beladen, die das Gut in den Reaktor abwarfen, um den Reaktor von außen zu schließen. Im Reaktor zu der Zeit war…, nach der Explosion betrug der Auswurf in die Atmosphäre nach den Angaben ungefähr … nach den Angaben der Aufklärungseinheit und der Leitung ungefähr zwölf Millionen Curie pro Tag. Das bedeutet, wenn fünf Millionen Curie auf ein Hektar kommen, so ist das Leben dort nicht mehr möglich. Und diese … Und vielleicht kam dieser Staub, der sich jahrelang in diesem Reaktor angesammelt hatte, in die Atmosphäre und bedeckte Gebiete, die in der Windrichtung gelegen waren.
[…]
Na, da der Ausnahmezustand angekündigt wurde, musste auch ich mich als Kommandeur der Mannschaft gegenüber dementsprechend verhalten. Darum wurde die Aufgabe, Helikopter voll zu beladen, zur Aufgabe Nr. 1 und musste ohne Verzögerungen und ohne jegliche … erfüllt werden. Denn einfach unzulässig waren andere … Am schwersten war es selbstverständlich an den ersten zwei Tagen, am Neunundzwanzigsten und am Dreißigsten, als Leute ohne Schlaf in Kiew in Einheiten aufgestellt wurden. Diese Aufstellung war spezifisch…Man schnappte die Menschen direkt am Arbeitsplatz, auf Bahnhöfen, in Wohnheimen. Man händigte Verordnungen zur Mobilisation ein und sie wurden als Mobilisierte aufgenommen… Man brachte sie ins Regiment für Zivilschutz, ließ sie sich umziehen und in aller Eile und … ohne Ausbildung, man brachte sie ohne Sachen mit dem Wagen und …
V.N.: In die Zone…
M.B.: Und was bedeutet, in zwanzig Stunden ein Bataillon aufzustellen, wenn nach dem Mobilisierungsplan dafür zehn Tage vorgesehen sind, damit es einsatzfähig sein kann, so. Hier ist… (faltet ein Papier auseinander) auf dieser Karte… Hier ist der Bestand dieses Bataillons. Es besteht aus drei bis vier Kompanien: Medizinkompanie, Kompanie für chemische Behandlung, Notfall- und Rettungskompanie und…
V.N.: Kompanie für Dekontamination …
M.B.: Für Dekontamination… Das waren spezielle Einheiten, die eine spezielle Ausbildung brauchten… In dem Fall hat man die Leute einfach dafür gesammelt, um sie als Ladearbeiter einzusetzen. Warum man diesen Beschluss gefasst hat … Und als die Regierungskommission dem Leiter der Einsatzgruppe der Streitkräfte… genauer gesagt dem Leiter im Militärkreis Kiew Generalleutnant Iwanow anordnete, die Einheit für die Beladung der Helikopter vorzubereiten und auszubilden, erteilte er seinerseits dem Leiter … dem stellvertretenden Befehlshaber für Zivilschutz im Militärkreis Kiew Generalmajor Sujatin den Befehl. Und Generalmajor Sujatin standen lediglich drei Regimente zur Verfügung. Und diese Regimente bestanden nur zur Hälfte aus Berufsoffizieren: ein Regiment in Kiew, ein Regiment in Merefa und ein Regiment in Werchowzewo, so. In Merefa war das ein Lehrregiment. Das Regiment aus Kiew wurde alarmmäßig fast bis zu 80% in Region Tschernobyl geführt. In einem Trupp. Und die anderen Regimente befanden sich zu weit, bei Charkiw und … in Werchowzewo. So hat man beschlossen im Ausnahmezustand ein Bataillon aufzustellen, das nur im Kriegsstand aufzustellen ist. Und es wurde als Feldpoststelle 50936 bezeichnet. Das war die erste Frage. Die zweite war, warum dieses Bataillon erforderlich war… Weil die Einheiten für Zivilschutz, die im AKW waren, die es überhaupt in der Ukraine gab, nicht reagiert haben. Von dem AKW wurden sie am 27. April in verschiedene Orte der Ukraine ausgeführt, weil zu dieser Zeit die Evakuierung stattfand. Und sie mussten abgelöst werden. Am 27. und 28. April wurden die ersten Versuche unternommen, den Reaktor aus der Luft mit Wasser zu kühlen … Man löschte mit Wasser, man warf Schüttgut von Hubschraubern in den Reaktorblock ab. Und diese Hubschrauber wurden eben von Zivilisten beladen, so war das. Ein Trupp war aus Wyschhorod, dass weiß ich immer noch. Aber am 28. April, nachdem die erste chemische Aufklärung … auf dem Platz da gewesen war, sagten diese Menschen ab. Weil sie unter dem Schutz von Gewerkschaften dort bei solchen Strahlungswerten arbeiten durften. Deswegen wurde der Beschluss gefasst, dort Soldaten einzusetzen. Aber ein Soldat … nicht jeder Kommandeur lässt seine Soldaten im Stich und am besten ist es, andere zu lassen für sich die Kastanien aus dem Feuer holen, so sagt der Volksmund. Eben darum hat man dieses Bataillon 731 aufgestellt… Nach dem Prinzip, das zu der Kriegszeit üblich war, wie ich Ihnen bereits erzählt habe. Das ist die Tatsache dafür, dass nach … etwas später, schon nachdem wir die vor uns gestellte Aufgabe erfüllt, mit Anstand erfüllt und die Leute nach Hause geschickt hatten, wurde 1991 das Gesetz[3] über den Status verabschiedet. Also, als wir begannen uns zurechtzufinden, welchen Status doch unser Bataillon 731 hatte, stellten wir fest, dass es in keinen Dokumenten erwähnt wurde. Das Regiment für Zivilschutz, das den Befehl zur Aufstellung dieses Bataillons erlassen sollte, war das nicht, so. Die Einsatzgruppe, die Verordnungen zur Beladung von Hubschraubern erlassen sollte, erwähnte in ihren Papieren dieses Bataillon überhaupt nicht. So bleibt unklar, welchem Truppenteil dieses Bataillon angehörte: entweder der Sowjetischen Armee oder dem Zivilschutz, oder vielleicht noch einem anderen Truppenteil… Nirgendwo… Es war eine selbständige Einheit von unklarer Art. Und bis zum Jahr 2003 mussten wir hart kämpfen, um die Existenz dieses Bataillons irgendwie anerkennen zu lassen. Aber woher es kam, wie es entstand, bleibt immer noch nicht geklärt. Wer, laut welchen Dokumenten es aufstellen ließ … so kommt es manchmal vor …
V.N.: Wer hat denn diesen Befehl erlassen, ja…
M.B. Wer diesen Befehl erlassen hat… Das ist ganz einfach. Das System ließ das doch zu … Zum Beispiel, da kommt die Verordnung, eine Einheit solle aufgestellt werden, zu der und der Zeit kraft Anweisung des Ministeriums, des Generalstabs der Streitkräfte der UdSSR. Damals kam kein solcher Grundsatzbefehl. Es gab aber einen anderen, zur Aufstellung des Bataillons in Friedenszeiten, in Friedenszeiten. Dieser Grundsatzbefehl wurde am 17. Mai erteilt. Und bis zu diesem Zeitpunkt haben 353 Menschen aus meiner Einheit in dieser Gegend so viel abbekommen, dass heutzutage von ihnen nur etwa 89 am Leben geblieben sind. Es ist unklar, was den anderen passiert ist… Es stellte sich aber auch eine andere Frage, als wir zu klären versuchten, woher diese Leute kamen. Ich richtete Anfragen an Militärkommissariate. Ich schickte Namenlisten und schrieb, dass diese Soldaten aus ihrem Bataillon in meiner Einheit ihre militärische Dienstpflicht absolviert hatten. Darauf habe ich aber keine Bestätigung bekommen, nichts erhalten. Man schrieb uns Familiennamen, aber sie hatten mit diesen gar nichts zu tun… So stellt es sich heraus, dass diese Menschen nicht registriert wurden, also de jure existierte dieses Bataillon überhaupt nicht. De jure existierte auch kein Bataillonsführer, weil mein Name in keinem Befehl erwähnt wurde, ach. Die ganze … Gerettet uns hat nur, dass ich als Berufsoffizier wusste – ich habe doch mein ganzes Leben lang in Truppenteilen meinen Wehrdienst geleistet –, wie die Dokumente und das Berichtswesen erfasst werden sollten. Ich habe alle Dokumente so erfasst, wie es sich gehörte, also ich hatte doch den Befehl. Und dieser Befehl hat uns gerettet, sodass im Jahr 2003 wir letztendlich anerkannt wurden, so. Aber ob der Ausnahmezustand damals angekündet wurde oder nicht, das sollte doch auch dokumentiert sein. So musste ich nach Moskau zu … fahren, um mich mit Mykola Ryschkow[4] persönlich zu treffen … Das war der Chef des Ministerkabinetts…
V.N.: War das schon lange her? Mussten Sie schon lange her nach Moskau fahren?
M.B. So… das sage ich dir gleich … Hier treffen wir uns in seinem Büro. Kann man mich hier erkennen? Und als ich ihm die Frage stellte, ob für dieses Bataillon vielleicht der Ausnahmezustand angekündet wurde, sagte er: „Und gab es überhaupt einen Bedarf, eine Notwendigkeit dafür?“ Das Territorium hatte eine nicht so große Fläche, man hat es dekontaminiert, man fasste den Beschluss alles zu liquidieren. Wozu brauchte man einen Ausnahmezustand?
V.N.: Der wurde nicht angekündet.
M.B. Aber… die Militäreinheiten, die Soldaten haben 16 Stunden am Tag geschuftet. Können Sie sich das vorstellen… So groß war diese Notwendigkeit, dieser Bedarf, so. Was bedeutet, zum Beispiel, wenn ein Hubschrauber … so…wie einer aussieht, können Sie sich doch vorstellen… so… das ist aus der Zeitung „Krasnaja zvezda“, hier. Das war auf einem Ladeplatz… Das sind doch meine lieben Soldaten. Diese hier…Hier hängen sie eine Fracht an, die sogenannten „Puppen“[5], und hier sind sie auch. Ein Hubschrauber, der zweite – und von einer anderen Ladefläche auch so… und so jeder… und später wurde es noch anstrengender, alle drei Minuten musste die Fracht in die Luft gehoben werden, mit…
V.N.: Und hier werden diese “Puppen” vorbereitet, nicht wahr?
M.B. Ja, hier bereitet man diese „Puppen“ vor. Zwei Tonnen wog jede, nicht mehr, sonst konnten die Fallschirme die nicht festhalten. Und… Säcke mit Sand… ebenjene Säcke…
V.N.: Blei.
M.B.: Bleibarren… man hat noch Schießpulver zugegeben… na so waren sie. Und das sind die ersten… Diese Fotos sind doch von da…
V.N.: Haben Sie auch die Fotos im Original?
M.B.: Was?
V.N.: Haben Sie auch das Original oder woher haben Sie dieses Foto?
M.B. Jetzt weiß ich das nicht mehr…
V.N. Sie wissen das nicht mehr…
M.B. Aber dieses, dieses ist von mir, das ist mein Original, das ist… Hier ist doch auch Igor, sehen Sie da…
V.N. Ist das Igor?
M.B. Hier… Kann man ihn erkennen oder nicht?
V.N.: (lacht) Na…
M.B.: Man kann nicht erkennen…(lacht)
V.N.: Die Schirmmütze…(lacht)
M.B.: Ja… Also, die Sache ist die, dass… Diese Dinge wurden in einer Nacht in der Menge zwei Stück im Werk „Leninska kuznja“ zusammengebaut. Was hatte man vor… Man wollte in denen eine Folie kochen, eine Folie kochen und dann mit Eimern Feuerwehrfahrzeuge mit dieser Folie beschicken. Danach sollten diese Feuerwehrfahrzeugen aus Pumpen Gebäude ummanteln, damit die Radioaktivität drinnen blieb, nicht austrat… Du kannst dir vorstellen (lacht). So was ist ihnen eingefallen. Und diese [Anlagen] wurden geliefert, keiner wollte sie laufen lassen, aber man führte zwei Tage lang die Schulung durch, wie man das alles machen sollte (lacht). Weil das… richtiger Unsinn.
V.N.: Man glaubte, dass die Innovationen helfen konnten… Und von wann bis wann waren Sie dort?
M.B.: Vom 26.April bis zum 29.Mai.
V.N.: Oho! Über einen Monat…
M.B.: Über einen Monat…
V.N.: Und als Sie… Als man Sie nach Prypjat brachte und Sie über die Havarie informierte, können Sie sich noch erinnern, was Sie damals fühlten? War diese Gefahr Ihnen damals bewusst?
M.B.: Ich, ich persönlich wusste, ich verstand, was das bedeutete…
V.N.: Sie verstanden.
M.B.: Ich persönlich schon… Aber die Soldaten verstanden das nicht. Weil man das nicht sehen konnte, das hat doch nicht geschossen, man kann doch die Strahlung nicht sehen. Es war normal, nur … nur war es [zu heiß]. Aber die Radioaktivität stieg natürlich schnell. Und besonders meine Burschen im Pflichtdienst, als sie im Einsatz waren, waren sehr stark dadurch betroffen, sie waren als erste bestrahlt. Sehr große Probleme. Ich kenne zwar ihr weiteres Schicksal nicht, aber alle Familiennamen sind hier bei mir, ihre… Aber über ihr Schicksal weiß ich nichts. Bis zum Fünfzehnten führte ich dieses Bataillon 731, und danach löste mich Oberst Murazkij ab, mein Kollege aus dem Regiment für Zivilschutz. Aber ich blieb doch im Einsatz,um ihn auf den neusten Stand der Ereignisse zu bringen, bis zum Neunundzwanzigsten. Und außerdem war ich als Leiter der chemischen Aufklärung und Strahlungsaufklärung, als Fachmann in dieser Frage, im Einsatz, ich wurde noch eingesetzt…
V.N.: Im Stab?
M.B. Im Juni war ich dann noch neun Tage im Einsatz… Wir haben das die Zone festgelegt… Diese Kontaminationszonen und so…
V.N. Das heißt also, dass Sie im Juni noch einmal in die Zone mussten…
M.B.: Ja, ich musste noch einmal in die Zone. Und danach wurde ich schon pensioniert.
V.N.: Und als Sie in Prypjat ankamen, welche Eindrücke hatten Sie von dieser Stadt, also damals?
M.B.: Damals gingen die Menschen spazieren, ganz ruhig, hier und da rasten diese Fahrzeuge, Militärangehörige fuhren mit Mannschaftstransportwagen. Meine Fahrzeuge wuschen den Asphalt, ich meine die Entgiftungsfahrzeuge. Und die Menschen feierten Hochzeiten. So war das, keine Besorgnis. Aber man empfand dort keine Besorgnis, weil man nicht wusste, was das alles war, man fühlte keinen Druck. Jedoch als die staatliche Kommission am 27. April mit Boris Schtscherbina[6] an der Spitze kam und als er verstand, was da alles geschah, so… So kam sofort der Befehl an Ryschkow, dass noch mehr Militäreinheiten hierher geschickt werden sollten, sonst hätte die Sache schief gehen können. Deswegen trafen Iliasov und sein Trupp die Entscheidung, von Hubschraubern abzuwerfen[7], weil auf einem anderen Weg das alles unmöglich gewesen wäre. Aber um von oben abzuwerfen, musste man jemanden haben, der diese Hubschrauber belud. Na, und die ersten waren die aus dem Zivilschutz, aber sie haben auch ihre Gewerkschaften. Als man die Strahlungswerte dort gemessen hatte und dann diese Werte noch höher geworden sind… haben sie darauf verzichtet. Das heißt, dann mussten Soldaten kommen. Und die Soldaten mussten so sein, dass… sie… na, keiner hatte gedacht, dass sie überhaupt von dorthin zurückkehren konnten. Dass man sie dann einfach „abschreiben“ konnte. Und wie konnte man sie abschreiben? Wenn man keine Unterlagen hatte, so hatte man auch nichts abzuschreiben. So wurde eben geplant. Uns …
V.N.: Und welchen Schutz… etwas… Nachdem also das Bataillon aufgestellt worden war und Sie den Oberbefehl über das Bataillon übernommen hatten, so… Sie mit…
M.B.: Ja, ich übernahm das Kommando. Das war eigentlich kein richtiges Bataillon, das war sozusagen ein „Partisanentrupp“. Einige hatten Soldatenmäntel an, die anderen Soldatenmützen, jemand noch eine Schirmmütze, jemand hatte Soldatenstiefel und der andere Soldatenhosen, jemand hatte seine Zivilkleidung, seine Zivilschuhe an. Denn die Versorgung bei der Aufstellung kam von Lagern für die laufende Versorgung. Und die laufende Versorgung der Streitkräfte ist für Soldaten im Alter von 18 bis 20 Jahren. Sie sind doch fast alle gleich. Und da wurden solche und andere, von hohem Wuchs und von mittlerem Wuchs, und auch dicke eingezogen. Es gab keine Uniform zum Anziehen. Das war… Das war eine richtige Schande zu der… Und dazu musste man auch den Dienst organisieren. Die Waffe wurde zwar nicht gestattet, aber beim Einsatz hätte man mindestens einen Kampfdolch mithaben müssen. So mussten wir Schlagstöcke ausschneiden und mit den Schlagstöcken…
V.N.: Hatten Sie auch Dienstschichten?
M.B.: Aber gewiss! Alles war, wie es sich gehört.
V.N. Und wo hat man Sie untergebracht… Also, als Sie in dieser Zone ankamen, wo wurden Sie untergebracht, wo haben Sie während des Dienstes in der Zone in Tschernobyl gewohnt?
M.B.: Also, das war das Gebiet vor der Zone. Bis zum Fünften, solange die Hubschrauber beladen werden mussten und bis die Zone gesperrt wurde, wohnten wir in Lelew, in Zelten, in gewöhnlichen Zelten. Das heißt, dass die Burschen sich zum ersten Mal erst am Dritten, am 3.Mai, waschen konnten. Seit dem 29.April. Stellen Sie sich vor, wie viel Staub sie abbekommen haben, der war auf Soldatenmänteln, auf ihrer Kleidung. Sie selbst waren wie kleine Reaktoren und strahlten selbst… Wenn man das Gerät[8] an die Schultern, an den Mantel näher brachte, begann es zu pfeifen, so. Unter solchen Bedingungen mussten sie…
V.N.: Und stellten Sie der Leitung die Fragen über die erforderliche Versorgung mit an Wasser, Kleidung, Uniform?
M.B.: Diese Fragen… man fragte sich gar nicht, ob man solche Fragen stellen sollte. Damals musste man den Auftrag erfüllen, wenn ein Ausnahmezustand angekündigt war. Stellen Sie sich den Ausnahmezustand vor. Es war schon später, danach… Und warum hast du doch, zum Beispiel, Iwan Stepanowitsch… Warum hast du doch diese Frage nicht gestellt? Und ich antworte: „Iwan Stepanowitsch, wenn Sie doch damals an meiner Stelle in… gewesen wären.“
V.N.: Unter denen Verhältnissen…
M.B.: Unter meinen Verhältnissen, als über mir eine Menge von Vorgesetzten war, und dabei die eigenen… Jeder hatte Angst um sich selbst, nicht um andere. Darum habe ich damals keine solchen Fragen gestellt. Ich habe den Auftrag bekommen, rechtzeitig Hubschrauber zu beladen. Und Antoschkin[9], der damals diese Hubschrauber befehligte, Held der Sowjetunion, er hat diesen Ehrentitel danach bekommen, hat… Etwas ist schief gelaufen… Er hat… Sie haben das nicht…
V.N.: Nicht organisiert…
M.B.: Nicht gewährleistet, das haben sie nicht gewährleistet. Und so ist es, unter vier feindlichen Feuern. So musste ich sogar einen Mikroinfarkt, einen kleinen Infarkt erleiden.
V.N.: Mannomann! Aber das war doch schon nach diesen Ereignissen, nicht wahr?
M.B.: Nein, direkt dort, eben in diesem…
V.M.: Direkt in Tschernobyl?
M.B.: Ja, genau. Direkt in Tschernobyl.
V.B.: Und war dort überhaupt die medizinische Versorgung vorgesehen? Hier steht… „Medizinkompanie“…
M.B.: Ja, eine Medizinkompanie gab es. Aber das war nur die Truppe. Und schon seit dem Fünften, genauer gesagt seit dem Vierten waren sie alle im Einsatz zur Beladung der Hubschrauber. Weil am Vierten der Befehl kam, dass eine Kompanie, so etwa 70 Personen, nach Wiltscha geschickt werden musste… Dort sind Wagen mit Schrot angekommen. So musste man diese Kompanie dorthin schicken. Und hier musste man die Mannschaften, die Hubschrauber beluden, ersetzen, weil sie eben für Ladearbeiten waren. Also, alle bis auf den letzten waren im Einsatz. Und von dieser Einheit blieb nur die Materialeinheit, die Brei kochen musste…
V.N.: Wurde da auch gekocht?
M.B.: Na klar, wie denn anders?
V.N.: Hat man das Essen nicht geliefert?
M.B.: Woher denn? Wir hatten doch unsere eigene Küche, im Bataillon war eine eigene Küche, sie haben doch… Wir hatten doch eine Materialtruppe, die das Frühstück, das Abendbrot, das Mittagessen gekocht… zum Einsatzort gebracht hat. Und am Ort, bei dieser Strahlung mussten die Soldaten auch essen. Das Wasser hat man nicht aus Wasserbecken, sondern aus Brunnen geholt und alle Brunnen waren so verseucht… Das war… So wie im Krieg.
V.N.: Und waren Sie sich damals, so, dieser Gefahr bewusst oder… diese… Oder erst danach… nachdem Sie aus Tschernobyl zurückgekehrt waren, verstanden Sie, inwiefern das alles gefährlich war?
M.B.: Was mich angeht, so habe ich als Fachmann gewusst, dass es damals gefährlich war, aber die Soldaten… Die Soldaten haben darüber erfahren, erst als sie zurückkehrten… (telefoniert mit jemandem). So, ich bin ganz Ohr.
<…>
M.B.: Es gab einen Einbruch von Fachleuten, die den Einfluss der Strahlung erforschten, von Medizinern. So dass die Soldaten, die ins Spital kamen, von ihnen sofort „überfallen“ wurden, meistens von Medizinern, die damals das erforscht haben. Und dann kamen die ersten Angaben zur Strahlung, alles… welche Strahlungsstufen gibt es und so weiter. Aber das alles… wurde geheim gehalten und wir… der Soldat durfte das auf keinen Fall erfahren.
V.N.: Und Sie wurden auch benachrichtigt, nein?
M.B.: Überhaupt nicht… Man durfte das nicht, das war die Frage, die unter Androhung der Todesstrafe verboten war...
V.N.: Und wurden Sie zu der Zeit, als Sie damals dort waren, von Ärzten untersucht oder nicht?
M.B.: (seufzt) Dafür hatte man damals keine Zeit, gar keine Zeit. Stellen Sie sich doch vor, um 5 Uhr 30 mussten die Menschen schon am Platz sein und so erst gegen zehn oder elf Uhr kamen sie zurück… todmüde. Manchmal verzichteten sie sogar auf das Abendessen. Einige fielen einfach hin und schliefen entkräftet sofort ein… Das bedeutete auch Schwären, rote Augen, groß und krankhaft hervortretend wie bei Hasen, so, vielleicht haben Sie auch so was gesehen. Ungefähr am vierten Tag bekamen die Ärzte Vaseline und man begann damit die Wunden zu behandeln. Die Hitze war fürchterlich. Dieser radioaktive Staub war einfach schrecklich, so. Können Sie sich vorstellen: Ein Hubschrauber, wenn der in der Höhe 1,5 m über dem Boden hängt, damit die Soldaten diese, diese „Puppe“ anhängen, wirbelt sogar so große Steine wie meine Faust auf und die drehen sich in der Luft so… Das ist doch… Bei diesem Staub wurde gearbeitet, so. Es gab drei Plätze, auf jedem Platz drei Punkte, wo diese „Puppen“ vorbereitet wurden. Und es gab Hubschrauber, die pausenlos zu jedem Platz kamen. Der Lärm dort war einfach schrecklich… und der Staub… dieser radioaktive Staub machte uns die Hölle heiß.
V.N.: Und darüber hinaus, also außer der Beladung der Hubschrauber, wurde die Technik, wurde Blei abgeladen, so, in Wiltscha. Man schickte [die Soldaten] wohl auch zum AKW, dort Arbeiten zu verrichten…
M.B.: Na, das war aber schon später, nachdem gelöscht worden war… Die Hauptaufgabe war den Reaktor zu versiegeln, damit keine Ausstöße mehr daraus in die Atmosphäre kamen. Das war die Hauptaufgabe des Bataillons. Und danach kamen die geplanten Arbeiten zur Beseitigung der Folgen. Wir aber haben eben die Havarie behoben, weil die am 26. April begann und am 6.Mai behoben wurde, als der Reaktor so versiegelt wurde, dass er keinen radioaktiven Staub mehr in die Atmosphäre auswarf, so. Und dann kam noch ein Ärger, als wir versiegelt haben… na, mit diesem Schüttgut, stieg drinnen die Temperatur. Er [der Reaktor] konnten nicht mehr „atmen“. Und die Temperatur stieg bis zu 2400°. Und bei 2773° ist schon die kritische Temperatur, bei der zu einer Wasserstoffexplosion kommt, zu einer Knallgasexplosion. Und so nach… nach Folgerungen von Experten Aligassov[10], Akademiemitglied Aligassov, der behauptete, wenn die Temperatur diesen Grenzwert erreicht hätte und somit eine Kernexplosion ausgelöst worden wäre, so wäre dann im anliegenden Bereich 500 km alles augenblicklich vernichtet worden. Das heißt von Tschernobyl bis Charkiw, im Bereich 500 km. Und dann kam die Aufgabe, die Temperatur unverzüglich zu senken… Und wie konnte man die Temperatur senken? Der Reaktor ist doch auf einem Barboteurbehälter, mit Wasser also… und jeden Tag brannten 1,5 m der Betonplatte nach unten durch.
V.N.: Nach unten…
M.B.: Wenn das Wasser erreicht worden wäre, hätte das dann eine Kernexplosion verursacht. Damals war die Ummantelung für die Abkühlung des Reaktors mit Wasser gefüllt. So musste man das Wasser wegschaffen und flüssigen Stickstoff hineinpumpen, um die Temperatur zu senken. Und diese Fragen mussten dringend gelöst werden. Und da… Tina sagte, man lieferte solche Informationen, dass das drei Männer waren, die Schleusen geöffnet hatten. Ja, einerseits war es, dass die Mitarbeiter im AKW, dass sie die Schleusen öffnen mussten, um das Wasser aus dem Barboteurbehälter auszulassen und da den Platz frei zu machen. Und wofür musste der Platz frei gemacht werden, damit…, damit diese… diese Bergarbeiter einen Tunnel bauten, Leitungen dorthin verlegten…
V.N.: Schläuche…aha…
M.B.: … Schläuche, und dorthin wurde flüssiger Beton durch Pumpen gefördert, um den Boden dicker zu machen, damit der nicht durchbrannte. Das war die Aufgabe, so. Und andererseits musste das Wasser aus dem Kühlmantel ausgepumpt werden, das sehr heiß war, so etwa 80° heiß. Dafür waren meine Burschen zuständig, darunter auch Mykola Bondar, so, unter Leitung von Petro Petrowytsch Zborowskij, Kompanieführer, der selbst Feuerwehrmann war. So haben wir die Rohrleitung verlegt, das waren übrigens die Rohre, die wir aus dem Regiment für Zivilschutz gebracht haben, diese Rohrleitung war dort. Und wir haben dieses Wasser ausgepumpt und durch Pumpen… gefördert… Aber nicht diese Maßnahmen haben gerettet. Gerettet hat, dass als die Temperatur die Wände des Reaktors zerstörte, so fiel diese Masse mit dem Gewicht über 5 000 t ins Innere, sie rollte herunter. Und sie begann zu schmelzen. Da sie zu schmelzen begann, nahm sie die Temperatur auf. D.h., die Temperatur begann zu sinken. Gleichzeitig… entstand radioaktives Magma, das alle Räume überflutete, die unter dem Reaktor gelegen waren. Und da kam schon dann die Rettung, als die Temperatur zu sinken begann, als die Temperatur kontrollierbar wurde. Dann atmeten alle erleichtert auf... und dann begann man Fragen zu stellen…
V.N.: Mit Erleichterung…
M.B.: …begann man zu entscheiden, wie die Folgen beseitigt werden sollten. Sonst konnte es doch bis… explodieren, Gott bewahre! Können Sie sich vorstellen, was dann gewesen wäre…
V.N.: Und wie überhaupt war Ihre Arbeit? Wurden Sie dann jeden Tag irgendwohin gerufen, zum Einsatz, oder wurden Ihnen Aufträge erteilt…
M.B.: Uff…
V.N.: Na, wie war das alles organisiert?
M.B.: Sehr… sehr klar war das organisiert. Das heißt, jeden Abend, so gegen 18 Uhr versammelte uns der Leiter der Regierungskommission. Bald war das Schtscherbina, bald Gusjew, es kam darauf an… Das dauerte zwei Stunden, wir wurden dort „aufgepumpt“…
V.N.: Und wo, wo wurden Sie versammelt?
M.B.: So, in diesem… zuerst in Prypjat und später schon in Tschernobyl, so. Da wo sie stationiert waren. Dann zu… zu diesen, na, zum Beispiel, was mich angeht, so fuhr ich zu… und hörte dort wie… ich war auf Umgehungsstraßen im Einsatz… weil Generale dort stationiert waren, für sich selbst… und ich musste da anwesend sein. Dann versammelte der Leiter der Einsatztruppen der Streitkräfte Iwanow uns nach dieser Besprechung, so gegen acht oder kurz nach acht. Alle wurden versammelt, dann gingen alle zu ihren Einheiten… Ich gehörte auch zu ihnen… Danach wurde dasselbe wiederholt, die Aufgabe wurde gestellt, die man eben erteilt bekam… Dann war Sujatin dran, der Leiter für Zivilschutz. Ich musste auch zu ihm kommen, das war schon gegen 23 Uhr und dauerte etwa bis Mitternacht. und meine Burschen, Kommandeure, warteten doch auf mich im Camp. Die Soldaten schliefen und ihre Führer warteten. Ich kam so gegen eins in der Nacht ins Bataillon. Ich fragte, wie es ging, wie es stand… ob sie für den Einsatz morgen bereit oder nicht bereit waren. Ich wusste, dass am nächsten Tag dasselbe sein sollte, so. Und das dauerte ungefähr bis drei Uhr und dann konnte ich so bis vier – fünf Uhr etwas dösen, im Sitzen (lacht) oder im Stehen… Na, man musste doch mit Verpflegung etwas entscheiden, man musste doch mit Kleidung etwas entscheiden, um die irgendwie zu wechseln, so… Es gab viele Fragen. Und so war es jeden Tag, weil… Nicht leicht ging es mir damals.
V.N.: Sie musste auch Berichte erstatten, stimmt das?
M.B.: Was? Wie?
V.N.: Sie mussten doch jeden Tag Berichte erstatten, nicht wahr?
M.B.: Na, klar, wie sonst denn? Berichte jeden Tag… Dabei waren das so blöde Berichte, dass… Sie hatten nichts zu tun mit…
V.N.: Das heißt…
M.B.: Das heißt… Zum Beispiel, Berichte über politische Parteiarbeit, welche Arbeit durchgeführt wurde. Aber welche Arbeit konnte doch durchgeführt werden, wenn die Menschen an den Plätzen im Einsatz waren. Berichte über kulturelle Massenarbeit. Na, was konnte das sein, ob es Filmvorführungen gab oder nicht gab, weil man keine Zeit dafür hatte (lacht).
V.N.: Nirgends…
M.B.: Nirgends… Solche Fragen wurden damals gestellt… Das war doch vor 30 Jahren, ich kann doch jetzt nicht mehr alles wissen…
V.N.: Na, so… Und welche Beziehungen waren im, na, im Bataillon im Großen und Ganzen, gab es Konflikte oder vielleicht im Gegenteil…
M.B.: Nein, es gab keine Konflikte. Die Leute verstanden ihre Aufgabe. Das… das rettete… Gerettet hat, dass das keine einfachen Soldaten waren, sondern Männer, die ihren Wehrdienst bereits abgeleistet hatten und wussten, was das Zivilleben bedeutete. Jeder hatte eine Familie, seine Kinder. Und sie konnten sich vorstellen, dass wenn sie, Gott behüte, einen Bock geschossen hätten, hätte das schlechte Folgen für ihre Familien gehabt. Deswegen gab es keinen Streit, keine Beschwerden, obwohl es auch schwer war. Man arbeitete sozusagen auf Leben und Tod.
V.N.: Und als Sie damals so gearbeitet haben, haben Sie dort auch Frauen gesehen, gab es Arbeiten für Frauen, Arbeiten, die von Frauen gemacht wurden?
M.B.: In Kantinen meistens.
V.N.: In Kantinen…
M.B.: Meistens in Kantinen.
V.N.: War das in Prypjat und in Tschernobyl?
M.B.: In Prypjat und in Tschernobyl… Aber es ging uns nichts an. Das… Diese Menschen, die dorthin abkommandiert wurden, bekamen natürlich die Verpflegung kostenlos. Das waren die von dem AKW… Dienst- und Wartungspersonal, diese… Militärhandelsorganisationen, damals hat man dort viel verkauft, na, es gab doch viele… Aber es ging uns gar nichts an. Zu uns… Erstens wollte zu uns keiner so weit nach Lelew kommen.
V.N.: Aber es war doch ein richtiger Ausnahmezustand. Und konnten die Soldaten irgendwie nach Kiew fahren? Gab es Fahnenflucht, oder solche… Abwesenheiten?
M.B.: Es gab… Es gab einen Fall, keine Fahnenflucht, ein Vorfall. Ein Mann hat sich mit Wodka besauft. So musste der Leiter dieser Einheit bestellt werden, und das war… Eben Petro Petrowytsch Mozgowyj, ich kannte ihn seit… wir kannten uns von… Von dem Kraftfahrzeugpark der Ukrainischen Eisenbahn… So dieser… So musste man ihn damals bestellen, den Kerl einhändigen und… er brachte einen anderen mit, so war der Fall, ja…
V.N.: Hat er sich, hat er sich wirklich so sehr betrunken, ja…?
M.B.: Na, er hat sich schlecht benommen, so wurde er für drei Tage bestraft und gehörte in… Das war aber nur einmal. Und einmal ist zu uns zum Einsatz noch ein Soldat – 57 Jahre alt – mit dem Feuerwehrwagen gekommen… So habe ich beschlossen, ihn sich in die neue Uniform umziehen zu lassen und zu seiner Oma zurück zu schicken (lacht). Ich sagte ihm: „Hier können wir auch ohne dich auskommen“ (lacht), ja… Über sein weiteres Schicksal weiß ich nichts, aber damals ist er kurz und gut nach Hause gefahren.
V.N.: So mussten Sie… so, ihn nach Hause abkommandieren…
M.B.: Na, ich war doch sein Vorgesetzter… was blieb denn doch übrig. Die Verantwortung als Vorgesetzter… Ich hatte doch gewisse Rechte auf… bei dem Ausnahmezustand wirklich bedeutende [Rechte]. Manchmal musste ich hart sein, aber ohne das war es damals unmöglich, wenn die Soldaten 16 Stunden rackern mussten, musste man doch sie irgendwie ermutigen, begeistern… Da stellten sich verschiedene Fragen.
V.N.: Na, der Ausnahmezustand ist eben so, tatsächlich…
M.B.: Ja, der Ausnahmezustand, na ja, ich musste gar nicht meine Befugnisse überschreiten oder noch etwas, lediglich manchmal viel brüllen… Alles wurde genau erfüllt… widerspruchslos.
V.N.: Und Ihre Familienangehörigen, wussten sie, wohin Sie abkommandiert wurden?
M.B.: Na, fragen Sie sie doch selbst… (lacht). Sie haben das gewusst… gewusst…
V.N.: Gewusst… Und was meinten sie dazu?
M.B.: Und was konnten sie und die Ehefrau eines Offiziers dazu meinen? Man lebte doch das ganze Leben bei dieser Spannung, beim… Darum… Sie waren ziemlich bedächtig und ruhig… Aber was sie in ihren Seelen hatten, weiß ich nicht, aber… das ist normal.
V.N.: Und durften Sie Briefe schreiben oder nach Hause anrufen?
M.B.: Von dort aus nicht, nein, wir konnten nicht, weil jegliche Verbindung[11] verboten war, es gab gar keine Verbindung… Der Sicherheitsdienst, er hat so gut gewirkt, dass diese Region absolut gesperrt war, so. Keine Kommunikation, nur noch die Fahrzeuge, wenn sie kamen, so erzählte man, was… In das Regiment durfte damals ein Fahrzeug fahren, damals fuhren besonders oft Ärzte, um Medikamente zu holen. Weil wir die Versorgung doch vom Regiment bekommen haben, sodass nur wenn eine Dienstreise war… Dort wusste man Bescheid…
V.N.: Und hat Ihr Bataillon auch bei der Evakuierung der Bevölkerung mitgeholfen?
M.B.: Ja… schon danach, nachdem wir die Hauptaufgaben erfüllt hatten, mussten wir verschiedene Arbeiten verrichten… Wir haben ausgeführt… Wir haben auf [frei umher laufende] Hunde geschossen, weil es zu viele gab… Menschen evakuiert… einige Militäreinheiten… wir hatten Streifendienst, so… haben mit Schaufeln die Erde gegraben, sie dekontaminiert… Es war zum Lachen und zum Weinen zugleich…
V.N.: Und wohin gehörte diese Erde dann?
M.B.: Wir haben einfach umgegraben wie einen Schrebergarten.
V.N.: Aha…
M.B.: Es war zum Lachen und zum Weinen zugleich… Irgendwo gräbt man auf einem Bauernhof und da ist gleichzeitig noch einer, der mit dem… nach Minen sucht. „Gefunden…“, und da sieht man, wie man… Es wurde Vodka vergraben, im Dorf… Auf dem Lande hat man Schnaps für eine Bestattung, eine Hochzeit gebrannt und in der Erde vergraben… (lacht). Es war ein solcher Fall, die Kerle sind nicht ausgegangen, aber einige waren betrunken…
V.N.: (lacht)
M.B.: Aber woher, woher… Erst später haben sie eingestanden, dass jeder in seiner Feldflasche Vodka gehabt hat…
V.N.: O, sie haben ihn doch gefunden, auf Bauernhöfen… (lacht)
M.B.: So, auf Bauernhöfen… (lacht). Und auf einmal liefen dorthin diese… So war es auch. Aber das war schon, nachdem wir unsere Hauptaufgabe erfüllt hatten… Danach kamen schon diese Arbeiten, sie waren einfach… Ich kann nicht behaupten, dass sie wichtig waren, aber man wollte so die Menschen beschäftigen. Gerade dieses Bataillon, weil die Auflösung… Es gab doch noch keine Ablösung, und ohne… Man durfte es nicht auflösen, weil alles doch passieren konnte, so… und solche Arbeitskräfte, die gar nicht erfasst wurden, man konnte die doch überall schicken und… dafür keine Verantwortung tragen, das… war eine wichtige Maßnahme. So musste das Bataillon…
V.N.: Und als Sie von Tschernobyl zurückkehrten, kamen Sie nach Kiew, nicht wahr?
M.B.: Ja.
V.N.: Haben sich Ihre Kollegen, Ihre Nachbarn Ihnen gegenüber irgendwie besonders verhalten, weil Sie dort gewesen waren…
M.B.: Überhaupt nicht, ganz gewöhnlich… Weil fast alle aus dem Regiment dort gewesen waren. Wenn zum Beispiel auf Arbeit… dann schon, aber dort wo ich gewohnt habe, waren doch überwiegend diese Militärpersonen…
V.N.: Alle Militärpersonen…
M.B.: Alle… so war das. Und wenn du auf der Straße geht, ist dir doch nicht ins Gesicht geschrieben, dass du in Tschernobyl warst, dass du… (lacht).
V.N.: Na ja…
M.B.: Darum gab es mit dieser Frage gar keine Sorgen…
V.N.: Und gab es solche Situationen, die sich besonders stark ins Gedächtnis eingeprägt haben, so aus… aus denen Zeiten?
M.B.: Welche denn?
V.N.: Na, so… etwas, was Sie besonders tief beeindruckt hat, etwas, was im Gedächtnis geblieben ist.
M.B.: Na, zum Beispiel, vor allem im Zivilschutz gibt es immer einen Plan zur Evakuierung der Bevölkerung und Versorgung der Bevölkerung. Und als das alles havariert hatte, gab es auf Lagern sehr viel persönliche Schutzausrüstung für Bewohner. Es waren doch nur in Prypjat 50 000 Bewohner, und dann… Aber keiner hat diesen Schutz bekommen. Und man musste diese Schutzausrüstung doch vom Lager abschreiben. Und man hat sie einfach zu dem Stadtrat gebracht, zu diesem Gebäude. So waren dann diese fünfstöckigen Gebäude voll von persönlicher Schutzausrüstung… diese allgemeine Schutzausrüstung… So viel davon ungefähr wurde direkt hier abgeladen. Für wen? Na, es stellte sich heraus, dass… Ich war auch dabei, weil ich zu wenig Vorräte hatte, so zu wenig von der Schutzausrüstung, so schickte ich auch meinen Wagen mit meinem Kommandeur dorthin… So hat er uns ein paar Wagen voll davon gebracht.
V.N.: Aus Prypjat oder…?
M.B.: Aus Prypjat in unser Camp, so dass… Dann hatten wir genug Schutzausrüstung.
V.N.: Und was für Schutzausrüstung war das?
M.B.: Schutzanzüge, Schutzstiefel, Handschuhe, Atemschutz… Es war… So was hatte ich damals ausgefressen. Aber ich hoffe, dass Gott mir das vergibt, vielleicht… und dass… na, aber wohin diese Schutzausrüstung später verschwand, blieb unklar, denn nach drei Tagen war alles weg… Und am Siebenundzwanzigsten waren doch alle Menschen evakuiert… So glaube ich nicht, dass diese Schutzausrüstung mit den Menschen zusammen evakuiert wurde…
V.N.: Ich glaube nicht…
M.B.: Ich glaube auch nicht…
V.N.: Und sagen Sie bitte, danach… So, Sie waren dort noch einmal im Juni. Und dann sind Sie noch irgendwann nach Tschernobyl zum AKW gefahren?
M.B.: Ein paar Male bin ich gefahren und… in… schon danach?
V.N.: Ja, ja…
M.B.: In der Zusammensetzung der Delegation aus Deutschland. Ich habe zwei Delegationen dort begleitet… Ich nahm an… teil… Ich habe einen Kameraden, mit dem wir zusammen nach Deutschland reisten… Naumov ist sein Name, er selbst war Korrespondent bei der Miliz … Er konnte alles gut organisieren. So hat er mich mitgenommen, um viel Material zu haben. Zu seinen Aufgaben gehörte damals nur der Ordnungsschutz und nichts mehr. Und ich war dort doch persönlich, war in all diesen Seitengassen, wo ich meinen Dienst ableisten musste, ja. So war ich auch dabei, habe erzählt… Nach Deutschland sind wir auch gereist… so etwa für zwei Wochen… Da habe ich viel berichtet, hier sind alle Fotos zusammen…
V.N.: Aha… Also, die Ausstellung… so… Und als Sie nach Tschernobyl, zum Kraftwerk kamen, zu den Orten, wo Sie damals gearbeitet hatten, was fühlten Sie dann, schon nach einigen…?
M.B.: Es war sehr peinlich… Na, stellen Sie sich vor, alles ist zugewachsen und verwildert, alles liegt herum, zerstört, ausgeplündert, na… wie nach einer Verheerung… Fensterrahmen sind ausgerissen, Türen zerstört, alles liegt herum, überall Müllhaufen, alles verwildert. Also, die Umgebung war sehr unangenehm…
V.N.: Und nun werden in den letzten Jahren Führungen nach Tschernobyl, nach Prypjat organisiert. Was glauben Sie, ob es sich lohnt, solche Führungen durchzuführen, ob Jugendliche das besichtigen sollten?
M.B.: Natürlich lohnt es sich. Die Leute müssen sehen, was danach… was mit unserer Bevölkerung passiert, wie das wahrgenommen wird, wie man zum Beispiel versucht, etwas nur für sich, für… zu erwischen, um vielleicht zu verkaufen, insbesondere… Je mehr Menschen dorthin kommen, das sehen, desto besser beeinflusst das ihren Charakter… Und heutzutage gibt es dort nichts Gefährliches. Also, man kann zum Beispiel… Man kann Angst haben… aber man soll keinen Schaden verursachen… Man kann fahren, besichtigen und ab nach Hause, so.
V.N.: Und die Veranstaltungen, die heutzutage auf der nationalen, auf der lokalen Ebene durchgeführt werden, um das Andenken an die Tragödie in Tschernobyl zu verewigen, so, was glauben Sie, sind sie ausreichend oder… würden Sie etwas anderes machen?
M.B.: In Bezug darauf, was damals hätte passieren können, sind sie natürlich nicht ausreichend, die Menschen beginnen zu vergessen, dass es solch eine Gefahr bestanden hat, so. Und dann vergisst man das auch darum, weil es jetzt im Süden ein Problem gibt… mit e… eben das kann etwas mildern. Hier gibt es wohl alles, aber… aber die Menschen, da kommen Menschen ohne Arme, ohne Beine, Verwundete. Und was hier… Hier spürt man alles erst in der Perspektive, sofort kann man nichts sehen. Dort wird doch nicht geschossen, dort explodieren doch keine Geschosse, nichts… Der Mensch spürt diese… Strahlung nicht, sie befällt unauffällig. Der eine hat zum Beispiel eine kleine Strahlungsdosis bekommen und freut sich darüber. Aber da gibt es nichts, um sich zu freuen, weil eine kleine Dosis noch schlimmer wirkt. Denn dabei werden rote Blutkörperchen nicht getötet sondern nur verletzt. Und das verletzte Blutkörperchen beginnt andere an sich zu ziehen… Und wer eine größere Dosis bekommen hat, der hat zum Beispiel weniger verletzte Blutkörperchen, er hat viel mehr solche, die zerstört sind, und der Körper ist im Stande sich selbst zu reinigen. Deswegen sind meine Burschen, die eine kleine Dosis bekommen haben… Da sind viele, die…
V.N.: Die verstorben sind.
M.B.: Die sind nicht mehr am Leben. Zum Beispiel, Kolja hat eine große Strahlungsdosis bekommen, weil er beim Abpumpen des Wassers dort dabei war, und das war äußerst… Und er, seine Soldaten haben alle 33 Röntgen abbekommen und die anderen je 25 oder 24… so… Obwohl er mit der Gesundheit Probleme hat, lebt er doch noch… Aber die, die irgendwo dort waren, sie haben… eine kleine Dosis abbekommen… Die Krankheit entwickelte sich noch schneller. Und bei mir begann die erst nach 30 Jahren so… Aktiv…
V.N.: Und was meinen Sie, es gibt viele Versionen, warum dieser GAU passiert ist. Und was meinen sie, warum?
M.B.: Ich… Wegen der übermäßigen Freizügigkeit und Schlamperei des Führungspersonals… Und da gibt es keine weiteren… Wer hat sie gezwungen diesen Versuch durchzuführen? Niemand hat sie dazu gezwungen, alle wollten zum Parteitag etwas Gutes tun. Man wollte das auch im Kraftwerk Leningrad durchführen, aber man hat damit rechtzeitig aufgehört und es hat nicht havariert. Bei uns hat es havariert, so… es ist passiert… dass… als man beim Versuch mit dem Herausfahren [von Steuerstäben] begann… Und worin bestand eigentlich dieser Versuch[?] Nach der Abschaltung des Reaktors sollten die Turbinen noch eine gewisse Zeit lang nachlaufen und durch den Nachlauf der Turbine sollte Strom produziert werden. Und [es sollte geprüft werden] ob und inwieweit diese Energie ausreicht, zum Beispiel, andere Systeme zu versorgen. Und als sie damit begonnen haben, außer Betrieb… den Reaktor außer Betrieb zu setzen, kam da der Befehl, hört damit auf, weil bei uns das System nicht in Ordnung ist. Aber das Kühlsystem, das den Antrieb… das Notkühlsystem und der Havarieschutz waren bereits im manuellen Betrieb. Und das Kraftwerk war noch elf Stunden lang ohne eingeschaltete Systeme im Betrieb. Die Temperaturverhältnisse wurden also geändert und zu… zu einer bestimmten Zeit gerieten die Temperaturen außer Kontrolle. Und diese Reaktion war nicht mehr kontrollierbar. Und als der Reaktor immer schneller lief und daher nicht mehr regelbar wurde, hat er… schneller als in fünf Sekunden konnte die maximale Leistung erreicht werden. Und der Schichtführer, der in der Halle A 3-3 war, war etwas zu spät und dann kam es zuerst zur Explosion, dann begannen zuerst die Druckröhren zu bersten, durch die Dampf befördert wurde. Und als die Druckröhren zerplatzt waren, kam der Dampf nach draußen, und dazu stieg die Temperatur noch bis auf 1000°, so entstand ein explosives Gemisch: Sauerstoff und Wasserstoff, und das führte zu einer zweiten Explosion, die zum Abheben des Deckels führte und so viel Schaden verursachte. Und da waren doch Hunderte Tonnen… von diesen Transformatorenölen, die sofort zu brennen begannen, im III., im IV…. im IV. Block, so dass dort… etwas Schreckliches passiert ist.
V.N.: Und als Sie gearbeitet haben, mussten Sie auch zum Kraftwerk fahren, waren Sie…
M.B.: Ich musste fahren, ja… Ziemlich oft, ich war dort viermal: von 1983 bis 1986, jedes Jahr zweimal, als Führer der… der Kampfeinheit.
V.N.: Also, Sie waren dort auch vor dem GAU…
M.B.: Ich war dort, ja, ich kannte dort alle Eingänge und Ausgänge, kannte alle Dokumente, ich wusste, wie gut dort alles organisiert sein sollte, aber als dieser GAU passiert ist, hat nichts funktioniert… Nichts hat… keine der Fragen…
V.N.: Aber wenn man vergleicht, wie das Kraftwerk vor der Havarie und während der Havarie war, so… Wie waren ihre Eindrücke? Haben Sie etwas bemerkt, eine, na…?
M.B.: Na, erstens, während der Havarie durfte man das Kraftwerk gar nicht betreten. Ich kam mit dem Hubschrauber einfach etwas näher, sah nur einmal wie… ob wir was abbekommen oder nicht. Danach bin ich gelandet… und am Abend hat es mich so erwischt, dass ich kaum überleben konnte (lacht). So bin ich nie mehr… ich habe das aufgegeben… so. Und erst nach der Havarie, als… Als unsere Burschen, Soldaten dort schon aufgeräumt, geputzt haben, so musste ich dorthin nicht mehr fahren, weil… ich meine Aufgabe schon… Dorthin sind die gefahren, die fahren mussten. So kann ich hier nichts vergleichen… kann ich nicht… Ich habe nur gewusst, dass da 12 Mio. Curie in die Atmosphäre kamen und aus der Atm… Und dass man löschen und die Beladung der Hubschrauber sichern musste. Weil jede Verzögerung schwere Folgen haben konnte, sowohl moralisch als auch…
V.N.: Ja… Und sagen Sie bitte, was würden Sie der nächsten Generation sagen, mitteilen, die bei uns schon nach dem Jahr 1986 geboren wurde, so…?
M.B.: Seid behutsam und sorgsam damit, was gemacht wird. Seid behutsam, damit es nie mehr so vorkommt, wie es bei dem damaligen Regierungssystem passiert ist…
V.N.: Gut, möchten Sie vielleicht noch etwas hinzufügen?
M.B.: Was?
V.N.: Ob Sie noch etwas dazu sagen möchten?
M.B.: Was kann ich noch dazu sagen… Wenn der Staat in… geraten ist… so muss man den schützen. Das ist das Wichtigste, und alle anderen Fragen sind… sind Lebensfragen… Sind Fragen zum Leben des Staates, der Menschen, der Kinder und so weiter… Lebensfragen…
V.N.: Und waren Sie… Sie waren doch zu dem Zeitpunkt bereits verheiratet und hatten schon Kinder, nicht wahr?
M.B.: Ja.
V.N.: Und diese Teilnahme an der Beseitigung der Folgen der Katastrophe, hat sie irgendwie Ihr Leben, Ihr Leben danach beeinflusst?
M.B.: Na, und ob… natürlich hat sie beeinflusst, ich habe doch meine Gesundheit verloren…
V.N.: Also, sie hat überwiegend die Gesundheit beeinflusst…
M.B.: Die Gesundheit, sie ist schon seit langem so… allmählich erwischt das mich, bald eines, bald anderes, bald noch anderes… und ich habe bereits ein Bukett von Krankheiten erworben. Vier Chemotherapie habe ich überstanden, und was in Zukunft kommt, sehen wir mal.
V.N.: Und danach haben Sie bei der Gründung von Organisationen, so, von gemeinnützigen Vereinen, könnten Sie etwas darüber berichten?
M.B.: So, den ersten Verein “Nabat”[12] haben wir beim Bataillon gegründet, dann schlossen sich uns Hubschrauberflieger, Feuerwehrleute an. Aber das System hat uns nicht gut gefallen, weil… die Verantwortung und auch die Arbeit ganz anders war… So haben wir uns getrennt und unseren eigenen Verein gegründet, und nämlich den Verein Sonderbataillon 731, so. Wir haben unsere eigenen Fragen, uns gehen zum Beispiel gar nicht die allgemeinen Fragen an, mit denen sich „Sojuz Tschernobyl“[13] auseinandersetzt, weil ich weiß und meine Burschen wissen, dass beim „Sojuz Tschernobyl“ über 70% [Mitglieder] Pseudoliquidatoren sind, sie gehören zu… zu einer fetten Pfründe. Alle treten bei… Deswegen geben wir uns Mühe mit ihnen nichts zu tun zu haben. Wir haben unsere eigenen Fragen…, nur was uns nach dem Gesetz zustehen soll, und wir geben uns Mühe, dass alles, worauf wir nach dem Gesetz Anspruch haben, erfüllt wird… in Bezug auf… Wir haben unsere Aufgabe erfüllt, darum fordert man… na, da habe ich so viel […] gequatscht, dass sie fordern, dass… und für uns… obwohl es nicht so viele am Leben sind… nur einige Dutzend… man konnte doch alles ermöglichen, was die Burschen verdient haben, alles.
V.N. Gut, ich danke Ihnen…
[1] Der GAZ-69 ist ein Geländewagen mit Allradantrieb. (Anm. d. Übers.)
[2] Gemeint sind Aufräumarbeiten und Dekontaminierungsmaßnahmen. (Anm. d. Übers.)
[3] Im Rahmen der Politik der Abgrenzung wurden 1991 neue Grenzwerte festgelegt und umfassende Gesetze zum Schutz der Bevölkerung verabschiedet, darunter auch das Gesetz zur Entschädigung der Opfer des Reaktorunglücks „Über den sozialen Schutz der durch die Tschernobyl-Katastrophe betroffenen Bürger“. (Anm. d. Übers.)
[4] Nikolai Ryschkow ist ein sowjetischer bzw. russischer Politiker. Er war während der Amtszeit des Generalsekretärs Gorbatschows Vorsitzender des Ministerrates und damit Regierungschef der Sowjetunion. (Anm. d. Übers.)
[5] In einen Schirm wurde eine Mischung aus Blei, Dolomit, Sand und Lehm geladen, die mithilfe von Hubschraubern über dem Reaktor abgeworfen wurde, um ihn zuzuschütten und die Temperatur zu senken. (Anm. d. Übers.)
[6] Boris Schtscherbina war ein sowjetischer Politiker und Parteifunktionär. (Anm. d. Übers.)
[7] Sandsäcke sollten über dem glühenden Reaktorkrater abgeworfen werden, um den Reaktor mit einer Sandschicht zu versiegeln. (Anm. d. Übers.)
[8] Gemeint wird der Geigerzähler, der zum Nachweis und zur Messung ionisierenden Strahlung dient. (Anm. d. Übers.)
[9] Nikolai Antoschkin, der damalige Stabschef der Luftstreitkräfte des Militärbezirks Kiew, Kommandeur der Hubschrauberstaffel und Leiter der Operation zur Löschung des brennenden Reaktors aus der Luft. (Anm. d. Übers.)
[10] Gemeint ist wohl der sowjetische Wissenschaftler Waleri Legassow. Seine bekannteste Tätigkeit war die des Leiters des Untersuchungskomitees, das nach der Katastrophe von Tschernobyl gegründet wurde. Nach der Katastrophe von Tschernobyl war er eine Schlüsselfigur in der Regierungskommission, die die Gründe der Katastrophe untersuchen und einen Plan zur Beseitigung der Folgen entwickeln sollte. Er traf die wichtigsten Entscheidungen, um größere Explosionen zu vermeiden und informierte die Regierung über die Situation in der Zone. (Anm. d. Übers.)
[11] Post- und Fernmeldewesen, Telekommunikation (Anm. d. Űbers.)
[12] „Nabat“ heißt auf Deutsch “ Sturmläuten” (Anm. d. Übers.)
[13] Verband Tschernobyl (Anm. d. Übers.)