Ukraine

Jeden Morgen kochten wir für die Jungs, die im Atomkraftwerk arbeiteten. Insgesamt waren es etwa anderthalb Tausend Menschen. Die Öfen, ich meine die Kochplatten, hielten das alles nicht aus, denn man musste zu viel kochen, um sie alle satt zu bekommen. In der Anfangszeit arbeiteten wir täglich 22 Stunden und konnten in so ein Gleis nicht kommen, weil es zu schwer war …

Aleksandr

Georgiewitsch

Garmanow

Ein Blütenblatt ist so ein Mullverband. Man bindet es am Hinterkopf fest. Im Großen und Ganzen hatten wir sonst keinen weiteren Schutz. Nur diesen Mullverband. Wozu? Damit man zumindest diesen Staub nicht einatmet, der kontaminiert war. Den radioaktiven Staub, also.

Anatolij

Aleksandrowitsch

Gubarew

Also Dir ist klar, im Hof hängt noch eine Leine, darauf hängt was, und da ist Dir klar, dass hier noch vor wenigen Tagen Menschen lebten. Und jetzt wird alles abgetragen, sie tun alles in Gräben, dann werden auch diese Gräben von Kränen dem Erdboden gleichgemacht. Dabei haben wir kurz davor, na buchstäblich noch vor einer Woche versucht die radioaktive Strahlung von diesen Häusern wegzuwaschen.

Ljudmila

Nikolajewna

Basiewa, Umsiedlerin

Die Leute sagen: „Bleib in Tschernobyl, da ist deine Wohnung, da ist dein Haus“. Ich habe aber Angst, warum spüre ich so ein Unbehagen, warum? Es gibt keinen Ort, wo man essen könnte, es war im September sechsundachtzig, so war das. Es gibt keinen Ort, wo man essen könnte, alle Läden sind aus der Stadt gebracht worden, niemand wird mir Lebensmittelmarken geben, denn ich bin ja nicht so eine...

Wadym

Walentynovytsch

Aleksejev

Na, sagen wir… Die Japaner scheinen so verdammt intelligent zu sein. Doch auch bei denen gab es eine Explosionen ineinem Atomkraftwerk. So eine Überraschung! Bei uns… na ja… „Wanja, Petja, los!“ – und auf geht’s mit Lied. Aber bei den Japanern geht so was, soviel ich weiß, überhaupt nicht. Und doch auch bei denen explodierte das Atomkraftwerk. Nun ist das Wasser aus dem Reaktor ins Meer geflossen. Da kann man doch den Laden zumachen! So clever die [Japaner] auch sind, reichte ihre Intelligenz dafür aber nicht aus, die Sache zum Stocken zu bringen. Weil das die Kettenreaktion ist: Versuch mal ihr Einhalt zu gebieten.

Vladimir

Alekseevich

Altuhov

Verstehen Sie, der Eindruck ist nicht wirklich ungeheuerlich, aber sehr unangenehm und befremdlich. Wenn man in Prypjat einfährt, sieht man keinen einzigen Menschen da. Aber dann guckt man auf die Häuser: Da hängt die Wäsche bei jemandem. Natürlich, jetzt ist sie nicht da, sie ist wohl längst verfault. Da ist ein Klappenfenster offen, da stehen Blumen auf dem Fensterbrett etc., doch es gibt keinen einzigen Menschen. Es sieht aus, als ob Menschen da leben würden, aber es ist niemand da. Es ist haarsträubend: Man kommt in eine Geisterstadt, alles ist so schön, und es gibt keine Menschenseele da.

Igor

Antonowitsch

Weiss

Ungefähr drei Wochen arbeitete ich als Bäcker. Wir backten also Brot. Unsere Gruppe war 24 Personen stark. Es war natürlich eine Mordsarbeit. Von zwei nachts bis zwei nachmittags. Tagtäglich, ohne Ruhetage! Es war Sommer und ziemlich heiß, man wohnte in Zelten. […] Die Zelten standen im Wald, genauer gesagt, auf einer Waldlichtung. Ich sah, dass die Stämme aller Bäume weiß waren! Es wurde doch gesagt, dass es dort alles wegen der Radioaktivität leuchte.

Wjatscheslaw

Wiktorowitsch

Kuprejtschenko

In Tschernobyl war ich vom 26. Oktober 1986 bis zum 20. Januar 1987. Ich verbrachte dort also 86 Tage. Ich arbeitete beim Bad- und Wäschereikombinat. Täglich arbeitete ich 14 bis 16 Stunden, von 4 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Insgesamt waren es also 16 Stunden. Zuerst war ich als Heizer tätig, musste also Kochkessel in der Kantine beheizen. Von mir hing natürlich sehr viel ab. Habe ich den Kessel nicht gut genug beheizt, bleibt der ganze Personalbestand hungrig. Von der Kantine wurde ich ins Bad- und Wäschereikombinat umgesetzt, wo ich mich mit der Wäschereinigung befasste. Da niemand ohne Einsätze im Reaktor nach Hause entlassen wurde, ging ich regelmäßig in den Reaktor arbeiten. Es sah so aus: Ich arbeitete 12 Stunden im Bad- und Wäschereikombinat, hatte dann ein bisschen Zeit zum Ausruhen und zum Schlafen und ging in den Reaktor. Dort wurde ich für die Ausführung von allerlei Wirtschaftsarbeiten eingesetzt, musste bald etwas graben, bald etwas irgendwohin holen. Es waren verschiedene und vielfältige Arbeiten.

Walerij

Ignatjewitsch

Biletzkij

Am Morgen des ersten Mai, als das ganze Land zu feiern anfing, waren wir schon unterwegs nach Tschernobyl. Ich bin der Meinung, dass die meisten Leute, und ich auch, das ganze Ausmaß der Tragödie nicht begriffen, die sich auf unser Land und auf die ganze Welt stürzte. Wir dachten, wir gehen zu einer Wehrübung, und freuten uns schon darauf, uns von unseren Betrieben, von unserer Arbeit zu erholen. Aber allmählich wurde uns das ganze Grauen bewusst. Niemand sagte uns die ganze Wahrheit. Nur wenige wissen sie auch heute, 26 Jahren nach der Tragödie. Die Wahrheit ist tabuiert.

Nikolaj

Mustaschanowitsch

Achmedow

Wir hatten hauptsächlich Brigaden, die nur aus Männern bestanden. Wir hatten einen Instandsetzungszug. Wir wurden bald mit leichten und kleinen Reparaturen beauftragt. Zu allen großen Reparaturen wurde der Instandsetzungszug gerufen. Die Kompanie war in Orane stationiert und wurde immer von dort geholt. Die Jungs hielt man für ein Todesbataillon. Sie arbeiteten gegen Geld. Sie schufteten deswegen hart, und – seien wir mal ehrlich – sie waren bereit, sich überall, wo es nur nötig war, hineinzudrängen.

Chernobyl history workshop